Dießen – Meistens ist es kein Zufall, welche Bücher man zur Hand nimmt, welche man nach den ersten Zeilen aus der Hand legt und welche man immer wieder liest. In der Reihe "Bücher prägen Menschen" möchte Alois Kramer von Menschen aus der Region wissen, welche Bücher, welchen Einfluss auf sie gehabt haben. Diese Woche antwortet die Dießen-Dettenschwanger Autorin Katalin Fischer auf die Fragen von aloys.news. 

Wer die Antworten von anderen Befragten lesen möchte, gibt am besten den Begriff "prägen" in die Suchfunktion ein. 

Katalin Fischer, aus Budapest über München, Paris, Tel Aviv nach Dießen gekommen, Journalistin, Schriftstellerin, Theaterregisseurin, macht gern alles Mögliche und das ständig.  

Das Buch, das ich gerade lese
„Fürst Lahovary" von Georges Manolescu – die Autobiografie eines Hochstaplers um 1900, der die Vorlage für Thomas Manns „Felix Krull" lieferte. Es wirft ein Schlaglicht auf das Fin de Siècle mit all seinem Glanz und Schatten – eben auch auf Klassenunterschiede und Vorurteile, auf Rassismus und Menschenverachtung. Und all das ist noch gar nicht so lange her. Zudem: Der Autor bezeichnet sich unverblümt als jemand, der die Ehre zugunsten des Geldes aufgegeben hat. Imponierend.

Das Buch, das mein Leben verändert hat
„Die Jungen von der Paulstraße", ein ungarisches Kinderbuch von Ferenc Molnár. Es geht um zwei Kinderbanden, die sich bekriegen. Da habe ich gelernt, dass man mutig sein, die Schwachen schützen und immer für die Gerechtigkeit kämpfen muss.

Das Buch, das ich gerne geschrieben hätte
Mein neues. Die Fortsetzung meiner Familiengeschichte „Die Fischers, die Hamburgers und die Bánds". Jetzt geht es dann um meine Eltern, meine Geschwister und mich – habe ich noch nicht geschrieben. Hätte es aber gern.

Das Buch, das meine Art zu schreiben beeinflusst hat
Puuuh – vermutlich alle. Alle Bücher, alles Leben. Alles, was mich zum Ich gemacht hat.

Das am meisten unterschätzte Buch
Für mich vielleicht „Die 13 ½ Leben des Käpt`n Blaubär" von Walter Moers. Ich nahm es mit dem Hochmut des Intellektuellen zur Hand, der sich dazu herabläßt, ein Kinderbuch zu lesen. Und anfangs kommt es auch als solches daher, bis ich – staunend – immer mehr Hintergründe darin entdeckt habe. Die in Gestalt des Geisterschiffes Moloch gipfelten! Da war ich hin und weg. Überhaupt: Moers – was für eine Fantasie! Welcher Reichtum an Geist und humorgefütterter subtiler Weisheit!

Das Buch, das mein Denken verändert hat
Jedes. Jedes, das mir neue Standpunkte eröffnet, Einblicke gibt, die ich vorher nicht hatte. Egal welches Genre, auch heitere oder abenteuerliche Bücher können das, wenn sie gut sind. Wenn sie keine Einblicke gewähren – hm. Schade um die Zeit.

Das Buch, bei dem ich zuletzt weinen musste
Ich bin keine Heulerin. Nicht bei Büchern, nicht bei Filmen, nicht vor Menschen. Aber es gab tatsächlich einmal ein Buch, bei dem ich Tränen vergossen habe. Welches – das verrate ich nicht.

Das letzte Buch, das mich zum Lachen gebracht hat
Das gibt es leider nicht auf Deutsch. Oder wenn, dann in so schlechter Übersetzung, dass die Zehennägel aufschreien. Es ist „Dirty Fred, der Kapitän" und andere Werke von Jenö Rejtö. Ein ungarischer Schriftsteller, der im KZ ermordet wurde – wo er noch bin zum letzten Tag seine Mitgefangenen zum Lachen brachte. Er schrieb leichtfüßige Abenteuerromane, doch schimmert durch die Handlung – trotz umwerfender Komik – immer auch die Bildung des Autors, seine philosophische Tiefe und moralische Integrität hindurch.
Wenn sich nur fünf Leute finden, die Interesse daran haben, übersetze ich es!

