Folge 26: Nigel Kennedy
Der Gastgeber rückte mit neuen Flaschen an, die er von irgendwoher gezaubert hatte. Mein Magen machte einen riesigen Satz nach oben. Ich versuchte, ihn zu ignorieren, als Kennedy mir ein Glas mit irgendeiner giftigen Flüssigkeit in die Hand drückte. Ich schaute mich nach dem klassischen Blumentopf um, doch da war natürlich keiner. Zumindest fand ich ihn nicht. Mein Magen würde sich also auf eine weitere harte Belastungsprobe gefasst machen müssen.
Kennedy tänzelte galant durch das Chaos seiner riesengroßen Bude, uns allen voran, gelegentlich ein Kissen hierhin und dorthin kickend. Richtig, der Mann war ja Fußballfanatiker! Wir alle bewältigten ein paar Treppen, die ins Untere des Hauses führten. Es waren schmale Treppen, soweit ich mich erinnere. Und ich weiß noch, dass ich mich verkrampft am Geländer wie an meinem Glas festhielt, um nur nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Im Vergleich zu oben war der untere Teil von Kennedys Villa eine Ausgeburt an Ordnung. Eine Art Herzkammer des Hauses – und das war sie auch. Es war Nigel Kennedys Opferstätte und Heiligtum – sein Übungsraum, in dem nicht nur jede Menge Instrumente herumstanden, sondern – die Göttin – auch die berühmte Stradivari, die er für Ich-weiß- nicht-wie-viele-Millionen einige Jahre zuvor erstanden hatte.
Nigel nahm noch einen großen Schluck aus seinem Glas, dann klemmte er sich hinter die Tasten eines weißen Flügels, schloss sanft die Augen und – spielte. Ich hatte nicht gedacht, dass mich das Klavierspiel eines Menschen einmal so tief im Inneren berühren würde. Der Mann, der dafür verantwortlich war, mochte in dieser Nacht eine wandelnde Alkoholfahne sein, ein personifizierter Joint. Doch sobald er mit der Musik eins wurde, zählte das alles nicht mehr. Dann war Nigel Kennedy nichts weniger als der Inbegriff von Musik.
Nigel bahnte sich seinen Weg durch Jazzetüden über irgendwas von Cole Porter bis hin zu etwas Klassischem (man frage mich nicht, was, schließlich bin ich Ignorant dieses Sounds). Und mit einem Mal hatte
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jeder von Nigels Kumpels, so nach und nach, irgendeines der zahlreichen Instrumente in der Hand, sie groovten sich aufeinander ein, jede Note schien vorgegeben und richtig zu sein, obwohl alles, alles freie Improvisation war, keine Frage.
Und ich? Ich hockte einfach nur da, so blöde wie euphorisch vor mich hin grinsend (Gott sei Dank gab es keinen Spiegel in der Nähe!) und fühlte mich frei und glücklich und gelassen und zufrieden wie selten mal in meinem Leben.
Ich starrte auf diese Menschen, die einfach nur Töne waren, die uns harmonisch das Universum erklären. Mir wurde in diesem Moment klar, warum ich meinen Job gewählt hatte, obwohl ich selbst kein Instrument beherrsche: Musik ist, so platt das klingen mag (was mir an dieser Stelle egal ist), der Schlüssel zu unserer Seele, wenn sie etwas taugt.
Dann starrte ich in mein Glas. Ich trank es aus. Ich hoffte, diese Nacht würde niemals enden. „Munster", flüsterte ich zärtlich in mein Glas und musste lächeln. Und Nigel Kennedy spielte den nächsten Akkord.
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