Landsberg am Lech –  Seit mehr als 40 Jahren ist Johannes Skudlik Kantor an der Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Landsberg. Seit 1984 gibt es den „Landsberger Orgelsommer". Die Konzertreihe genießt internationales Ansehen. Die Künstler kommen aus der ganzen Welt, aber vornehmlich aus Europa. Dieses Jahr wäre das Sommerfestival wegen Corona beinahe ins Wasser gefallen. Alois Kramer hat sich mit dem Ehepaar Skudlik über Musik und den Orgelsommer unterhalten. – Das Interview stammt aus dem vorigen Jahr, ist aber immer noch aktuell. 


Alois Kramer: Wie lange planen Sie den Orgelsommer im Voraus?

Dr. Sabine Skudlik: Zwei Jahre brauchen wir in etwa Vorlauf, um einen Künstler zu buchen. Vor allem die guten Leute sind sehr begehrt und haben volle Terminkalender. Aber das ist in jedem Bereich so, wo professionell Veranstaltungen organisiert werden.

Johannes Skudlik: Allerdings haben wir mit der Landsberger Orgel ein Pfund, mit dem wir wuchern können. Hier in Landsberg zu spielen ist für viele Organisten ein Traum. Der englische Organist und Dirigent Wayne Marschall, der schon mehrfach bei uns war, nennt die Orgel in Mariä Himmelfahrt neben der Orgel in der Westminster Cathedral als die beiden, auf denen er am liebsten konzertiert. Der Kirchenraum ist einfach auch phantastisch mit seiner Akustik. Da können sich die Künstler wirklich verausgaben. Die Orgel wurde ursprünglich im Herbst 1983 fertiggestellt. Das Instrument hatte zwar 90 Register, das war rekordverdächtig viel, aber es war nicht gut disponiert. Viel zu viele Pfeifen auf zu engem Raum. Mein erster Dienstherr in Landsberg zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn, Pfarrer Beißer, war zwar sehr verständnisvoll, aber es hat trotzdem Jahre gedauert, ihn von einem Umbau zu überzeugen. Das geschah dann im Zuge einer ohnehin fälligen Entstaubung ab 1999, und zwar durch die Immenstädter Orgelbaufirma Siegfried Schmid. Seit 2003 ist die Orgel mit ihren jetzt „nur noch" 67, zum Teil neuen Registern, wirklich perfekt. Da bleiben keine Wünsche offen.


Alois Kramer: Gibt es eigentlich Vorgaben, was gespielt werden soll?

Johannes Skudlik: Nein, das machen wir nicht. Die Musiker wissen schon sehr genau, was sie gerne aufführen möchten und da sie die Disposition der Orgel kennen, wissen sie auch im Voraus, über welche klanglichen Möglichkeiten sie hier verfügen. Die einzige Maßgabe ist die Zeit. 40 oder maximal 45 Minuten, das ist die perfekte Dauer für eine Matinee. Wir sagen den Interpreten aber immer: Please play for the public. (Spielen Sie fürs Publikum). Wir bekommen einen Programmvorschlag und manchmal gibt es von unserer Seite Änderungsvorschläge. Aber das ist ein dynamischer Prozess, in gegenseitiger Absprache.So wie der Orgelsommer jetzt aussieht, war er nicht immer. Das hat sich alles so langsam entwickelt. Den ersten Orgelsommer mit fünf Matineen organisierten wir im Jahr 1984. Fünf Jahre zuvor hatte ich die Stelle als Kirchenmusiker in Mariä Himmelfahrt angetreten. Wir hatten zu Beginn auch noch Abendkonzerte. Wir haben die Kirche eigentlich das ganze Jahr über mit Konzerten bespielt. Damals wurde noch mehr geheizt... Heute machen wir in den Wintermonaten keine Konzerte mehr, mit Ausnahme des Silvesterkonzerts, dafür haben wir den Orgelsommer auf normalerweise 12 oder 13 Konzerte ausgedehnt. Stellen Sie sich unser Sommer-Publikum vor. Darunter sind viele, die nach dem Einkaufen auf dem Markt die Gelegenheit nutzen, sich in die Kirche zu begeben und Orgelmusik zu hören. Die wollen vielleicht nur entspannen. Dann gibt es natürlich auch die eingefleischten Orgel-Fans, die mit fachkundigem Interesse dem Interpreten auf der Empore zu lauschen. Wir haben ein durchaus heterogenes Publikum, das besteht eher nicht aus Musikstudenten. Ich möchte, dass unser Publikum wiederkommt. Deshalb soll die Musik beim Orgelsommer im besten Sinne auch unterhalten. Bei Orgel denken viele ja unwillkürlich: Kirche, Andacht, langsam, langweilig. Im Konzert machen viele dann eine ganz neue Erfahrung. Da kann es schon sein, wie es jüngst passiert ist, dass ein Künstler bei einer Beethoven-Improvisation tüchtig in die Manuale greift und das Spektrum des Klangs der Landsberger Orgel von leise bis richtig laut und in allen Registern ausprobiert. Natürlich haben wir es gerne, wenn zum Beispiel ein Komponist mit einem runden Geburtstag hervorgehoben wird. Dieses Jahr ist Louis Vierne dran und natürlich auch Ludwig van Beethoven. Wir feiern heuer den 150. Geburtstag des Franzosen und den 250. des Genies. 