Das Buch, das ich nicht zu Ende lesen konnte
Also – eigentlich hatte ich es ja zu Ende gelesen. In meiner Jugend. Habe es sogar verschlungen. Deshalb wollte ich es auch später noch einmal lesen – und konnte es nicht: „Krieg und Frieden" von Leo Tostoi. Die Schlachten, das gesellschaftliche Leben der russischen Aristokratie, die Liebe zwischen Natascha und Fürst Andrej, all das fesselte, ja fasztinierte mich. Als ich es zwanzig Jahre später wieder in die Hand nahm, scheiterte ich auf Seite zweiundfünfzig. Diese eeeewigen Schilderungen der Armeebewegungen des Generals Kutusow … keine Ahnung, wie ich das als junges Mädchen überstanden habe.

Das Buch, bei dem ich mich schäme, es nicht gelesen zu haben 
Gibt es nicht. Warum sollte ich?


Das Buch, das ich gerne verschenke
Shel Silverstein „The Missing Piece Meets the Big O". Ich bekam es auf Hebräisch, habe es aber übersetzt, nachgezeichnet und einige Male verschenkt. Es geht um das kleine dreieckige Stückchen, das nach dem Partner sucht, dem es fehlt. Aber mal ist es zu klein für die fehlende Stelle am anderen, mal wächst es plötzlich und wird zu groß. Bis es das große O trifft, das ihm gut gefällt. Bin ich vielleicht dein fehlendes Stückchen? fragt es. Mir fehlt nichts, ich will nur rollen, sagt das große O. Und das kannst du auch. Erst glaubt das Stückchen das nicht, versucht es aber trotzdem. Nach und nach runden sich seine Ecken, und allmählich kann es wirklich rollen. Sie rollen nebeneinander her, und es ist kein fehlendes Stückchen mehr, sondern autark. Ganz einfache Strichzeichnungen, auf jeder Seite eine, dazu ein-zwei Sätze. Eines der großartigsten Bücher überhaupt. Der perfekte Lebensratgeber. 


Das Buch, an das ich mich am liebsten erinnere 
Am liebsten? Sehr viele. Die kann man doch nicht alle aufzählen! Gustav Schwab „Sagen des klassischen Altertums", alle Mythologien, vor allem die ägyptischen, griechischen und indischen, Tolstoi, vor allem die Novellen, Turgenev „Väter und Söhne", Wladimir Kaminer, Meyrinck, Stefan Zweig, vor allem die „Schachnovelle", Paul Auster, Thomas Mann, „Josef" und die Novellen, Theaterstücke von Dürrenmatt und Frisch, Pirandello, Shakespeare, Albee, Karel Capek „Der Krieg mit den Molchen", Michael Ende, Agatha Christie, Mariana Leky „Was man von hier aus sehen kann" … keine Ahnung, das ist doch unendlich!

Mein erstes Leseerlebnis 
Die bereits erwähnten „Die Jungen von der Paulstraße". Davor gab es schon einen guten literarischen Unterbrau durch viel Vorgelesenes: Ungarische Volksmärchen mit unvergesslichen siebenköpfigen Drachen und Prinzessinnen in Strohhalmen und sich auf Entenfüßen drehenden Königsschlössern, aber auch „Nils Holgersson" und immer wieder „Puh der Bär".

Was ich in diesem Bücher-Fragebogen vermisse. Die Frage: Was ich ihn diesem Fragebogen vermisse!
Meine Zusatzfrage: Welches ist DAS SCHÖNSTE BUCH DER WELT?
„Josef und seine Brüder" von Thomas Mann. Ich habe es dreimal gelesen und jedesmal hatte ich am Ende Heimweh danach. Man darf nur den Fehler nicht machen und beim 1. Kapitel beginnen! Dann versteht man kein Wort und gibt auf. Also – beim zweiten anfangen! Am Ende, wenn man fertig ist, freut man sich, dass man das 1. Kapitel noch vor sich hat.