Dießen – „Das Lied hat 42 Strophen" behauptet Fredl Fesl auf seiner im Jahre 1976 erscheinenen LP und meint damit das altbayerische Lied „Der Fensterstock Hias." Damit übertreibt der Interpret, auch als Erfinder des bayerischen Musikkabaretts bekannt, einigermassen, aber nicht gewaltig, denn das Lied beinhaltet der Überlieferung zufolge je nach Fassung bis zu 22 Verse. Wobei in Fesls Version davon ein paar (er singt weniger als 22) aus seiner Hand stammen dürften.
Aber das Selbst-Hand-Anlegen im Sinne einer Variation hat ja in der Volksmusik und der volkstümlichen Musik eine lange Geschichte. Während der Brauch des Fensterln zumindest im bayerischen Raum so gut wie ausgestorben sein dürfte, erfreut sich das aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammende Volkslied einer ungebrochenen Beliebtheit, und das nicht erst seit 1976. Auf Youtube gibt es mittlerweile mehrere Fassungen (zum Beispiel von Zwoa und Oans oder von Da Huawa, der Meier und I) anzuklicken, bei denen, auch unter dem Deckmantel der kulturellen Integration, die bayerische Mundart ins Hochdeutsche beziehungsweise Neudeutsche übersetzt wird.
Hier als Kostproben die erste Strophe im überlieferten Original, gefolgt von den Varianten von Zwo und Oans und von dHdM&I:
Znagst hat mir mei Deandl a Briaferl zuagschriam:
warum i denn bei der Nacht gar nimmer kimm?
San d'Stiefelsohln hin,
dass i gar nimmer kimm?
Holla riadi hollara dijo!
Ich bekam von dem Mädchen ne Korrespondenz
Warum ich die Nächte bei ihr immer schwänz'
Sie meint' ich wär mies
Weil ich sie verlies
Holla röti tatü tata
Znagst hod mia mei Diandl a E-Mail zuagschriem
Warum i gor nimma im Chatroom drin bin
Is d Standleitung hin
Dass i gor nimma kimm?
Hollariadaidehollaradiho
Und nun folgt die Fassung, die ich als Kind, also vor den bisher genannten Fassungen kennenlernte, in Form einer aus Billigplastik bestehenden, einseitig gravierten Schallplatte im 78er Format, die 1954 in einem Tonstudio in München entstand, in das mein (zukünftiger, denn ich war noch nicht geboren) Vater sich zusammen mit 2 Kameraden aus dem Akademischen Gesangsverein (AGV) der bayerischen Hauptstadt verirrt hatte. Einer der zwei war des Bayerischen mächtig (so wie auch Fred Fesl, Zwo Und Oans, etc.), der zweite konnte Gitarre im 3/4-Takt spielen, und mein Vater hatte sich bereit erklärt oder eingewilligt, die Liedstrophen der bei dieser Gelegenheit entstandenen Fassung, „Da Fenstastock - Det Fensterkreuz" genannt, ins Berlinerische zu übersetzen (er war kein Berliner, hatte jedoch lange in der Hauptstadt gelebt, bis die elterliche Wohnung im 2. Weltkrieg ausgebombt wurde und seine Familie nach Bayern auswich). Hier seine erste Strophe:
Jüngst hat mir meene Kleene n Brief jeschriebn
Warum ich denn so lange ausjebliebn
Ich sollt' mir wat schämen
der sei doch keen Benehmen
Hollaradi rübendiarrhoe
Etwas später dann Strophe 4:
Nu ha ik jezielt und auf de Scheibe jeschpukt
Da hat se aufjemacht und runterjeguckt
„Komm ruff, oller Knabe,
damit ik Dir habe!"
Hollaradi rübendiarrhoe
Um es kurz zu machen (denn die 1954er Fassung hat neun Strophen - auch weil auf 78er Schallplatten die Aufnahmezeit bekanntlich begrenzt ist - und wir wollen es hier bei unter 1000 Worten belassen): Nicht nur weil es diese Schallplatte nur ein einziges Mal gibt, sondern aufgrund der bewusst kontrastreich gehaltenen Gegenüberstellung von bayerischem Schalk und Berliner Witz ist diese Fassung den oben genannten haushoch überlegen. Der geneigte Leser möge mir nachsehen, dass ich hier nicht objektiv zu urteilen vermag.
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