Aber wie denken die Menschen, die über Jahrzehnte in unmittelbarer Nähe dieser „unbeherrschbaren" Technik gelebt haben oder als Personal im Kraftwerk direkt mit ihr in Berührung kamen. Ich bin am Tag der Abschaltung in das Dorf Niederaichbach bei Landshut gefahren, um darüber etwas in Erfahrung zu bringen. Die Niederaichbacher leben sozusagen auf Tuchfühlung mit ISAR 2. Das Kraftwerk ist gerade einen Kilometer vom Ort entfernt.
Claudia Reißner, die Inhaberin von Gasthof und Pension Kirchenwirt, zögert keinen Augenblick, als der Besucher sie fragt, was sie von der Abschaltung hält: „Völlig falsch. Ich bin mit dem Kraftwerk aufgewachsen und habe hier auch meine drei Kinder groß gezogen. Wir haben uns nie unsicher gefühlt". Ob sie denn jemanden im Ort kenne, der froh über die Abschaltung sei. Sie kenne niemanden, ihr Mann und ihre Mutter nickend zustimmend.
Eine Einwohnerin, die von ihrer Terrasse direkt auf den riesigen Kühlturm blickt, sagt dem vorbeigehenden Passanten: „Wir wohnen seit 25 Jahren hier und haben uns immer wohl gefühlt. Wir haben nie daran gedacht, von hier wegzuziehen".
Auf dem Parkplatz vor dem Kraftwerk treffe ich auf einen älteren Herren, der sinnend auf den Kühlturm und die Reaktorkuppel blickt. Ich erfahre, dass er von 1985 bis 2017 im Kraftwerk tätig war. Es ist Reinhard Kaschel, zuletzt leitete er die Abteilung "Entsorgung von radioaktivem Material". Er blickt mit Stolz auf sein Berufsleben zurück: „Es war mir eine Ehre, in ISAR 2 zu arbeiten und so zur Energieversorgung Deutschlands beizutragen." Die Abschaltung des einwandfrei laufenden Kraftwerks erfülle ihn mit einer gewissen Wehmut. Der vertraute Anblick der mächtigen Dampfwolke aus dem Kühlturm, die anzeigte, wenn das Kraftwerk mit voller Leistung arbeitete, werde ihm in Zukunft fehlen.
Einige Stunden später, als es schon dunkel ist, habe ich eine ähnliche Begegnung. Fast vom gleichen Standpunkt aus blickt eine Person ebenfalls beständig auf das Kraftwerk. Wie sich herausstellt, ist es ein noch aktiver Mitarbeiter von Preußen Elektra, die ISAR 2 betreibt. Er kennt nicht nur dieses Kraftwerk, sondern hat als Spezialist für Risikomanagement viele andere Atomkraftwerke in Europa gesehen. Überall würden die deutschen Meiler mit ihren Sicherheitsstandards als Vorbild gesehen. Dass ausgerechnet diese nun stillgelegt würden, löse nur Kopfschütteln aus.
Spät am Abend hat sich vor dem Kraftwerk eine kleine Gruppe von Atomkraftgegnern versammelt. Sie haben ein Plakat von ihren früheren Demonstrationen mitgebracht und stoßen auf das Aus von ISAR 2 mit Sekt an. Aus Niederaichbach ist keiner unter den Feiernden.
Am Morgen nach der Abschaltung treffe ich vor der Pension auf zwei Monteure, die im Kraftwerk arbeiten. Als ich sie nach ihrer Meinung zur Abschaltung frage, sagt der eine nur ein Wort: „Wahnsinn" und der andere fügt hinzu: „Daran sieht man, dass der Fachkräftemangel inzwischen ganz oben angekommen ist".
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