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Demokratie und tiefe Ökologie. Von Dr. Peter Erlenwein aus Dießen

Fruchtbarer Boden wird immer kostbarer.  Archivfoto: aloys.news

Dießen – Es gibt die noch immer weit verbreitete Meinung, dass es sich in Fragen heraufziehender Klimakatastrophen und Artensterben vornehmlich um wissenschaftlich-technische Themenstellungen handle, die mit entsprechenden Mitteln gelöst werden müßten, natürlich ohne die ökonomischen Sachverhalte zu sehr zu strapazieren, wie es gerne heißt. Hierbei kommt der Publizistik eine zentrale Rolle zu, wie man weiß – nicht nur auf höheren Ebenen der Politik sondern ebenso auf der lokalen. So vermeinte der Raistinger Bürgermeister vor einer längeren Weile feststellen zu müssen, dass der Begriff Flächenfraß ‚ein Schmarrn' sei; Fläche werde nicht verbraucht, sondern nur anderweitig genutzt. Dies hätten die Bürgermeister festgestellt. Ein dummdreister rhetorischer Schlag gegen die Öko- Bewegung. Denn Flächenfraß bedeutet genau, was das Wort ausdrückt: hier wird Land, Erde, Boden aufgefressen, sprich asphaltiert, betoniert, zerstückelt,für Lebewesen aller Art (außer homo sapiens) ausradiert. Anders gesagt, nutzen meint schlicht Bauland aus Grünland zu machen, wie es gerade wieder Raisting mit der Ausweisung neuer Baugebiete zeigt, ebenso die Gemeinde Pähl, die den Innenraum des Ortes kuschelig hält, um dafür umso weit verzweigter ins Umland zu investieren:

Zerbröselung zusammenhängender Landschaftsgebiete ist die übliche Folge mit dem steigenden Verlust pflanzlich- tierischer Artenvielfalt. Wo sind Lerche und Kiebitz, Heckenbraunelle und Eule abgeblieben? Anderweitig untergebracht? Nein, schlicht durchs Raster gefallen. Ähnliches in Landsberg, das kostbares Ackerland in Betonlandschaft umgemodelt hat, in Zeiten wo fruchtbarer Boden immer kostbarer wird. Stattdessen das Übliche: Wachstum, der Fetisch moderner Wirtschaft. Doch solches Wachstum gibt es nur auf Kosten von Schrumpfungen anderswo, eben bei der Artenvielfalt oder im Bereich mehr oder minder guter Böden oder der Zerstörung traditioneller Bausubstanz auf den Dörfern, wie in Schondorf oder Utting zu besichtigen. Verdichtung nennt man das gern- eine verharmlosendes Wort für Verlust lokaler Architektur.

Vor den nächsten Bundestagswahlen heißt es daher für eine engagierte Zivilgesellschaft, der Routine einer lokal-regionalen Politik zu widerstehen, für die der Bauausschuss das Maß aller Dinge -business as usual- ist. Anders ausgedrückt, Land scheibchenweise für einen kapitalinvasiven Immobilienmarkt preiszugeben.Man möchte auch, wie jener Bürgermeister mitteilen ließ ‚keine Reglementierungen von oben' , sprich denen, die da in den Ministerien etwa nun zu viel in Öko machen wollten; man wisse selbst am besten, was zu tun sei.' Wirklich, fragt man sich?

Aber die Pointe kommt noch: man müsse ja in Infrastruktur und bezahlbaren Wohnraum investieren. Ein Pseudoargument, das auf der üblichen politischen Rhetorik beruht, das Soziale gegen das Ökologische auszuspielen. Wenn man die Wirtschaftspolitik in Oberbayern länger verfolgt, so zeigt sich, dass der Slogan immer lautete: kommt zu uns alle ins gelobte Land, die ihr Kapital habt und es vermehren wollt. So kamen und kommen sie und damit in den letzten Jahren die irrwitzigsten Preissteigerungen auf dem Immobilienmarkt seit Beginn der BRD. Wer heutzutage im Ammerseeland wohnen darf, das regelt dieser Markt, sprich die Geldbörse, und keine noch so freundliche Sozialbauattitude kann die Tatsache verwischen, dass für die sogenannten kleinen Leute (Künstler, Handwerker, Angestellte etc.) pekuniär gesehen kein Plätzchen mehr frei ist

