Dießen – Musik hat immer mit Zeit zu tun, in mehrfacher Hinsicht (und nicht nur, weil es ohne Zeit gar keine Musik geben kann). Eine davon ist die Möglichkeit, mit Musik auf Zeitreise zu gehen. Musik hat die Kraft, uns zu versetzen, nicht nur weg vom Alltag, sondern auch aus dem Moment heraus, aus der Stunde, dem Tag, dem Monat, dem Jahrzehnt der eigenen Existenz. Musik ist damit quasi der Schlüssel zur Überwindung der Zeit, ein Portal zur – wenn auch zeitlich beschränkten – Unsterblichkeit.
Sterben, wie Leben auch, hat ebenfalls mit Zeit zu tun, wie die Phrase „...zu früh von uns gegangen" belegt. So wie die Geburt markiert auch der Tod einen bedeutsamen Zeitpunkt. Wenn die Musik uns erfahren lässt, wie man dem Moment entfliehen, die Zeit überwinden kann – wenn auch nur für die Dauer einer musikalischen Erfahrung - , so erinnert uns der Tod daran, dass wir letztendlich durch die Zeit selbst überwunden werden. Wie die Zeit nach unserem Ableben erfahren werden kann, entzieht sich unserer Kenntnis.
Das macht den Tod eines Musikers umso schwerwiegender in seiner symbolischen Tragweite, denn durch das Verstummen seiner/ihrer Stimme – oder die seines/ihres Instrumentes – schließt sich das Portal zur Unsterblichkeit, dessen Potential seine/ihre Musik zeitlebens offen gehalten hatte. So lässt sich auch im Zeitalter der von einer Medienkultur durch und durch gekennzeichneten Musiklandschaft die ungebrochene Bedeutung von LIVE Konzerten und ihrer Erfahrung erklären, wie übrigens auch die ungebrochene Faszination und Beliebtheit von Tanzveranstaltungen. In der westlichen Popularkultur (und nicht nur dort) haben beispielsweise Rockkonzerte und Raves weiterhin einen sehr hohen Stellenwert.
Und nun sind viele Ikonen dieser Popularkultur tot, nach John Lennon, Aretha Franklin, Kurt Cobain, Prince, David Bowie, Frankie Knuckles, und Eddie van Halen nun auch Jeff Beck. Für einen Menschen wie mich ist der Verlust dieser und weiterer Stimmen besonders schmerzlich, da ich in einer Popularkultur aufwuchs, in der neben Kino oder Mode besonders durch eine vom Sound elektrischer Gitarren geprägte Musik, Zeitzeichen gesetzt wurden,. Jeff Beck war nicht nur ein sogenannter Guitar Hero, er war mein Guitar Hero. Er spielte das Instrument, das auch ich spiele, auf eine Weise, die meine Betrachtung und Behandlung des Instrumentes nachhaltig geprägt hat, eine Weise, die in vielen der ihm gewidmeten Nachrufen der letzten Tage und Wochen erwähnt oder gar ansatzweise beschrieben wurde. „Zeitlos" ist ein Wort, was dort wiederholt bemüht wird, und es ist mehr als nur eine Floskel.
Der Jazzmusiker Charles Mingus komponierte im Jahr 1959 ein Stück, das zu seinen bekanntesten werden wollte. „Goodbye Pork Pie Hat" ist ein musikalischer Nachruf für Mingus' Freund und Kollegen, Saxophonist Lester Young, wobei der Titel auf dessen bevorzugte Kopfbedeckung anspielt. 1976 erschien auf Jeff Beck's LP „Wired" eine elektro-akustsiche Fassung dieser Komposition, und damit ein mehr als überzeugender Brückenschlag zwischen den musikalischen Welten des Rock und Jazz. Jimi Hendrix, der meist denselben Gitarrentyp spielte wie Beck auf „Goodbye Pork Pie Hat", ist ein derartiger Brückenschlag nie gelungen, seiner offenen Einstellung und technischen Virtuosität zum Trotz. Beck dagegen offenbart in diesem Stück die letztendliche Zwecklosigkeit musikalischen Schubladendenkens – seine Interpretation ist tatsächlich zeitlose Musik höchster Qualität.
Wir tun gut daran, uns vermittels Jeff Becks Gitarrenkunst an das Vermächtnis von Künstlern wie Lester Young und Charles Mingus zu erinnern, und darüber nachzudenken, wie Kulturen und Gesellschaften mit ihren Musikern umgehen und umgehen sollten, sowohl vor als auch nach deren Ableben.
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