Folge 33
Mein Schiff Nr. 5, die „Stad Arnhem"
…gehörte zwar nicht mir, sondern der Halcyon-Linie aus Rotterdam. Sie war ein während des Krieges auf einer englischen Werft entstandenes Standardschiff vom „Empire"-Typ und maß 5215 Bruttoregistertonnen. Sie war weder schön noch schnell, aber ich machte auch auf ihr eine besonders interessante Reise, die uns bis Duala ins frühere deutsche Kamerun führen sollte. Ihr internationales Rufzeichen war PHQW.
Unter diesem Rufzeichen sollte ich im Verlauf dieser Reise noch Kontakt haben mit meinem früheren Chef von der „Jagersfontein", der in völliger Unkenntnis der Tatsache, wen er da während des geselligen Ätherschwätzchens vor sich hatte, den Kollegen von der „Stad Arnhem" als vollwertigen Gesprächspartner sah. Meinerseits wusste ich, wer er war, denn in seinem Alter wechselt man die Schiffe nicht mehr so, wie das bei uns Jungfuzzis noch der Fall war. Und so konnte ich ihm einiges hinservieren, was ich mich früher nie getraut hätte, ihm zu sagen. Erst sehr viel später hat er aus den sporadisch veröffentlichten Personallisten erfahren, wer sein damaliger Gesprächspartner war...
Weil die Sache anscheinend so dringend war, schickte man uns noch am Vorabend von Sylvester hinaus und wenn man bedenkt, wie viel unnötige Zeit unterwegs verplempert wurde, dann fragt man sich nach dem Sinn dieser Schikane. Unsere Ladung für Afrika bestand in der Hauptsache aus alten Autos, die großteils als ungeschützte Decksladung transportiert wurde. Bevor wir dort unten ankamen, hatten wir einige Stürme und viel salzhaltiges Spritzwasser zu überstehen und man braucht sich wohl nicht auszumalen, in welchem skandalösen Zustand die Autos in den jeweiligen Häfen ankamen.
Aber noch bevor wir die Nordsee erreicht hatten, gab es mächtigen Ärger mit dem Bootsmann. Man muß wissen, dass der Bootsmann neben dem Schiffskoch der wichtigste Mann an Bord ist, weil er alles kann, oder zumindest sollte. Manchmal ist er auch schlichtweg überfordert. Zu seinem Aufgabenbereich gehört zum Beispiel das sofortige Setzen der Funkantenne nach dem Ablegen, was er in diesem Fall aber vergessen hat, jedoch nie mehr vergessen wird. Das Versäumnis besorgte ihm ein paar heiße Hände, nachdem ich mit meinem Funkverkehr begonnen hatte in der Annahme, die Antenne hing bereits ordnungsgemäß zwischen den Masten, er aber gerade damit begonnen hatte, den Drahtverhau an Deck zu entwirren. Das Geschrei war groß, hatte er doch ein paar mächtige Stromschläge erhalten.
Zur Verdeutlichung: Die Antennen müssen in jedem Hafen, in denen es Hafenkräne gibt, niedergeholt werden, um den Kränen freies Spiel zu lassen. Wird auch das versäumt, ist das sich anbahnende Unheil nicht mehr weit.
Wir klapperten nach einem Zwischenstopp in Bordeaux, wo ich von meinem spärlichen Gehalt eine echte Flasche Pommery für meine Mutter erstand, sämtliche kleinen Orte an der westafrikanischen Küste ab, von denen noch nie jemand gehört hatte. Abgesehen von Dakar waren das Freetown, Conakry, Monrovia (ok, das kennt jeder), Abidjan, Lome, Takoradi, Lagos, Duala und zurück über Takoradi, Cape Palmas, Gran Bassa, Cape Mount, wieder Monrovia und Freetown weiter über Dakar und Antwerpen nach Amsterdam, anschließend kurz nach Hamburg und Bremen.
Mehrere der kleinen Käffer werde ich hiernach nicht erwähnen, weil von dort einfach nichts zu berichten ist. Wohl klapperte ich auch dort jede Bank und jede Handelsniederlassung nach Briefmarken ab, wo es vor allem die hohen Werte aus Europa gab und kam so mit dem Segen des Kapitäns und des ersten Steuermanns überall vom Schiff weg in allerhöchstoffiziellem Auftrag. Die Briefmarken wurden im Waschbecken abgelöst, getrocknet und ehrlich unter uns dreien verteilt und die Freude war jedes Mal groß. Nur gedankt hat's mir der Alte nicht, als ich ihm, selbst- verschuldet und sehr verspätet, meine offiziellen Unterlagen zur Unterschrift vorlegte, denn da war er schon so besoffen, dass nur der Lotse und der erste Steuermann das Schiff einigermaßen unbeschadet in Hoek van Holland 'reinbringen konnte, er selbst war gar nicht mehr ansprechbar und entsprechend bescheiden fiel meine Conduite aus, obwohl nie etwas vorgefallen war. Das war dann auch der einzige Kapitän, den ich besoffen in kritischer Situation erlebt habe.
Das erinnert mich immer wieder an den Witz, als ein Kapitän in sein Schiffstagebuch schrieb: „Erster Steuermann heute besoffen". Der Steuermann schrieb am nächsten Tag ins Logbuch: „Kapitän heute nüchtern".
