Folge 89: Rio Reiser
Dennoch warfen viele alte Wegstreiter und treue „Scherben"-Fans Rio bis weit in die 90er hinein Verrat an der „linken Idee" (was immer das sein mag ...) vor. „Das ist nun wirklich nicht mein Problem", ereiferte sich der Beschuldigte in Gesprächen mit mir immer wieder. „Da kann ich nur sagen: Diese Leute haben sich nie richtig für uns interessiert. Wo waren diese Herrschaften denn, als es uns verdammt dreckig ging?
Wir ,Scherben' hatten ja unglaublich viele Probleme früher – ob das nun der Boykott unserer Lieder in den Radiostationen war, oder dass wir bei Konzerten immer draufzahlten, oder auch, dass wir oftmals nichts zu fressen hatten in unserer Kommune in Fresenhagen.
Das waren letztendlich auch die Gründe, warum es diese Band irgendwann nicht mehr gab. Wenn also nun jemand kommt und mir Verrat vorwirft, dann kann ich dem nur ganz cool antworten: ,Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß, Junge, nicht um meinen.' Ich habe mein ganzes Leben lang schon genug Ärger an der Backe."
Denn trotz des – relativen – Erfolgs mit seiner Solokarriere hat Rio immer wieder darauf bestanden: „Dass ich jetzt gelegentlich ein paar Mark auf dem Konto habe, verwundert mich eher, weil es so ungewohnt ist. Ich selbst hab' mich in den ganzen Jahren sicherlich kaum geändert. Allerhöchstens meine Lebensumstände – ich muss viel rumfahren, ich geb' noch mehr Konzerte als früher und mehr Interviews. Das tue ich eigentlich nicht so gerne."
Sagte es und grinste mich frontal an. „Na ja, eine Diva war ich eigentlich schon immer", gestand er im nächsten Moment lächelnd.
„Schließlich bin ich ein Homo. Damit entspreche ich doch dem Klischee des Schwulen, oder nicht?"
Ernst wurde Rio immer dann, wenn ich ihn fragte, ob er sein Soloprogramm unter kommerziellen Gesichtspunkten zusammen- gestellt habe, was man ihm ja immer wieder vorwarf. „Ich habe keinen allzu ausgefallenen Geschmack, eher einen stinknormalen", grummelte er jedes Mal. „Insofern muss ich mir wohl auch keine Sorgen machen, dass meine Platten keiner kauft", fuhr er mit seinem ihm eigenen Humor fort. „Ich bin überzeugt davon, dass es genügend Leute gibt, denen die Musik gefällt, die's auch mir angetan hat." Leider hatte Rio mit dieser Einschätzung seiner Arbeit nicht recht, jede weitere seiner Soloscheiben verkaufte sich schlechter als ihre Vorgängerin.
Egal, der harte Kern seiner Fans machte Rio auch zum Ende seiner Karriere weiterhin Vorwürfe – wegen „mangelndem politischen Engagement in den Texten". Rio wurde wild, wenn man ihn damit konfrontierte. „Das liegt ganz alleine an meiner persönlichen Entwicklung, dass es so gekommen ist", fauchte er mir dann zu. „Und wer die Biografie der „Scherben" mitverfolgt hat, müsste eigentlich bemerkt haben, dass ich bereits Ende der 70er, Anfang der 80er-Jahre weniger agitatorische Texte verfasst habe als zuvor."
Morgen geht's weiter mit Rio Reiser
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