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"Ernesto, der Seebär – Vom Tretauto zum Schlachtschiff" Erinnerungen des 90-jährigen Dießener Ernesto Rudolf Hofmann. Auf der Insel Java geboren, landet er auf seine alten Tage am Ammersee. Der Fortsetzungsroman eines bewegten Lebens, Teil 2: Folge 28

Die "Lucita" war das dritte Schiff vom Seebär. Foto: Shell, Privatsammlung Ernesto R. Hofmann

Folge 28

Mein Schiff Nr. 3, die „Lucita"

… gehörte zwar nicht mir, sondern der Curacaosche Scheepvaart Maatschappij CSM, einem Tochterunternehmen der Shell Gruppe. Sie befuhr bis nach dem Krieg die Strecke Niederländische Antillen-Maracaibo und hatte der vielen Untiefen wegen als Flachkieler einen sehr geringen Tiefgang. Nach dem Krieg holte man sie mangels Schiffsraum nach Europa und verpasste ihr gleichzeitig eine Bordfunkstation, die beidseitig unter den Brückenflügeln eingebaut wurde. Lediglich das „J" in ihrem internationalen Rufzeichen PJAK deutete noch auf ihre karibische Abstammung hin. 

Die „Lucita" war mit ihren 3268 Tonnen ein eher kleines Tankschiff, das noch aus dem Jahre 1926 stammte. Dieses uralte, schnuckelige Schiffchen hatte eine ganz eigene Atmosphäre und einen gutmütigen Charakter, man musste es einfach liebhaben. Das konnte man gewiss nicht von jedem alten Schiff aus den zwanziger Jahren behaupten.

Unserer Besatzung und mir fiel die Ehre zuteil, sie an ihrem Lebensende zurück auf den Kontinent zu begleiten, wo sie anschließend den Weg allen alten Eisens ging. Wir wussten es und intern hatten wir den ganzen Inventar schon aufgeteilt. Ich spechtete auf die Schiffsglocke mit ihrem Namen. Aber daraus wurde nichts... Zum Glück. Siehe am Schluss.

Ihre letzte Reise startete sie in Rotterdam, was für den ersten Steuermann und mich von einem ohrenbetäubenden Knall begleitet war. Aber dafür konnte die arme „Lucita" nichts, denn auf dem Weg vom Rotterdamer Hauptbahnhof zu ihrem Liegeplatz auf der anderen Maasseite krachte uns nach einer Kurve im Maastunnel ein Biertransporter von Heineckens hintendrauf. Ich saß auf der letzten Bank und mein Glück war, dass der Fahrer das Lenkrad herumriss und uns „nur" mit seiner linken Vorderseite am rechten Heck des Busses erwischte. Für den Beifahrer war das fatal, denn der saß links. Der Bedford-LKW war ein (ehemals kanadischer) Rechtslenker. Glück für den Fahrer.

Dass auch unser erster Steuermann in dem Bus saß, hörte ich erst, als ich beim Abendessen meine Geschichte zum Besten gab. Auch er ergänzte aus seiner Sicht dieses Erlebnis. Gottseidank brach im Tunnel kein Feuer aus, denn wir hätten einen weiten Fußweg nach draußen vor uns gehabt.

Aber ohne es zu wollen, habe ich mit dem Ende angefangen. Normalerweise macht man das mit dem Anfang, gemäß dem Ratschlag von Cole Porter „begin the begin".

Über Thameshaven bei London, wo wir eine Ladung Schweröl an Bord nahmen, ging es weiter zur Irischen See. Seit Thameshaven habe ich den bestimmten Geruch einer Raffinerie in der Nase, der mir jedes Mal wieder vertraut vorkommt, wenn ich an einer derartigen Einrichtung vorbeikomme.

Die Aufgabe der „Lucita" bestand darin, die Schiffe an der Westküste Englands zwischen Liverpool und Glasgow (ja, ich weiß, Sie haben recht, Schottland ist nicht England) mit Schweröl zu beliefern. Das betraf den regulären Schiffsverkehr wie auch die Neubauten der Werften Barrow-on-Furness und John Brown und alles, was dazwischen lag, wie Ardrossan und Old Kilpatrick. Unsere treuen Wegbegleiter waren die kugelrunde Insel im Firth of Clyde Ailsa Craig und die Halbinsel Mull of Kintyre, das einem durch Paul McCartney im Gedächtnis bleibt. Mich befällt heute noch Wehmut, wenn ich an diese beiden Orte denke.

