FRAGE: Wie aufrichtig sind Sie in Ihren aktuellen Texten tatsächlich? Denn wenn Sie über Eigenschaften geschrieben haben, mit denen Sie lieber nicht konfrontiert worden wären, muss das Schreiben ja ein ungeheuer schmerzhafter Prozess gewesen sein, oder nicht?
GABRIEL: Drücken wir es so aus: Ich war aufrichtig wie nie zuvor in meinem Leben. Ob das aufrichtig genug ist, weiß ich nicht. Doch ich weiß, dass ich mir Mühe gegeben habe, dem Hörer einen schonungslosen Einblick in mein Innenleben zu gewähren.
Es war dieses Mal auch einfacher für mich, aufrichtig zu sein. Die Therapie hatte mich gelehrt, dass man mit seiner Gefühlswelt immer offen umgehen muss, damit man sie im Griff hat. Aber nochmals: Ich erdrücke den Hörer hoffentlich nicht mit meinen Problemen. Ich bemühe mich, Auswege in meinen Liedern offenzulassen.
FRAGE: Um es auf den Punkt zu bringen: Us ist eine Art hilfreicher Therapie für Sie?
GABRIEL: Ja, ganz richtig! Die Songs darauf halfen mir ungemein, denn Musik halte ich, im Gegensatz zu meinem täglichen Leben, unter vollkommener Kontrolle. Diese Kontrollfunktion gibt mir Sicherheit – und diese Sicherheit wiederum ermöglicht es mir, mit meinen Problemen besser zu Rande zu kommen.
FRAGE: Spätestens seit Ihrem dritten Soloalbum sind Sie stark mit der Musik von Afrikanern, Südamerikanern und den Bewohnern der Karibik verwurzelt. Wie weit kann ein englisches Bleichgesicht wie Sie tatsächlich in die Seele der afrikanischen, karibischen und Südamerikanischen Musik vordringen?
GABRIEL: Natürlich werde ich darin immer ein Fremder bleiben. Deshalb würde ich es nie wagen, diese Musik einfach nachzuspielen. Dazu habe ich einfach kein Recht! Aber ich kann versuchen, mich ihr so weit wie möglich anzunähern. Und ich kann sie mit meinem ureigenen musikalischen Kosmos zusammenbringen. Auf Passion habe ich erstmals ernsthaft eine solche Fusion probiert. Auf Us bin ich dahingehend schon einen großen Schritt weiter. Völlig miteinander vereinbar sind diese Welten freilich nie. Mir fehlt dazu einfach der spirituelle Hintergrund.
FRAGE: Die Texte waren immer ein äußerst wichtiger Aspekt in Ihrem musikalischen Gesamtkonzept. Sie waren und sind voller Symbole, zur gleichen Zeit sind sie sehr simpel konstruiert, damit jeder Hörer die Chance hat, sich damit auseinanderzusetzen. Was sind die Hauptideen, die Sie den Fans mit Ihren Texten vermitteln möchten?
GABRIEL: Mir ging's eigentlich immer in erster Linie um Kommunikation und zwischenmenschliche Beziehungen in sämtlichen Schattierungen. Es geht mir auch darum, wie du als Individuum in den Augen von anderen Menschen gesehen wirst.
Nur ein kleines Beispiel für diese Grundidee meiner ganz persönlichen Philosophie: Wenn etwa ein Nachrichtensprecher von einem indischen Torjäger in einem britischen Fußballteam spricht, so ist der immer „einer von uns". Gleichzeitig spricht derselbe Nachrichtensprecher über Inder, die in Großbritannien leben, als „einer von denen", wenn beispielsweise einer von ihnen ein Mädchen vergewaltigt hat. Dieser Gedanke des Einbeziehens und Ausgrenzens durchzieht speziell Us als Thema wie einen roten Faden. Schließlich verbirgt sich dahinter die Grundidee von Faschismus, vor allem des modernen Faschismus, der leider Gottes in der letzten Zeit wieder enorm an Zulauf gewonnen hat.
FRAGE: Bei aller natürlichen Klänge auf Ihren Platten und dem Einsatz jeder Menge Freunde bei den Songs sind Sie dennoch ein Verfechter für den Einsatz modernster Technologie im Studio. Beschleicht Sie nicht manchmal das Gefühl, ein Sklave der Maschinen zu sein, dass Sie ohne diese hilflos wären und etliche Ideen niemals umsetzen könnten?
GABRIEL: Mit diesem Gedanken habe ich noch nie gespielt, denn ich bin der festen Überzeugung, dass ich „gute" Technologie verwende – diejenige, die transparent ist und die man dem Endprodukt nicht anmerkt. Aber das Tolle an der Sache ist, dass Technologie einem Kreativen ungeahnte Möglichkeiten bietet. Man muss nur die richtige Einstellung zu ihr haben.
Morgen geht's weiter mit Peter Gabriel von Genesis
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