Jeden Tag lesen Sie auf aloys.news eine Folge aus dem Buch des Dießener Journalisten Michael Fuchs-Gamböck. Es trägt den Titel "Er hatte sie alle. 50 Geschichten aus 25 Jahren Rock 'n' Roll-, Rock- & Pop-Abenteuer" und ist vor drei Jahren erschienen.

Folge 135: Interview mit David Byrne von den Talking Heads in Münchner Edelhotel Teil 4 und Schluss

FRAGE: Du brauchst also keine gewohnte Umgebung, um zu wissen, wer du bist?BYRNE: Nein, weil das für mich auch gar nicht mehr funktioniert. Schau mal, ich lebe in New York – ein Mikrokosmos für sich. Der Besitzer des Schnapsladens, in dem ich einkaufe, ist Koreaner. Der Gemüsehändler ist Pakistani. Der Restaurantbesitzer ist Italiener. Der Zigarettenhändler ist Ire. Ich muss also nur ein paar Blocks laufen und halte mich in völlig unterschiedlichen Welten auf. Schon an diesem extremen Beispiel sieht man, dass der Gedanke von der „vertrauten Gemeinschaft" heutzutage einfach nicht mehr zieht. Das hat sicher seine Nachteile, weil sich einige Menschen danach sehnen und in der modernen Welt verlorengehen werden. Aber ich für mich habe irgendwann beschlossen, dass meine Identität so groß ist wie dieser Planet. Mindestens! Nur so habe ich die Chance, dem Zeitgeist auf der Spur zu bleiben und Musik für das Heute zu komponieren. Nichts anderes habe ich je gewollt.

FRAGE: Du hast mal behauptet, dass du niemals so schizophren sein könntest, wie es die Welt seit jeher ist. Das bedeutet aber, du musst dich einst dennoch für ziemlich durchgeknallt gehalten haben ...
BYRNE: Hab ich auch, ich steckte voller Lebensangst, rannte von einem Psychiater zum nächsten und wunderte mich, dass keiner Antworten für mich bereithielt, die mir aus der Misere halfen. Und dann habe ich mich mehr und mehr mit der Musik beschäftigt, und tatsächlich, sie konnte mich heilen. Je tiefer ich in die Musik einstieg und je mehr ich damit meine Paranoia öffentlich bloßlegte, desto gelöster war ich in dem, was man gemeinhin „privates Privatleben" nennt.
Es gibt einen Dokumentarfilm über den Cartoon-Zeichner Robert Crumb, der ja seit jeher wüstes Zeug zeichnet, Sex- und Gewaltfantasien, wirklich obszöne Dinge. Und dann wurde er in diesem Streifen bei sich zu Hause gezeigt, mit der Familie, in seinem Garten, mit einer Hauskatze. Unglaublich idyllisch und auch ein bisschen langweilig, das Ganze. Aber ich glaube, der Mann ist total ausgeglichen und sicher auch ein guter Vater für seine Kinder. Jedenfalls, dieser Kerl hat mich an meine eigene Person erinnert, weil ich seit vielen Jahren auch alles auskotzen muss, rein künstlerisch, um in meiner Mitte zu sein.
Das ist natürlich die alte Idee von Kunst als Therapie, ganz eindeutig. Ob mein egozentrisches Verhalten dem Konsumenten gegenüber fair ist, weiß ich nicht. Doch es gibt nichts, was ich sonst in dieser Welt tun könnte. Und diese Vorgehensweise war auf jeden Fall meine einzige Chance, um all die Jahre zu überleben und nicht vollkommen verrückt zu werden. Tja, so einfach ist das manchmal im Leben.

FRAGE: Letzte Frage, die du aber nicht beantworten musst, da ich weiß, dass du nicht gerne darauf angesprochen wirst. Dennoch: Ist das Kapitel „Talking Heads" endgültig für dich abgeschlossen?
BYRNE: Ja, weil ich nicht wüsste, was ich mit diesen Leuten heutzutage anfangen sollte. Ich habe auch keinen Kontakt mehr zu den drei anderen Bandmitgliedern. Dieses Thema hat sich für mich erledigt, einfach so. Und ich muss sagen: Ich bin nicht die Spur unglücklich darüber. Aber ich bin nach wie vor stolz auf das, was wir einst gemacht haben. Die Talking Heads waren eine tolle Band. Doch sie gehören eben der Vergangenheit an. Für immer. Ich bin absolut keiner, der sich nostalgisch nach hinten orientiert. Ganz und gar nicht.