Folge 70

Elsje lehrte mich, was Liebe war und erst da erfuhr ich, was ich bis dahin mein ganzes Leben vermisst habe. Wir hatten beide zur gleichen Zeit eine sturmfreie Bude, denn sie musste auf die Wohnung ihrer Eltern aufpassen, die gerade eine mehrmonatige Reise nach Neuseeland machten. Ich hatte eine sturmfreie Bude, nachdem meine Mutter über längere Zeit hinaus im Krankenhaus lag. Also besser gesonnen konnte uns das Schicksal gar nicht sein. Wenn uns in den Wohnungen die Decke auf den Kopf fiel, verlegten wir unseren Spielplatz in die Dünen. Das erste und heftigste Mal, dass ich verliebt war. Sie auch. Aber wie sagte Gorbatschow 30 Jahre später?: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben". Wie Recht er hatte! Was wir beide in dieser himmlischen Zeit alles erlebten, davon hatte Muttern, die ihre Frist über lange Zeit im Krankenhaus verbrachte, gottlob keine blasse Ahnung.

Denn ihre Eifersucht gegenüber vermeintlichen Mitbewerberinnen um die Besitzrechte auf ihren Sohn waren nicht nur grenzenlos, sondern unerträglich. Im Nachhinein (im heutigen Alter von 90) nehme ich es ihr nicht einmal mehr übel, denn inzwischen kenne ich den Begriff „Affenliebe". Aber es war damals schon happig, um ein nettes Wort zu gebrauchen. Es war so schlimm, dass sich das langsam in der Nachbarschaft herumsprach, was gutinformierte Elsje zu der Warnung veranlasste „Du musst schauen, dass du jetzt bald unter die Haube kommst. Die Nachbarn munkeln schon, dass du schwul bist!"

Das saß! Erleichtert wurde mir mein künftiges Vorhaben durch eine mir noch schnell auferlegte Feuerprobe, mit der mich meine geliebte Mama zu belegen gedachte. Aber wer weiß denn schon im Voraus, wozu die Prüfungen doch alle gut sind? So müsste ich heute meinen Lebensabend in Mönchen-Gladbach statt in meiner geliebten Heimatstadt München verbringen.

Folgendes trug sich zu:

Mamatschi hatte in Den Haag eine Freundin, die im Besitz einer bildhübschen Nichte war mit Domizil, wie gesagt, Mönchen-Gladbach. Die würde die Freundin mir gerne mal ausleihen. Meiner Mutter schwante Böses, stimmte aber der Freundin zuliebe dem anberaumten Treffen zähneknirschend zu. Vor dem Abmarsch zum Strand nötigte sie mir aber eine Zusage ab, die nicht nur schon fast ins Unmoralische reichte: „Dass du mir die ja nicht küsst!" Woher wusste sie schon, was ich vorhatte und was man mit netten Mädchen meines Alters (30) alles machen kann?!

Ich biss die Zähne zusammen und stimmte zu. Es bahnte sich jetzt die Machtprobe des Jahrhunderts an. Meine Mutter wollte ich jetzt auf die Probe stellen. Es kam so, wie ich es erwartete. Aber greifen wir der Sache nicht vor.

Mit dieser Bürde beladen tigerten wir zum Strand und ich baute meiner neuen Freundin eine wunderschöne Kuhle in den Sand. Das arme Kind, das von allen Intrigen gegen sie keine Ahnung hatte, ließ nichts unversucht, von mir einen Kuss zu erhaschen. Sie bekam alles von mir, nur keinen Kuss. Meingott, war das schwer!

Einmal zuhause, fragte mich meine Mutter: „Und, hast du sie geküsst?" Ich sagte: „Nein". „Du lügst, ich glaube dir kein Wort!"

So, jetzt war's raus. Sie hatte mit ihrem Misstrauen das wenige Guthaben verspielt, das sie bei mir noch hatte.

Fortsetzung folgt