Bei der Schiffswerft John Brown bei Glasgow betankten wir die nagelneue „Saxonia" von der Cunard Line vor ihrer Probefahrt. Viel interessantes gab es noch auf der Clyde vor Greenock zu sehen, unter anderem das riesige amerikanische Schlachtschiff USS „Wisconsin", das dort gerade anlässlich einer Flottenparade weilte.

Unser „Heimathafen" war Heysham, etwas nördlich von Liverpool. Die Liegezeiten unserer „Lucita" benutzte ich zu ausgedehnten Ausflügen in der Umgebung. Auch hier machte ich mir einen Rat von den Beatles zu Nutze, die Mersey zu überqueren, um die berühmte Chester Cathedral, von der ich schon so viel gehört hatte, zu besichtigen. Wie alle englischen gotischen Kathedralen war auch die Chester Cathedral von einer atemberaubenden Schönheit, wie auch das Mädchen, das ich nach dem Weg fragte. Beeindruckt haben mich an ihrem von Windpocken vernarbten, trotzdem unvergesslich schönen Gesicht ihre wunderschönen Augen, die mich längere Zeit anstrahlten und mich fix und fertig machten.

1000 Jahre Chester Cathedral Geschichte blickten auf mich herab, um Napoleon zu zitieren. Auch wenn man nur einmal im Leben das Glück hat, derartig Schönes zu erleben, man vergisst es nie mehr.

Um nochmal auf das Mädchen zurück zu kommen: Was ist Schönheit? Es gibt Schönheit(en), bei der (denen) es keiner Anstrengung bedarf, sie zu registrieren, so wie in diesem Fall, trotz einer subjektiven kleinen „Unzulänglichkeit", die eine solche Schönheit höchstens interessanter macht und darum geht es in meiner Betrachtung.

Es gibt auch Menschen, denen wir täglich begegnen, die wir so leicht als – sagen wir mal - „unattraktiv" einstufen und die wir einfach übersehen. Unser Auge bleibt nicht daran hängen. Ich studiere gern Leute, die an mir vorübergehen. In einer Großstadt hat man dazu reichlich „Material". Wir beurteilen so leichtfertig einen Menschen als „unattraktiv". Doch hat jeder Mensch etwas Schönes an sich. Denken Sie doch noch einmal an „det Schweinschje". Sogar det Schweinschje freute sich über sein Ringelschwänzschje.

Unlängst begnete ich beim Grabbesuch einer jungen Frau, die ich vorschnell als sogar sehr unattraktiv empfand. Sie war schon 10 Meter vorbei, als sie mich zurückrief: „Hallo, Sie haben etwas verloren". Es waren meine Streichhölzer, die ich als Nichtraucher statt eines Feuerzeuges in meiner Hosentasche glaubte. Mein Gott, hatte die Frau ein paar wunderschöne blaue Augen, die mich, wie das Mädchen in Chester, anstrahlten. Sie waren nach ihr die Schönsten, in die ich seither das Glück hatte, zu schauen. Fazit: Es steht uns nicht zu, einen unbekannten Menschen nach dessen äußerer Unzulänglichkeit zu beurteilen.

Unser Schöpfer hat jedem (ich wiederhole: jedem) Menschen etwas an Schönheit mitgegeben. An äußerlicher oder, was wichtiger ist, an innerlicher. Äußerliche: entweder schöne Hände, Wahnsinnsbeine, schöne Haare; innerliche: eine schöne, warme Stimme, Geist, Frohsinn, positive Einstellung, Liebe, Wärme, Ausstrahlung, Licht, Bewegung, Hilfsbereitschaft, Entgegenkommen (da kommt auf Anhieb gleich mehr zusammen). Kurzum Eigenschaften, die im Endeffekt höher zählen und wertvoller sind als äußerliche (meistens vergängliche) Schönheit. Das, was übrig bleibt, zählt für's weitere Leben. Man denke immer an det Schweinschje. Onkel Clemens aus Rheindalen hat mir mit dieser Erzählung so viel wertvolle Lebensweisheit mit auf den Weg gegeben.

Gut, ok, das Auge fordert zunächst auch seinen Tribut. Mit mehr oder weniger Aufwand lässt sich aus dem hässlichsten Entlein noch eine Schönheit zaubern. Schenken Sie einem solchen Menschen zunächst Selbstbewusstsein und vor allem Selbstvertrauen und unterstützen Sie ihn oder sie dabei. Ich könnte Ihnen auf Anhieb zwei Pfennigartikel nennen, mit denen Sie, zum Beispiel, Ihre Frau in einer Minute in eine Schönheit verwandeln können. Symbole, die einer solchen Frau das Bewusstsein geben, begehrenswert, anders als alle andern zu sein. Das wünscht sich doch jede Frau, oder? 

Fortsetzung folgt 

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