Dießen – „Das wahre Geheimnis der Welt liegt im Sichtbaren, nicht im Unsichtbaren". Diese Worte legt der Schriftsteller Oscar Wilde einem Maler in den Mund. Ich habe nichts gegen Abstraktion. Nur war das von Anfang an nicht meine Sprache. Ich führe in meiner Malerei nicht die Abstraktion, sondern die sichtbare Realität als Motiv auf. Nebensächliches, das man rasch übersieht, bekommt seinen großen Auftritt, ähnlich wie die Wassertürme und Hochöfen in den Fotografien Bernd und Hilla Bechers. So wie die beiden ihre Plattenkamera überall in Europa aufbauten, stelle ich mich mit meinem Equipment an Ort und Stelle hin, zugegeben, ein im Vergleich zur Fotografie mühsameres Verfahren, wenn beispielsweise das Wetter nicht mitspielt. Die für das Ehepaar Becher typische Art die oft skurrilen Dinge, die in der Gegend herumstehen, ganz sachlich anzuschauen spielt hintergründig bei der Wahl meines Gegenstands eine Rolle. Deren Sehen prägte eine ganze Generation. Die Bechers waren regelmäßige Teilnehmer der Documenta und deren Klasse an der Düsseldorfer Akademie dürfte wohl die erfolgreichsten Künstler meines Alters hervorgebracht haben: Andreas Gursky, Thomas Struth, Candida Höfer und Thomas Ruff, um die wichtigsten zu nennen. Darunter ist naturgemäß niemand, der malt. Meine Generation konnte sein Interesse am Gegenstand noch am ehesten in der Fotografie ausleben. In der Malerei galt dies lange Zeit eher als unpassend…

Ich zitierte den verstorbenen Dießener Maler Karl Siegfried Büchner: „ein Maler malt nicht, weil er gesehen hat, sondern um zu sehen". Das ist es: Ich male um zu sehen. Jede Generation, jedes Jahrzehnt sieht die Welt mit anderen Augen. Das gilt für alle, auch für mich. Und so, wie sich mein Sehen mit den Jahren verändert, wandelt sich auch der Gegenstand meiner Malerei. Ich muss das nicht malen, aber ich sehe das erst, wenn ich es male….

Ich wollte malen lernen, malen, wie ein Alter Meister. Damit bin ich immer wieder auf Unverständnis gestoßen. Ich will aus heutiger Sicht ergänzen: Malen, wie ein Alter Meister, mit den Augen des 21. Jahrhunderts.

Auszug aus „Muss man das malen?, Vortrag zu Goys „letzten Montage", 2013

Martin Gensbaur beim Malen im Freien. Foto: Gensbaur