München – Wer zum Geigenbaumeister Michael Jaumann möchte, braucht zunächst eine gute körperliche Kondition. Der Mann aus bayerisch Schwaben hat nämlich seine Werkstatt im vierten Stock eines Hauses an einer ruhigen Seitenstraße in München-Neuhausen. Hat man das Treppenhaus des großzügigen Altbaus an der Olgastraße erklommen, wird man für die Mühe reichlich belohnt. Dutzende und Aberdutzende von Violinen, Violen und Violoncelli finden sich dort in unterschiedlichsten Qualitäten in einer großzügigen Wohnung. Sie ist Werkstatt, Verkaufsraum und Ausbildungsstätte in einem. Seit kurzem hat der gebürtige Weißenburger eine nebenan liegende Wohnung angemietet und ein kleines Paradies für Liebhaber von Celli geschaffen. Aufgereiht wie Perlen an einer Schnur stehen die wertvollen Instrumente an den Wänden des ehemaligen Wohnzimmers. Alte neben neuen, günstigere neben sauteuren. Es ist fast so wie bei Harry Potter und seinem Zauberstab. Der Stab findet den Besitzer, er kann ihn sich nicht einfach aussuchen. Nicht jedes Instrument passt zu jedem, der auf ihm spielen möchte. Um das Richtige herauszufinden gibt Michael Jaumann dem Interessenten gerne Cello, Bratsche oder Geigen mit nach Hause. Dort kann er diese 14 Tage lang ausprobieren und sehen, wie sie sich spielen lassen und ob sie ihm gefallen. Jaumann hat Vertrauen zu seinen Kunden. Jüngst hatte er einen Violabogen zum Preis für 10.000 Euro zu einer Musikerin nach Karlsruhe geschickt. „Mit der Post, schön verpackt und natürlich versichert". Zur Probe. Nach zwei Wochen bekam er einen Anruf, dass er den Bogen nicht mehr zurückbekomme. „Den gebe ich nicht mehr her!" freute sich die Bratschistin am Telefon. Den Kaufpreis überwies sie sogleich. Die Musikerin spielt im Badischen Staatstheater. Musiker und Instrumentenbauer haben Netzwerke. Michael Jaumann kannte zufällig einen Instrumentalisten, der wiederum mit der Interessentin bekannt war. Es bleibt einfach nichts verborgen.
Vertrauen hat der Streichinstrumentenbauer auch bei einem besonderen Geschäftsmodell. Wer ein Streichinstrument selbst spielen möchte oder eins für seine Kinder anschaffen will, müsste eigentlich tief in die Tasche greifen und zuerst mal nicht wenig Geld auf den Tisch legen, bevor die erste Unterrichtsstunde absolviert ist. Da wandern leicht mal 1000 Euro über die Theke. Gegenwärtig sind etwa 400 Instrumente vermietet. „Ich hatte schon Angst, dass die alle wegen Corona jetzt zurückgegeben werden. Das wäre eine kleine Katastrophe für mich geworden. Ich hätte gar nicht gewusst, wohin mit den Instrumenten. Aber das Gegenteil war der Fall. Die Leute riefen mich an und versicherten mir, dass sie oder ihre Kinder auf das Musizieren nicht verzichten wollen". Gut zu wissen. Die Miete der Instrumente wird bei einem späteren Kauf bis zu 6 Monate angerechnet. Das ist ein ausreichender Zeitraum für die Entscheidungsfindung.