Alois Kramer: Der Orgelsommer ist international besetzt?

Johannes Skudlik: Das ist eine meiner Intentionen und hängt natürlich auch mit meinen Tätigkeiten im Ausland zusammen, wo ich viele Kollegen kennenlerne. Wir haben dieses Jahr in elf Konzerten Künstler aus neun europäischen Nationen: aus England, Frankreich, Italien, Portugal, Spanien, der Schweiz, der Slowakei, aus Polen und natürlich auch aus Deutschland. Alle auf Top-Niveau. Viele bringen länderspezifische Vorlieben mit. Das finde ich faszinierend. So werden wir im besten Falle vertraut mit anderer Orgelliteratur, die sich von unserer unterscheidet. 


Alois Kramer: Sie hatten Glück trotz Corona. Der 35. Orgelsommer wäre doch beinahe der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen? 

Dr. Sabine Skudlik: In der Tat. Wir gingen davon aus, dass sich die diesjährige Konzertreihe erledigt hat. Anfang Juni hörte ich beim Kochen ganz zufällig eine Live-Schaltung zu einer Pressekonferenz des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Da kündigte er an, dass ab 15. Juni Kulturveranstaltungen mit bis zu 50 Personen Publikum wieder möglich sein würden. Als wir dann auch die Einwilligung der Diözese hatten, musste alles sehr schnell gehen. Wir hatten genau zwölf Tage Vorbereitungszeit vor dem ersten Konzert. Wir hatten allen Interpreten schon abgesagt, aber zum Glück bekam mein Mann bei seinen erneuten Anfragen lauter begeisterte Zusagen. Aber das erklärt sich natürlich von selbst – wo hätten sie denn sonst auftreten sollen? Nur das Programmheft mit allen Konzertprogrammen zu drucken, das haben wir bei dem kurzen Vorlauf nicht hinbekommen. Dafür gibt es eine Programmvorschau auf unserer Homepage www.landsbergerkonzerte.deDas Publikum kommt seit dem 20. Juni wieder ins Konzert. Meistens steht vor Beginn des Einlass schon eine Schar von Stammgästen vor der Tür. Leider ist heuer die Zahl der möglichen Hörer begrenzt. Beim ersten Termin waren es nur 50, dann 100. Da mussten wir sogar Besucher abweisen, das tut uns natürlich weh. Mittlerweile dürfen wir bis zu 180 Menschen in die Kirche lassen, und trotzdem haben wir ausreichend Abstände zwischen den Sitzplätzen. Ein Glück, dass Mariä Himmelfahrt so groß ist! Wir hatten übrigens schon mal eine Art Lock-Down beim Orgelsommer. Vor drei Jahren musste die Stadtpfarrkirche im August überraschend geschlossen werden, weil Stuckteilchen von der Decke herabgefallen waren. Wir sind damals nach Heilig-Engel ausgewichen. Als Veranstalter muss man sich offenbar immer auf irgendwas gefasst machen.


Alois Kramer: Sie, Herr Skudlik, sind nicht nur Veranstalter. Sie geben selbst oft Konzerte als Solist und dirigieren Orchester auf der ganzen Welt. Wie wirkte sich der Lock-Down auf Sie aus? 

