Folge 70. Gott ist nicht tot: Mit Nina Hagen auf Ibiza
Als ich in der Flughafenhalle ankam, war niemand zu sehen. Mit Ninas deutscher Plattenfirma hatte ich lediglich ausgemacht, dass Frau Hagen selbst mich abholen würde. „Ihr werdet euch schon treffen, die Halle auf Ibiza ist klein und Nina auffällig genug", hatte die Plattenpromoterin kichernd zu beruhigen versucht. In der Tat, die Halle war klein, doch wenn Nina tatsächlich so auffällig auftrat, dann war sie definitiv nicht da.
Ich hockte mich vorsichtig (die Polaroidkamera!) auf meine Reisetasche mitten in der Halle, um nur ja nicht übersehen zu werden, und steckte mir eine Kippe an. Dann die nächste. Und noch eine. Keine Nina!
Ich Blödmann hatte ein Nichts an Informationen bei mir: keine Telefon- nummer von irgendwem, keine Hotelbuchung (das wollte die Hagen vor Ort selbst in die Hand nehmen, hatte es geheißen), keine Adresse. Lediglich noch eine volle Packung Lord und einige Underberg. Ich steckte mir eine Lord an und knackte einen Underberg. Schaute mich um, während ich schon im Sitzen schwitzte. Tatsächlich, die Touri-Idioten. Und sah der da hinten nicht aus wie ein Dealer? Ich tat genau das, was ich mir zu tun vorgenommen hatte: Ich verfluchte Boom und Nina Hagen und hatte gute Lust, mich fies und fest und fett auf die Polaroidkamera draufzusetzen, vom Verlag finanziert und gerade deshalb für mich ein gelungenes Hassobjekt.
Doch plötzlich war sie da. Sie. Nina Hagen. Wie es einer echten Diva gebührt, kam sie mir barfuß entgegen. Galant und kaum den Stein- fußboden berührend, schlenderte sie in der unklimatisierten Wartehalle auf mich zu. Vorbei an den schwitzenden, quengelnden Kindern. Vorbei an den stinkenden, übergewichtigen Klischeetouristen der grauenvollsten Art. Vorbei auch an makellos-muskulösen, sonnen- gegerbten Marionetten.
Die Diva hauchte: „Ich bin Nina" und schenkte mir ein zeitloses, undurchdringliches Lächeln. Eines von der Sorte, das jeder Frau dieser Welt gehören könnte: Jungfrau, Schlampe, Kind, Domina, Hure, Heilige, Weise, Verrückte. Ein Lächeln, das mich einfältigen Mann verwirrt und glücklich stimmte und das sich tief ins Labyrinth meiner Seele fraß. Sobald ich dieses „Ich bin Nina" gehört hatte, wusste ich, dass alles gut werden würde bei meinem Trip nach Ibiza.
Dass die Diva eine pechschwarze Häkelstola mit aufgenähten Margeriten lässig um Kopf und Körper geschwungen hatte, aus dem neben diesen unglaublich großen, unglaublich verlorenen Augen ein zerfranster Rock lugte, verwirrte mich nur noch mehr. „Komm", sagte die Diva, „lass uns gehen. Da draußen ist die Sonne."
Morgen geht's weiter mit Nina Hagen.
Kommentare