"Der Unwille und die Unfähigkeit, die Endlichkeit der verfügbaren Optionen auch nur zu denken, zeigt die Schwerkraft, die die Vorstellung eines immer währenden Fortschritts und Aufstiegs in unserem kulturellen Habitus hat. Die Zukunft ist wie jetzt, nur besser. Die Vorstellung, dass die Zukunft schon hinter uns liegen könnte, scheint bizarr", stellen die bekannten Kulturwissenschaftler C.Leggewie/ H. Welzer in ihrem bemerkenswerten Buch: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten fest.

Kapitalorientiertes Wachstum greift selektiv, daher ist es der Logik der Ökologie, des Oikos, des Erdhaushaltes, der in Recyclingweisen denkt und so fruchtbar bleibt, qualitativ weit unterlegen. Ersteres verhandelt Dinge, einschließlich Konsumenten, letzteres ist an der Evolution der Intelligenz lebendiger Organismen und natürlicher Netzwerke orientiert, die in Kreisläufen von Geben und Nehmen agieren: Gemeinwohlökonomie der Natur.

Tiefenökologie verweist darauf, dass weitere Temperaturanstiege für Jahrtausende nicht mehr rückgängig zu machen sind. Es bedarf daher entscheidender Schritte in Richtung einer ökologisch orientierten Demokratie,die einen konstanten zivilgesellschaftlicher Dialog mit unten wie oben über grundlegende Fragen wie Eigentum (als Verpflichtung), Grenzen des Wachstums/ Beendigung des Autoverkehrs in Städten und Gemeinden etc. zu führen bereit ist. Für den mit dem Titel Luftkurort geschmückten Markt Dießen gilt das u.a. angesichts eines inzwischen komplett ausufernden Verkehrs. Ein offenes Denken und Handeln, jenseits von ‚mia san mia'.Gerade im Nachgeschmack einer Pandemie wie Covid.

Um solche Not-Wendigkeiten stärker zu forcieren, hatte die ‚Fridays For Future' Gruppe in Traunstein beizeiten den Stadtrat aufgefordert, den Klimanotstand auszurufen! unter Berufung auf Artikel 20a des Grundgesetzes:

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und dieTiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

Durch solche Forderung ist man erst eigentlich auf Augenhöhe mit der heutigen dramatischen Situation; keines Verweises auf irgendwelche anderen höheren politischen Ebenen bedarf es, sondern der kontinuierlichen Vernetzung der Erkenntnisse des UN-Klimarates mit den jeweiligen Gegebenheiten der Kommunitäten vor Ort; sie ist die Basis für authentische Veränderungen. U.a. mit dem Verzicht auf Erschließung neuer Ortsteile oder Industriegewerbegebiete auf Grün- und Waldflächen/ Straßengärten, des weiteren die Einrichtung eines Ökoausschusses als richtungsweisendeVorbildfunktion für die Kommunen auf Kreis – und Landtagsebene gegenüber Gewerbe und Industrie. Darüberhinaus die Einrichtung eines Klimarates, zur Erreichung einer Klimaneutralität bis 2025 u.s.w. (siehe Forderungen von Fridays for Future an die Stadt Traunstein). Lokal muß global denken!

Revolutionen werden heute nicht mehr von rechts oder links angezettelt; das war 20. Jahrhundert. Heute sind wir weiter, sprich in der Mitte angelangt. Seit Beginn des 21. Jhrdts. kommen sie aus dem Zentrum der Kältezone eines hochgerüsteten Technokapitalismus, mit Gen- und Nanotechnik, Internet, Smartphone und Neuroscience einer neoliberalen Elite. Fast jedem zugänglich mit erschreckenden Folgen,- von Darknet im Inneren bis Naturverheerung außen. 5Gzum Beispiel ist die nächste Tsunamiwelle einer auf Milliarden € Gewinnmarge schielenden Digitalwirtschaft; politisch von oben verordnet, unter Umgehung der Warnungen von u.a. 400 Wissenschaftlern vor den potentiellen schon erkennbaren Risiken wie Krebserkrankungen und Verstrahlungen, mit Herz/Rhythmusstörungen bis hin zu Genschäden. Die Vorschläge für ein Moratorium zur weiteren Erforschung gesundheitlicher Schäden für Menschen wie Tier/Pflanze (Strahlungsverseuchung) wurden gar nicht erst erwogen! Nicht zu sprechen von der radikalen Schrumpfung personaler Freiheiten zugunsten eines allseits kontrollierbaren gläsernen Bürgers, besser Konsumenten.