Dakar lernte ich noch als eine moderne, europäische, propere, französische Großstadt mit geraden Straßen und Blumenbeeten kennen. Mit dem Funker der Küstenstation Dakar-Radio hatte ich mich zu einem Besuch verabredet und da ich keine Ahnung hatte, wie ich dort hinkam, ging ich ganz einfach am Strand entlang in Richtung seiner Sendemasten. Nur wurde der Weg immer beschwerlicher und steiniger und hörte schließlich inmitten von Felsblöcken ganz auf. Da ich keine Lust hatte, den ganzen Weg wieder zurück zu laufen, gab es für mich als alten bayerischen Alpinisten nur noch den Weg (nahezu) senkrecht nach oben.
Als ich dann den letzten Klimmzug machte und mir den Staub von der Uniform klopfte, stand ich ….. mitten zwischen den Kanonen der französischen Küstenbatterie. Ich dachte, mich trifft der Schlag, war doch das Abenteuer von Las Palmas noch unvergessen. Da war zwischen dem Abgrund, über den ich nicht mehr zurück konnte, und der Küstenbatterie ein freies Schussfeld von guten hundert Metern, das ich mit schlotternden Knien, aber ganz ruhig und beherrscht überquerte. Ich schien aber niemandem besonders aufzufallen und obwohl dort Soldaten patrouillierten, ließ man mich unbehelligt in der Meinung, ich gehöre zum selben Verein. Und so spazierte ich durch die schweren Geschützbefestigungen hindurch in Richtung Kasernentor, das ich glücklicherweise auf Anhieb fand. Ich salutierte stramm, das konnte nie schaden und die Wacht am Tor salutierte stramm zurück, aber ich musste noch eine unendlich lange Straße hinunter, bevor ich nach rechts abbiegen konnte. Und da setzte ich mich erst mal hin, um meine flatternden Nerven wieder unter Kontrolle zu bekommen, was aber einige Zeit dauerte. Mein Kollege von der Küstenfunkstation meinte: „Da hast Du aber Glück gehabt!", eingedenk Mata Hari. Die kam ja auch aus Holland.
In Freetown, wo niemand an Land ging und sich an Bord langweilte, bemerkte ich, wie sich von Geisterhand eine große Kabelrolle von selbst über das Vorschiff abrollte. Da mir das einigermaßen komisch vorkam, schaute ich nach und sah, wie ein kleines Motorboot im Begriff stand, unser Kabel zu klauen. Ich rief um Verstärkung und gemeinsam zogen wir das Kabel wieder zurück an Bord. Der Insasse merkte es gar nicht und schaute recht dumm, als er wieder unter unserem Bug lag. Er dachte, er sei schon längst zuhause. Haben wir ihm doch glatt sein Geschäft vermasselt. Freetown war auch der Hafen, in dem wir das einheimische Bootspersonal an Bord nahmen, die das Schiff löschen und in der Hauptsache mit dem Holz für Europa beladen sollten.
Ihnen wurde auf Luke 3 zwischen der Brücke und dem Mittschiff ein Lagerplatz mit Sonnensegel geschaffen, auf dem für uns Europäer unerträgliche Zustände herrschten. Am Schlimmsten waren die hygienischen Zustände und der Umstand, dass die Schiffsleitung den Schwarzen nur zu bestimmten Zeiten, von 10 bis 12 Uhr, Trink- und Waschwasser zur Verfügung stellte. Das kam dann aus einem mickrigen Wasserhahn der Toilette, dessen Waschbeckendruckknopf mit einem Ziegelstein beschwert wurde, wonach Wasser floss. War der Ziegelstein weg, kam auch kein Wasser mehr. Mir taten die armen Kerle unendlich leid und ich legte den Ziegelstein wieder auf den Hahn und die Freude war groß. Man suchte unsererseits vergeblich nach dem Täter, der – nur ich wusste das -aus den eigenen Reihen kam. Einer von den Schwarzen suchte meine Freundschaft und fand sie auch. Nur wurde er auf die Dauer so aufdringlich, dass er glaubte, meine Kabine für sich beanspruchen zu müssen. Schließlich musste ich ihn sogar aus meiner Koje vertreiben. Dann war Schluss mit lustig.
Monrovia war eigentlich recht interessant, vor allem sein Postamt. Ich gab einige Briefe nachhause auf, gespickt mit den schönsten Briefmarken und ich kaufte noch einige als Souvenir dazu. Leider kam ein Brief nicht zuhause an. Das war dann der einzige Brief, der während meiner ganzen Seefahrtzeit verlorenging.
Über Abidjan, wovon mir jede Erinnerung fehlt, ging es weiter nach Lome. Das war früher die Hauptstadt von Deutsch-Togo und ergreifend war für mich das Erlebnis, dass noch viele der alten Togolesen (glaube ich, nennt man sie) noch fließend deutsch sprachen. In der nach deutschem Vorbild gebauten Kathedrale lagen sogar noch deutsche Gebetbücher. Togo war zu meiner Zeit, 10 Jahre nach Kriegsende, immer noch sehr deutsch-orientiert, obwohl das Land nur gerade mal 20 Jahre, 1884 bis 1914, unter deutscher Obrigkeit stand.
Fortsetzung folgt
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