Dießen – In vielen Familien gibt es Geschichten, die von einer Generation zur anderen weitergetragen werden. Es verdichten sich darin Charaktere von Urgroßeltern, Großvätern, Tanten und Onkeln. Die Erzählungen sind häufig lustig, manchmal dramatisch und traurig. Sie sind oft Gegenstand von Gesprächen bei Familienfesten. Nicht selten hört man einen Onkel sagen, "Das müsste man alles aufschreiben". Ja müsste man. Aber wer tut das? Kaum jemand. Diese Erzählungen gehören zur so genannten Oral History, der nicht aufgeschriebenen Geschichte. Katalin Fischer hat das gemacht, wovon viele nur reden. Die Autorin, die selbst eine ungewöhnliche Biografie vorweisen kann, schrieb einen Roman über ihre Familie. Der ist vor wenigen Wochen im Bauer-Verlag erschienen. Am Donnerstagabend las sie einzelne Kapitel aus  "Die Fischers, die Hamburgers, und die Bánds" im Dießener Strandhotel. 

Ob sich alles im Detail, wie im Roman geschildert, mit exakt den Dialogen wie sie im Buch stehen, so abgespielt hat, ist unerheblich. Die Dettenschwanger Schriftstellerin betont bei der Lesung, dass die Geschichten nicht erfunden sind. Sie sind nur angereichert. Das glaubt man ihr gerne. Das macht den Reiz des Buches aus, wie das 40-köpfige Publikum schnell merkt. Denn Fischer schildert so naturgetreu die Personen, so stimmig das Ambiente, dass man meint ein stiller Beobachter jeder Szene zu sein. 

1897 beginnt das Buch damit, dass Gyula Bánd, Besitzer einer Budapester Brotfabrik und Dandy, die schöne junge Dienstmagd heiratet. Zuvor hatte er ihr ein Konto mit 20.000 Kronen eingerichtet, um seiner Familie vorzugaukeln, sie hätte eine Mitgift. Katalin Fischer wechselt zu Rosa Rottmann, Witwe eines Hausierers aus Südungarn. Die ging nach dem Tod ihres Mannes nach Wien, um einen Bonbonladen zu übernehmen, dann nach Budapest und wurde Leiterin des Jüdischen Krankenhauses. Dies ist eines der wenigen Kapitel, die keine Jahreszahl tragen. Beim Bewerbungsgespräch zeigt sich, dass sie keine große Ahnung von Medizin. Aber sie bekommt die Stelle. 

Die Szene wechselt zu den Hamburgers nach Berlin. Wir sind im Jahr 1917.  Desider der Windhund, einziges überlebendes Kind des Hausierers David Fischer und seiner Frau Rosa Rottmann, Deutscher und Ungar, geboren in Südungarn in einer Kleinstadt, übersiedelt nach Berlin, macht Karriere und heiratet die Bankierstochter Claire Hamburger. Eindrucksvoll beschreibt Katalin Fischer das Klassentreffen ihrer Schwester Hertha Hamburger mit den Mitschülerinnen. "Heiraten ist das Wichtigste" eine der grundlegenden Botschaften damals. 

Interessant ist, wie Fischer durch Dialoge das Personal ihres Romans lebendig werden lässt. Ein gutes Stilmittel. Viel frischer als langweilige und langatmige Beschreibungen der Szenerie. Auch das letzte vorgelesene Kapitel glänzt wieder durch direkte Rede. Es geht um Sexualität und Lica. Das ist der Kosename für Clara, älteste Tochter des Budapester Brotfabrikanten Bánd, der bei einem Bombenattentat ums Leben kam. Lica muss die Familie und die Fabrik vor dem Ruin retten. Also wird sie mit einem reichen Mann verheiratet.

Wer mehr wissen möchte über die Fischers, die Hamburgers und die Bánds, der sollte sich schleunigst das Buch kaufen, es ist nicht nur eine Familiengeschichte sondern auch eine Geschichte des europäischen Judentums im Spiegel einer Familie, spannend erzählt von einer Jüdin, die aus Ungarn stammt, in Tel Aviv und Paris gelebt hat und jetzt am Ammersee wohnt. 

Katalin Fischer: Die Fischers, die Hamburgers und die Bands. Eine ziemlich wahre Geschichte. Bauer-Verlag. Thalhofen an der Gennach 2021. ISBN-13: 978395551151, 19 Euro.