Folge 85: London kann in Island liegen, oder Bjørk ist die Underberg-Fee Bjørk

Der nächste Tag schien es gut mit uns zu meinen, endlich mal wieder. Klar, dass die Sonne schien, wie immer in diesem Land im Sommer, doch sie hielt die Wärme für uns bereit, die unsere geschundenen Herzen so dringend benötigten. Bart, Bowle und ich hatten jeder rund acht Stunden Schlaf hinter uns, ein immenser Luxus, wenn der Schädel rotiert. „Okay", meinte ich beim verspäteten Frühstück zu meinen Freunden, „gehen wir die Sache an. Bowle, was steht auf dem Programm?" Und Bowle meinte, dass wir gegen vier die Jungs von Underworld treffen würden, danach Freizeit, ab zehn Uhr abends Konzert. „Klingt gut", meinte ich, während ich ein Meeresfrüchte- Omelette in mich reinschaufelte. „Ich weiß", sagte Bowle – die Dinge schienen wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

Die drei Jungs von Underworld waren nett und ein bisschen langweilig. Ich hatte in meinem Leben schon bessere Interviews geführt, aber garantiert auch schon schlechtere. Bart machte seine Fotos und dann war es sechs Uhr abends, es war taghell und wir hatten ein paar Stunden Zeit, um uns diese Stadt etwas näher anzusehen. Irgendwann war es kurz vor zehn und wir machten uns auf den Weg zum Konzert.
Es war immer noch taghell draußen vor der Halle, als Bjørk, die Eisprinzessin, unter endlosem Gejohle und hysterischem Gekreische aus 5.500 Kehlen die Bühne betrat – und das um 22 Uhr Ortszeit! Gemeinhin wird das dauernde Tageslicht als Mitternachtssonne bezeichnet. Dieser Begriff deutet die Auswirkungen auf die Seele der Menschen in Island schon an: Schlaflosigkeit und ein latentes Gefühl von Überdrehtheit. Ideale Voraussetzungen also für die phänomenale Rückkehr der uneingeschränkten Königin Islands, dieses Staates mit damals gerade mal 270.000 Einwohnern.

Bjørk, der 155 Zentimeter kleine, erotische Dreikäsehoch, brachte das Publikum mit vertracktem Pop im Nu auf die Beine. Es gab ideale Voraussetzungen aber auch für einen brodelnden, endlosen Rave – denn nach Bjørk war mit Underworld aus London „Dancefloor total" angesagt. Auch ein Grund, weswegen die Laugardalshöll im Herzen von Reykjavik schon Wochen zuvor ausverkauft war. Denn Underworld waren im äußersten Norden bereits damals, im Sommer '94, weit mehr als ein Insidertipp, und Bjørk war ebenfalls schon damals eine Nationalheilige für alle Isländer.

Mit fünf Titeln aus Debut eröffnete die Underberg-Fee ihren Gig. Druckvolle, kernige Songs, hinreißend gesungen und von einer sechsköpfigen Band meisterlich gespielt. Zwar honorierte die Meute die exzellenten Lieder mit lautem Beifall. Doch den meisten Applaus erhielt die Pop-Zauberin immer dann, wenn sie in ihrer Muttersprache Jazz-Standards anstimmte. In diesen Momenten wurde sie wahrhaft wie eine Eisprinzessin gefeiert. 

Michael Fuchs-Gamböck lebt in Dießen. Foto: Alois Kramer