Demnächst also links Blühstreifen, rechts höchstfrequente 5G Masten? Solchen Herausforderungen sehen sich nun auch Dießen und die anderen Ammerseegemeinden gegenüber. Wollen sie mehr als Orte gehobenen Kultur- und Naturkonsums sein, sollten sie die urdemokratischen Gemeinwohlidee der Allmende ins Auge fassen- Gemeinsam sind wir stärker:

"Denn heute ist eine Perspektive der Endlichkeit in den linearen Fortschritt eingezogen,die dem modernen Denken fremd, ja geradezu ungeheuerlich ist. Risiken verwandeln sich zurück in Gefahren: Nicht nur die Rohstoffe sind endlich: mit ihnen könnten auch die großen Errungenschaften der westlichen Moderne zur Neige gehen, als da sind- Marktwirtschaft, Zivilgesellschaft und Demokratie. Der Klimawandel ist somit ein Kulturwandel und ein Ausblick auf zukünftige Lebensverhältnisse". (C. Leggewie/H.Welzer)

Joseph Beuys, Künstler, Anthroposoph und Mitbegründer der Grünen sprach von dem Verlust des Wärmestromes, der durch den Globalkapitalismus verursacht wird. Konkret heißt das u.a: Nachdem 80 Prozent der Wälder in deutschen Landen mehrheitlich irreparabel geschädigt sind, sind die Forstverwaltungen nun dringlichst angehalten, Mischwald zu entwickeln, bzw.oft besser noch, die Wälder sich selbst zu überlassen, sprich zu verwildern statt Monokulturen für Profite weiter aufrecht zu erhalten; Notwendigkeiten, die man schon vor 50 Jahren wissen konnte.

Der umfassenderen Herausforderung einer tiefen Ökologie, nämlich den Wärme- oder Liebesstrom der Evolution des LEBENS zu spüren, kommen wir allerdings erst dann näher, wenn ‚Mischwald' mehr bedeutet als zukünftig auf das Heil durch drei, vier strapazierfähigere Baumartenanpflanzungen zu setzen. Eine lebendige Beziehung zum Ökosystem Wald, dessen Luft/Atem buchstäblich unsere grüne Lunge bekundet, entfaltet sich nur, wenn wir sie als einen innersten Weckrufan unsere eigene Lebens-und Liebeswirklichkeit begreifen- ein steter Kontemplationsraum für den subtilen Zusammenhang zwischen irdischen und kosmischen Kräften, derfür unser nicht allein materielles sondern ebenso geistiges (Über)-Leben existentiell ist: der UNO-Klimarat gibt uns noch 10 Jahre bis zum ökologischen Kipppunkt.

Tatsache ist, ein Temperaturanstieg um mehrere Grad wäre (für Jahrtausende) nicht mehr rückgängig zu machen; Erschrecken und Zorn der Greta Thunberg bleiben daher all-tägliche Herausforderung wie Ansporn in einer Demokratie, deren Grund-Satz angesichts unseres ökologischen Fußabdrucks ( dessenjährliche Auslastung wir schon mit dem 5. Mai!! erreicht hatten) lauten muß: weniger von allen Dingen. Dafür braucht es einen Systemwechsel, wie Louise Neubauer (Fridays for future) im Magazin ‚Der Spiegel' deutlich zum Ausdruck brachte. Im Herbst stehen Neuwahlen an; man wird sehen, wieviel wirkliches artenreiches Grün (auch bei den Grünen) dann zum Wirken kommen darf. 

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