Folge 45: Johnny Rotten von den Sexpistols

„Was hast du jetzt musikalisch vor", versuchte ich, mich auf unverfänglicheres Themengebiet zu begeben, „geht es irgendwie mit deinem zweiten Projekt P.I.L.3 weiter?" „Vermutlich", grinste John reichlich fies. „Doch das hat nichts mit Musik zu tun. Hatte es nie." – „Aber ihr habt doch Platten gemacht", warf ich ein. „Ja, aber im Endeffekt keine Musik", lachte Lydon sarkastisch. „Ich mag Musik nicht. Ich mag Musiker nicht. Ich mag die Plattenindustrie nicht. Ich mag eigentlich gar nichts. Nicht mal mich selbst."
Was macht man als Künstler und Mensch, wenn man nichts und niemanden mag, Herr im Himmel?! „Nichts. Es kostet sehr viel Energie, nichts zu tun. Wirklich! Man braucht dazu feste Ziele", antwortete Lydon stoisch.

Ich wurde langsam nervös, klopfte mit meinen Knien ans Designertischbein. „Trotzdem habt ihr Kiss This, eine Sex-Pistols- Kompilation, auf den Markt gebracht", stieß ich hervor. „Das ist schließlich der Grund, warum ich hier bin und nach Paris eingeladen wurde." – „Ja, aber auch das hat nichts mit Musik zu tun", kicherte Lydon. Ich sah, wie seine Hand wieder nach den Zahnstochern im Aschenbecher griff. „Das ist letztlich nur passiert, um die Welt zu ärgern. Um sie alle daran zu erinnern, dass wir noch am Leben sind."

„Es ist schon verwunderlich, dass die Sex Pistols all die vielen Jahre nach der Trennung", hob ich an. Doch ich kam nicht weiter. Immerhin, Lydons Finger ließen den Aschenbecher in Ruhe. „... noch relevant sind?", ergänzte er, beinahe wütend. „Die Sex Pistols sind in einer Zeit aufgekommen, als in England die Depression einsetzte. Die Depression wird wieder schlimmer, deshalb sind die Sex Pistols relevanter denn je. Es ist eine Band, die nie hätte existieren können, wenn die Welt besser wäre. Sie ist abhängig von Katastrophen und Chaos. Davon wird es in der Welt stets mehr als genug geben."
Okay, jetzt probierte ich es mit einer bösen, philosophischen Fangfrage: „Wie sähe denn die bessere Welt aus, die du dir vorstellst", fragte ich. „Jeder wünscht sich eine bessere Welt, das gleich vorweg", konterte John. „Ich wünsche mir einen Planeten ohne Arbeitslosigkeit, Selbstsucht, Gier, Yuppies, Faxgeräte, Arschlöcher und Obdachlosigkeit. So sähe mein Paradies aus."

„Und was tust du dafür, dass dieses Paradies Wirklichkeit wird?" – „Nichts, absolut nichts", grinste Lydon. „Ich persönlich möchte, dass es zum Beispiel England immer schlechter geht. Nach dem großen Chaos und Zusammenbruch der Nation könnte etwas Gutes nachkommen. Ich habe mit Politik nichts am Hut. Ich lehne alle politischen Parteien ab. Alle! Sie verfügen durch die Bank über diese Herdenmentalität und kümmern sich nicht um das Individuum."

Morgen geht's weiter mit Johnny Rotten von den Sex Pistols

Michael Fuchs-Gamböck: Er hatte sie alle! 50 Geschichten aus 25 Jahren Rock 'n' Roll-, Rock- & Pop-Abenteuer (Taschenbuch)
1. Auflage 2019, 404 S. (=AAA Culture-Taschenbuch, Band 1)
ISBN: 978-3-9817363-2-8

Er hatte sie alle! bietet epochale Einblicke in die Musikszene und die Befindlichkeiten der Top-Stars. 50 Geschichten und Interviews mit den Top-Stars aus der Welt des Rock n Roll, Rock und Pop-Business. Erhältlich bei CoLibri Dießen, Timbooktu Schondorf, Osiander Landsberg und allen guten Buchhandlungen.