St. Ottilien – Am 27. Mai 1945 spielten Holocaust-Überlebende ihr "Befreiungskonzert" in der Erzabtei Sankt Ottilien. Als 1. Artist in Residence des klösterlichen Liberation Concert-Erinnerungsprojektes komponiert Eliav Kohl aus Israel nun ein Werk für das Kaunas Streichquartett aus Litauen – für Freiheit, Toleranz und Wahrheit.

Sein zweiwöchiges „Stipendiat" lässt den jungen jüdischen Komponisten aus Tel Aviv derzeit tief in die oberbayerische Region, in die jüdische Vergangenheit im und außerhalb des Klosters ein- tauchen. Eindrücke, die der Doktorand für Komposition an der Universität in New York in seinem Musikwerk für „Freiheit, Toleranz und Wahrheit" verarbeitet. Mit seinem Artist-in-Residence-Projekt erinnert St. Ottilien an das legendäre Befreiungskonzert von überlebenden jüdischen Musikerinnen und Musikern aus dem Orchester des Ghetto Kaunas, das diese am 27. Mai 1945 im Kloster spielten.

Kaunas steht auch im Mittelpunkt des 4. LIBERATION CONCERT am 1. September, das der gemeinnützige Verein Kultur am Ammersee e.V. seit 2018 im Rahmen ihres Klassikfestivals AMMERSEErenade veranstaltet. In Erinnerung an das Ghetto-Orchester entsendet die litauische Kulturhauptstadt Europas 2022 ihr Kaunas String Quartet nach St. Ottilien, um das Werk von Eliav Kohl, Enkel einer Holocaust-Überlebenden, uraufzuführen. Das Streichquartett nimmt da- bei auch die Verbindungsrolle zwischen Vergangenheit und Gegenwart ein. Freiheit und Befreiung sind seit dem mörderischen Russland-Krieg in der Ukraine auch zentrale Themen der Baltischen Länder.

Noch stehen einige Höhepunkte auf dem Reiseplan von Eliav Kohl, bevor er seine Heimreise nach Tel Aviv am Sonntag antritt. Morgen stellt er seine Kompositionsidee erstmals im Steinway-Showroom in München vor, begleitet von einem Konzert des Preisträgers des internationalen Beethoven Klavierwettbewerbs 2021, Aris Alexander Blettenberg, und am Freitag folgt das Gespräch mit dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Dr. Felix Klein, gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten Michael Kießling (CSU), in Berlin.

Künstler als Impulsgeber

Das Projekt "Artist in Residence" ist eine gemeinsame Initiative von Kloster und Kultur am Ammersee e.V.. Mit der Wahl Kohls würdigten die Erzabtei und eine Expertenjury dessen "überzeugende Werkidee" zu der Themenvorgabe "Freiheit, Toleranz und Wahrheit". Der Jury gehörten unter anderen die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung an.

Von 1945 bis 1948 hatte die amerikanische Armee, später die UNRRA, in der Abtei ein Kranken- haus für ehemalige jüdische KZ-Häftlinge, Displaced Persons (DPs), eingerichtet. St. Ottilien entwickelte sich in diesen Jahren nach dem Holocaust zu einem kulturellen und politischen Zentrum für den Neubeginn jüdischen Lebens in Deutschland. Hier wurde sogar die erste Talmudausgabe in Deutschland nach dem Krieg gedruckt, hier und in den DP-Lagern der Umgebung spielte ein eigenes „Ottilien-Orchester" und hier gab es auch eine eigen Entbindungsstation, wo über 400 Kinder , die sogenannten Ottilien-Babies, das Licht der Welt erblickten.