Dießen – Vor zahlreichem Publikum fand am Freitagabend im ehemaligen Carl-Orff-Museum ein Vortrag des Dießener Malers Martin Gensbaur statt, der noch bis einschließlich 1. Mai Arbeiten seines italienischen Freundes Mauro Corbani neben eigenen Bildern im Kunstfenster in der Dießener Hofmark ausstellt. Der Vortrag, den man auf der Webseite des Kunstfensters nachlesen kann, ist hier in einer kurzen Zusammenfassung wiedergegeben.

Das italienische Wort „Paragone" bedeutet übersetzt Vergleich. Ursprünglich Bezeichnung eines schwarzen Prüfsteins zur Bewertung der Farbreinheit des Materials Gold, entwickelte sich das Wort im 15. und 16. Jh. zu einem „Paragone delle Arti", einem Wettstreit der Künste Malerei und Bildhauerei um die Gunst der Auftraggeber ihrer Zeit. Leonardo da Vinci spricht sich ganz entschieden für die Überlegenheit der Malerei aus, weil sie sich von den mechanischen Künsten absetzt und nicht von der „fatica", der Mühe des Steineklopfens geprägt ist, die den Alltag des Bildhauers dominiert. Demgegenüber rühmt sich der Bildhauer Andrea da Giambologna, dass seine Kunst sieben Mal mehr leisten müsse als die Malerei, da jede Figur von allen acht Ansichten aus schön sein müsse. Der Vortrag des Dießener Malers Martin Gensbaur zur gleichnamigen Ausstellung im Kunstfenster stellte zwei Gemälde des 16. Jh. vor, in denen die Paragonediskussion dieser Jahre sichtbar wird: ein Kinderporträt von Girolamo Mazzola Bedoli und die „Schiavona", ein Damenbildnis Tizians. Tizian stellt sein Modell als Malerei über ein gemaltes Relief und zeigt somit die Überlegenheit seiner Kunst.

In gewissem Sinne seien auch seine eigenen Bilder gemaltes Relief, meint Gensbaur und fragt in Anspielung auf ein zuvor gezeigtes gemaltes Relief des Niederländers Marten Jozef Geerarts: „Können im Jahr 2023 auch Fahrradständer eine Allegorie der Malerei darstellen?" Ihm ginge es wie Max Beckmann, der sagt, er werde „nie das Volle und Runde aufgeben". Und somit befindet sich auch unsere Zeit in einer Art „Paragonediskussion", die spätestens nach dem Krieg in Deutschland mit verhärteten Fronten geführt werde. Abstraktion stand in der Malerei der Neuen Sachlichkeit und einem Neoklassizismus der 20er Jahre gegenüber, die beide nach dem Nationalsozialismus nicht mehr zum Zuge kommen sollten. Wäre Max Beckmann nicht schon 1950 im amerikanischen Exil gestorben, dann wäre vermutlich auch er dieser Debatte zum Opfer gefallen. Nach seiner Vorstellung habe die Malerei nun einmal die Aufgabe die dreidimensionale Welt der Gegenstände in die zweidimensionale Welt der Leinwand zu übertragen, den „Raum, in dem wir selbst enthalten sind", zu malen.

Die Ausstellung im Kunstfenster wagt auch einen Paragone Deutschland - Italien. In den mediterranen Ländern waren nach dem Krieg die Fronten weniger verhärtet als in Deutschland. Die Moderne wurde dort nie als „entartet" verfolgt. Abstraktion behielt etwas Erzählerisches. Figuratives verschwand nie völlig. Es ging um andere Fragen als in Deutschland. Lucio Fontana begann Ende der 50er Jahre Leinwände mit Messern aufzuschlitzen um ein „concetto spaziale", einen neuen Umgang mit dem Phänomen Raum in der Malerei zu finden. Flachware war ihm nicht genug. Eigentlich die uralte Frage des Paragone. Und bald flog man ins Weltall und betrachtete die Erde von oben. Sie war blau. Eine Farbe, die Yves Klein sich patentieren ließ. Mauro Corbani verwendet sie trotzdem. Martin Gensbaur genügt eine zweidimensionale Leinwand. Diese hat enge Grenzen. Corbani genügt diese schon längst nicht mehr. Er überschreitet die Grenze zwischen Malerei und Bildhauerei. Er malt keine Schatten, seine Malerei wirft selbst Schatten.

Den Paragone müsste man unter den Zeitgenossen noch ganz anders diskutieren, mit Blick auf das, was heute künstlerisch und technisch möglich ist. Ein Beispiel nennt Gensbaur mit dem Schweizer Urs Fischer und dessen Installation „big clay#4" vor der Loggia dei Lanzi und Giambolognas Raub der Sabinerinnen, die in dem Vortrag zuvor als typisches Beispiel einer „figura serpentinata" und somit Beweis der Überlegenheit der Bildhauerei, die von „allen Seiten schön" sein müsse, filmisch umrundet wurde. Zur Veranschaulichung endete der Vortrag mit einer Fotomontage und einem Vorschlag für eine Installation auf der „Piazza dei Miracoli" in Pisa.

Abb.: Fotomontagen Kunstfenster (Guercino /Wikipedia) Martin Gensbaur, Spiaggia Libera, Öl/Lwd, 50 x 79 cm, 2022 / Viale d`Italia, Öl/Lwd, 54 x 65 cm, 2023 / Mauro Corbani, „Mondo blu", versch. Materialien, Acryl, 35,5 x 12 x 9 cm, 2022 /giardino d`artista (Ausschnitt), Foto G. Dollhopf / M. Corbani)