Jeden Tag lesen Sie auf aloys.news eine Folge aus dem Buch des Dießener Journalisten Michael Fuchs-Gamböck. Es trägt den Titel "Er hatte sie alle. 50 Geschichten aus 25 Jahren Rock 'n' Roll-, Rock- & Pop-Abenteuer" und ist vor drei Jahren erschienen.

Folge 134: Interview mit David Byrne von den Talking Heads in Münchner Edelhotel Teil 3

FRAGE: Auch milder, was deine frühere, berühmt-berüchtigte paranoide Todesangst angeht?
BYRNE: Ich sehe den Tod heute eher als einen zuverlässigen Partner an, als treuen Begleiter, mit dem du dich arrangieren solltest, weil er eh für immer an deiner Seite sein wird. Früher wollte ich den Kerl unter allen Umständen loswerden, ich wollte unsterblich sein. Heute kann ich über diesen Unsinn von einst nur freundlich lächeln. Deshalb konzentriere ich mich inzwischen mehr auf die Musik und versuche nicht mehr, plakative Parolen in die Welt zu posaunen. Das ist pubertärer Scheiß!

FRAGE: Apropos „Musik": Auf Feelings hast du noch kontroversere, unmöglichere Stilmixe kombiniert als bislang, etwa Jungle mit Country & Western vermengt, Punk mit Tex Mex, Cajun mit indischer Sitarmusik. Ist das die einzige Chance, in der Postmoderne innovativ zu arbeiten?
BYRNE: Die Sache so zu betrachten, ist auch ein Aspekt, klar! Aber um ehrlich zu sein, haben sich diese Lieder beinahe von selbst geschrieben, so abgeschmackt das klingen mag. Ich hatte ein paar Ideen im Kopf, habe ein paar musikalische Freunde kontaktiert, bin zu ihnen geflogen, zum Teil in die entferntesten Gegenden der Welt, und wir machten daraus eine Kooperation.
Überhaupt, das Reisen: Es spielt eine elementare Rolle auf dieser Platte. Ich habe unglaublich viele Kilometer zurückgelegt, um mit all den Musikern zu spielen, die man auf der Platte hören kann. Und nicht nur diese Leute, sondern auch die Tatsache, zu ihnen zu kommen, hatte ganz entscheidende Einflüsse auf die Songs. Die Lieder waren ja einem stetigen Wechsel unterzogen. Und vielleicht ist das in der Tat die postmoderne Art, zu komponieren, wer weiß?

FRAGE: Du meinst, ständig in Bewegung zu sein, ist symptomatisch für die Kultur von heute?
BYRNE: Klar, weil es heute kein Problem mehr ist, beträchtliche Strecken in relativ kurzer Zeit zurückzulegen. Du sitzt zwölf Stunden im Flieger, steigst aus und bist in einem völlig anderen Kulturkreis.

FRAGE: Und läufst dabei Gefahr, deine eigene Identität zu verlieren ...
BYRNE: Glaub mir, es ist gut, wenn man seine Identität verliert. Das ist ein absolut ekstatisches Gefühl, besser als jede halluzinogene Droge. Der moderne Mensch muss sich selbst verlieren, weil es altmodisch ist, wenn man sich an einer politischen Partei, einem Sportverein, seiner Nachbarschaft oder ähnlichen Klischees orientiert.

Ich kann doch nur weltoffen sein, wenn ich mich überall, wo ich mich gerade aufhalte, völlig darauf einlasse und zu Hause fühle. Wenn ich aber als Mensch mit einer festgefahrenen Identität irgendwo hinkomme, bin ich überall derselbe dumpfe Sack, der nicht bereit ist, irgendetwas dazuzulernen. Dann kann ich auch – in meinem Falle – in New York bleiben. 

Morgen geht's weiter mit dem Interview