Das erste, was ich an diesem Herbsttag 2005 in der Suite des Hamburger Nobelhotels erkennen konnte, war Rauch. Viel Rauch. Nein, hier war nichts abgefackelt worden. Hier hatte auch kein ver- sehentlicher, unentdeckter Brand stattgefunden. Das Geheimnis hinter den Rauchwolken war der Gast, der sich für diesen Tag in jene Suite eingemietet hatte: Mike Oldfield. Er qualmt für sein Leben gern, immer und unentwegt.
Mike Oldfield hatte sich gerade mit neuem Album zurück ins Rampen- licht der Öffentlichkeit gemeldet, seiner damals aktuellen Doppel-CD Light + Shade. Damit hatte er wie so oft in dem Vierteljahrhundert davor ein weiteres Mal nicht mehr als musikalische Durchschnittsware abgeliefert. Eine Arbeit, wie man sie nicht wirklich im Plattenregal stehen zu haben braucht und wie man sie in den letzten Jahren von ihm leider gewohnt war.
Der Mann, der neben Brian Eno den Begriffen „Ambient" und „Chill Out" mit Alben wie Tubular Bells, Ommadawn oder Incantations in den 1970ern den entsprechend grandiosen Soundtrack verpasst hatte, suhlte sich seit endlos scheinender Zeit darin, die Pionierarbeit von einst gebetsmühlenartig neu zu intonieren, nur eben uninspirierter und langweiliger als früher. Zudem integrierte der damals 52-jährige, introvertierte Klangtüftler aus dem englischen Reading, geboren am 15. Mai 1953, in seinen heutzutage anachronistisch klingenden Sound moderne Versatzstücke wie Balearic Beats, Techno-Rhythmen oder Goa-Grooves – was seinen Versuch einer Reminiszenz an die Neuzeit erst recht verkrampft und aufgesetzt wirken ließ.
Light + Shade spiegelte – auf zwei Silberlinge verteilt – zum einen die ausgelassene, lässige und zum anderen die düstere, depressive Seite von Oldfields Naturell wider. Gerade die „Shade"-Seite erinnerte wenigstens ansatzweise an die wuchtigen orchestralen Sound-Manöver, mit denen Mikes steile Karriere zu Beginn der 70er-Jahre ihren – kommerziell wie kreativ monströsen – Lauf nahm. Schade nur, dass diese eskapistischen Ausflüge in ferne, sehnsüchtig ersehnte Welten meistens nicht allzu lange andauerten und der Hörer durch einen drögen Beat rasch wieder in die schnöde Wirklichkeit zurückgeholt wurde. Doch wie gesagt, gelegentlich schimmerte das Genie des „ewigen Wunderkinds" Mike Oldfield auch auf Light + Shade durch.
Jetzt aber erst mal durch die Rauchwolken gekämpft, um meinen Gesprächspartner zu finden. Irgendwo hörte ich eine quäkende Stimme, die durch den Nebel schallte: „Hallo, Namensvetter – lange nicht ge- sehen!" Gleich darauf schnellte mir eine Hand entgegen und Meister Oldfield umarmte mich auf seine berühmt linkische Art.
Fortsetzung folgt
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