Johannes Skudlik: Nun ja, mein Terminkalender war für dieses Jahr gut gefüllt. Ich hätte in Japan einige Gastspiele gehabt mit Orgelkonzerten in der berühmten Suntory-Hall, mit 2000 Zuhörern schon ausverkauft, und in der Opera City Tokio. Auch im Dom von Florenz und in der Kathedrale von Sevilla. Alles abgesagt. Am 30. März hätte ich in der Peter-und-Paul-Kathedrale in Moskau das Verdi-Requiem dirigiert. Das hat sich vorerst erledigt. Voriges Jahr dirigierte ich dort das Mozart-Requiem. Vor sechs Jahren war ich zum ersten Mal in der russischen Hauptstadt. Und in Sankt Petersburg haben wir einmal Maestro Waleri Gergijew auf der Straße getroffen. Er hatte das Mobiltelefon am Ohr mit einem offenbar sehr wichtigen Gesprächspartner. Er ist ja sehr eng mit Präsident Putin, der ihm zum 60. Geburtstag ein neues Mariinski-Theater neben das berühmte, historische Opernhaus gebaut hat. Gergijew nahm sich tatsächlich Zeit und hat uns das neue Haus gezeigt.


Alois Kramer: Moskau? Wie kommen Sie denn dahin?

Johannes Skudlik: Ich durfte einmal in Jekaterinburg als Dirigent sehr kurzfristig einspringen und das „Ural Symphony Orchestra mit den „Planeten" von Gustav Holst dirigieren. So etwas öffnet natürlich Türen.


Alois Kramer: Wer Sie im Internet sucht, bekommt ein weites Spektrum an Konzerttätigkeiten geboten. Sie sind sprichwörtlich in Landsberg beheimatet, aber in der ganzen Welt zuhause?

Johannes Skudlik: Ich bin in der Tat viel herumgekommen, Reisen ist mein Lebenselixier. Ich finde internationale Begegnungen immens wichtig und bereichernd. Deshalb auch die Gründung des „Euro-Via-Festivals" vor 15 Jahren, mit dem wir in etlichen Ländern Europas schon tolle Veranstaltungsreihen durchgeführt haben, zum Beispiel entlang historischer Routen wie der Via Claudia Augusta oder an alten Pilgerwegen. Durch die Musik und den künstlerischen Austausch lassen sich mühelos Kontakte knüpfen, und im besten Fall sogar Brücken bauen und eventuelle Vorurteile abbauen. Das ist mir wirklich ein Anliegen.


Alois Kramer: Sie haben einen grandiosen Organisten in Paris entdeckt?

Johannes Skudlik: Ja, Karol Mossakowski. Er ist jetzt 30 Jahre alt und unglaublich talentiert. Er war schon einmal beim Orgelsommer, genau als wir 2017 nach Heilig Engel ausweichen mussten. Da hat er sehr kurzfristig sein Programm geändert und man konnte ihm bei seinem Spiel zusehen. Heuer darf er sich jetzt endlich an der großen Orgel in Mariä Himmelfahrt austoben. Wir haben ihn kennengelernt, als wir 2014 eine dreimonatige Fortbildungszeit in Paris verbrachten. Das war sehr spannend. Ich besuchte die verschiedenen Konservatorien in der französischen Hauptstadt und hospitierte im Unterricht bei all den berühmten Meistern,die alle schon in Landsberg konzertiert hatten: zum Beispiel Olivier Latry, Thierry Escaich, Naji Hakim und Pierre Pincemaille. Paris ist ja das reinste Orgel-Mekka. Die Franzosen haben eine ganz andere Orgeltradition, auch eine andere Klangsprache. Es war sehr inspirierend, in diese Welt einzutauchen. Mossakowski war damals junger Student bei Escaich und hat mich gleich begeistert.


Alois Kramer: Sie haben dem Landsberger Publikum mit dem Orgelsommer nicht nur große Orgelwerke erschlossen, sondern auch zahlreiche zeitlose geistliche und weltliche Werke, wie vor sieben Jahren das Verdi-Requiem?

Johannes Skudlik: Das Verdi-Requiem hatten wir schon 1988 als Landsberger Erstaufführung auf dem Programm. Mit „wir" meine ich den Landsberger Oratorienchor, mit dem ich über die Jahre eigentlich sämtliche großen Hauptwerke an Messen und Oratorien aufgeführt habe. Dazu auch viele symphonische Werke, vor allem aus der Romantik: mehrfach Bruckner und Mahler, das war für Landsberg alles neu. Vor vielen Jahren war sogar Johann Sebastian Bach noch relativ neu für Landsberg. 1985 zum 300. Geburtstag wurde im Rahmen der „Internationalen Landsberger Orgelkonzerte", worin der „Orgelsommer" integriert war, in 16 Konzerten Bachs gesamtes Orgelwerk aufgeführt. In den90er Jahren habe ich dann im Alleingang das gesamte „Clavierwerk" Bachs konzertant gespielt, vor allem auf dem Cembalo, zum Teil aber auch auf dem Klavier. Ja, in Landsberg konnte ich mich auf vielen Gebieten ausprobieren und es waren tolle Konzert-Events!