Mehrere Stationen hat der 55-jährige Geigenbauer bis zur Meisterschaft genommen. Zuerst führte ihn sein Weg zur Geigenbauschule nach Mittenwald. Aus gutem Grund gibt es in dieser gottverlassenen Grenzgegend eine solche Schule, denn hier wachsen die Bäume, die traditionell das Holz für Streichinstrumente liefern. Die Nadelgehölze sollten möglichst über 1.600 Meter stehen, denn dann sind sie widerstandsfähig. „Je robuster das zu bearbeitende Holz ist, desto dünner kann es abgeschliffen werden und desto voluminöser ist der Klang", erklärt der 55-Jährige. Dann deutet er mit dem Zeigefinger auf die Decke einer Geige, die auf einem Tisch liegt. „Sehen sie", sagt er, „hier liegen die Jahresringe sehr eng beieinander. Das weist darauf hin, dass sie sehr langsam gewachsen sind. Das ist unser Material, so muss es sein". In der Grenzstadt zu Österreich machte er eine dreieinhalbjährige Ausbildung. „Ich dachte, so jetzt kann ich alles. Ich hatte mich getäuscht", sinniert er. Es zog den jungen Mann nach Leonberg. Dort arbeitete er in der Werkstatt eines europaweit bekannten Meisters. Dann beschloss er einen neuen Anlauf zu nehmen und reiste nach London. In der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs lernte er nochmals eineinhalb Jahre. „Ich kann also auf drei unterschiedliche Geigenbautraditionen zurückgreifen und mir das Beste davon nehmen".
Geigen selbst bauen, das ist die natürliche Beschäftigung eines Geigenbauers. Aber Jaumann repariert auch Streichinstrumente. „Da musst Du im Grunde genommen Tag und Nacht erreichbar sein". Hört sich merkwürdig an, ist es aber nicht. Denn, wenn einem Musiker kurz vor einem Auftritt einer seiner Bögen kaputt geht oder schlimmstenfalls ein Instrument so beschädigt wurde, dass es nicht mehr spielbar ist, dann ist das ein Albtraum für den Spieler. Meine Kunden wissen, dass ich für sie da bin, gerade auch, wenn es um Notfälle geht. Woher soll zum Beispiel ein Orchestermusiker eine Stunde vor dem Auftritt ein Instrument herzaubern, wenn seins kaputt gegangen ist?"
Reparieren oder besser gesagt, Restaurieren, ist eine der großen Leidenschaften des Wahlmünchners. Er zeigt den Boden eines Cellos. Es stammt nachweislich aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts. Also eines der ganz frühen Instrumente dieser Art. Die Rückseite ist voller Holzwurmgänge, komplett zerfressen. Normalerweise restaurieren die Geigenbauer solche Fehlstellen mit Holzkitt. „Das hört sich zunächst gut an, da gibt es aber ein großes Problem" erklärt Jaumann. Holzkitt verändert je nach Jahreszeit sein Volumen, schrumpft im Winter und dehnt sich im Sommer aus. „Das kann im schlechtesten Fall beim Spielen mitsurren und das Holz hat keine Stabilität".
Jaumann überlegte und dachte nach, dann hatte er die Lösung. Er brauchte eine Fräse, die passgenau den Holzwurmkanal aus einem anderen Stück Holz heraus fräst, damit sie anschließend in die Stelle wie ein Puzzleteil eingesetzt werden kann. Aber es gibt eine solche Maschine nicht zu kaufen. Also muss sie gebaut werden und das ist teuer. Überschlagsweise kamen da an die 20.000 Euro zusammen. Ein wesentlicher Bestandteil ist ein 3-D-Scanner, mit dem der Holzwurmgang erfasst werden kann und als Grundlage für die Fräse dient.
Der Geigenbauer erinnerte sich an sein Elektrotechnik-Studium bevor er zum Geigenbau kam. Er nahm die Sache selbst in die Hand und konstruierte diese Maschine. „Sie fräst bis auf 0,2 Millimeter genau. So wie beim Zahnarzt". Glücklicherweise gab es einen Sponsor für das Gerät. Ein alter treuer Kunde. Dieser vereinbarte mit Jaumann, dass er 80 Prozent der Kosten übernehmen würde, wenn Jaumann die restlichen 20 Prozent aufbrächte.
Wissen bekommen, aber auch Wissen weitergeben, das ist eines der Grundprinzipien von Meister Michael Jaumann. Er leitet einen Betrieb, in dem schon 12 Mitarbeiter sich vom Gesellen zum Meister weitergebildet haben und steht in regem Kontakt zu den Mitarbeitern, die seine Werkstatt verlassen haben. „Wir helfen uns gegenseitig. Das gehört sich zu einem kollegialen Meister-Mitarbeiter-Verhältnis", resümiert der Geigenbauer. www.geigenbau-jaumann.de
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