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"Ernesto, der Seebär – Vom Tretauto zum Schlachtschiff" Erinnerungen des 90-jährigen Dießener Ernesto Rudolf Hofmann. Auf der Insel Java geboren, landet er auf seine alten Tage am Ammersee. Der Fortsetzungsroman eines bewegten Lebens, Teil 2: Folge 35

Schiff Nr. 6, die "Gadila". Foto: Ernst Rudolf Hofmann

Folge 35

Mein Schiff Nr. 6, die „Gadila"

… gehörte zwar nicht mir, sondern Shell Tankers, Rotterdam und war bereits vor dem Krieg auf einer deutschen Werft (Howaldtswerke, Kiel) gebaut worden. Sie besaßnota bene einen MAN-Motor und ich ahnte damals noch nicht, dass ich eines Tages, viele Jahre danach, sogar bei dieser berühmten Motorenfabrik als Probestandsingenieur angestellt sein würde. Darüber aber später mehr. Die Gadila wurde während des Krieges von den Alliierten zu einem Hilfsflugzeugträger (Merchant Auxiliary Aircraft Carrier, MAC) umgebaut, indem man sämtliche Aufbauten entfernte und über dem kahlen Oberbau ein Flugdeck anbrachte. Sie hatte anschließend 4 Flugzeuge ohne Hangar für die U-Bootbekämpfung an Bord. In den Ladetanks transportierte sie nach wie vor Treibstoffe, in der Hauptsache Benzin.

Diese ganze Vorgeschichte war mir aber noch unbekannt, als ich am 21.4.1955 auf die „Gadila" kam - Sie maß 12.121 Tonnen und gehörte seinerzeit schon zu den „großen" Tankern. Nur die „K"-Klasse dieser Reederei erhielt damals mit 18.000 Tonnen schon das Prädikat „Supertanker". - Ihr internationales Rufzeichen, unter dem sie für die Außenwelt erreichbar war, lautete PEFM. - Während der fast einjährigen Reisedauer sollten wir 44 Häfen auf allen 5 Kontinenten besuchen; aber keine Bange, nicht von überall gibt es etwas zu erzählen...

Wichtig war, dass wir einen supertollen Kapitän hatten, wie übrigens üblich bei der Shell. Wenn das Umfeld stimmt, dann stimmt auch die Atmosphäre. Er bezog vor allem seine Leute (wir waren 12 Offiziere) in seine Entscheidungen mit ein, also kein Despot wie auf manchen anderen Schiffen. Die Besatzung für den Deck- und Maschinendienst bestand wie üblich bei dieser Tankergröße aus 60 Chinesen, ein überaus fleißiges, zuverlässiges, flinkes, sachkundiges, ehrliches und hilfsbereites Volk, das uns insbesondere kulinarisch nach Strich und Faden verwöhnte, jedoch den Schiffsdienst bis in die Perfektion beherrschte. Bei ihren zweimaligen Neujahrsfesten wurden wir von beiden Diensten eingeladen, wobei wir aufpassen mussten, bei der ersten Einladung noch Platz für die Köstlichkeiten der anderen Gruppe zu lassen, was oft verteufelt schwer fiel.

Die erste, eine kurze, Reise führte uns nach Svolvaer auf den Lofoten. Vom Schiff in das Städtchen kamen wir an hunderten Holzgestellen vorbei, an denen die örtliche Spezialität, die köstlichen Stockfische, zum Trocknen hingen. Unterwegs kam uns schon der Bürgermeister entgegen, der uns nach einer herzlichen Begrüßung stolz sein Rathaus und die Stadt zeigte. - Weiter ging's nach Hammerfest, ein Glücksfall für uns, der nicht jedem Seefahrer beschieden wird, vor allem, wenn uns vom Kapitän die Wahl gelassen wurde: entweder außen herum oder durch die Schären und Fjorde innen durch, aber dann mit einem Lotsen. Wir wählten selbstverständlich Letzteres. Und so kamen wir auch an Tromsö vorbei, am kieloben liegenden Wrack des deutschen Schlachtschiffes „Tirpitz" und am Grab von über 900 sinnlos gestorbenen Seeleuten. Dabei muss man auch wissen, dass das Elektrizitätswerk von Tromsö über die ausgebauten Elektrogeneratoren der Tirpitz den Strom für die Stadt liefert. - Leider fehlte die Zeit für einen Besuch an das Nordkap.

Wir fuhren der Mitternachtssonne entgegen und um diese Zeit war es taghell. Es war vorallem nicht kalt und wir liefen leicht bekleidet im Hemd im Freien.

Nach nochmaliger Beladung in Rotterdam mit Kerosin wurde Oslo angesteuert. Die Wachablösungam Königlichen Palast war beeindruckend, aber der Wald an unserem Liegeplatz übertraf alles. Kurz vorher hatte ich den Film „Und ewig singen die Wälder" gesehen. An einem Wasserfall durchlebte ich hautnah die ganze Dramatik dieses Films. Nur der Bär ließ sich nicht blicken.

Rotterdam ließen wir diesmal links liegen und begaben uns auf direktem Wege nach Willemstad auf Curacao. Von dort aus begann unsere Odyssee über den Atlantik, das Mittelmeer und das Rote Meer nach Fernost, die weiter obV (ohne besondere Vorkommnisse) verlief, wenn man mal von einem Motorschaden vor Madeira absieht, wobei unserer altersschwachen Maschine ein Kolbenring abhanden kam. Das bescherte uns eine Ruhepause von drei Tagen. Die armen Kerle im Maschinenraum schufteten beim Kolbenziehen und wir „oben" versuchten uns beim Haiefangen. Dazu schmiedete unser Leitender Ingenieur eigens einen starken Haken und der Proviantmeister rückte widerwillig ein riesiges Stück Schweinefleisch heraus. Der Hai war schon verteilt: Der Kapitän bekäme das Rückgrat, das ein Spazierstock werden sollte, ich bekäme das Gebiss, der chinesische Proviantmeister hätte die Flossen bekommen. Hätte. Denn kein einziger Hai biss an.

Da uns bei der Einfahrt ins Mittelmeer der Treibstoff drohte auszugehen, bunkerten wir auf der Reede von Gibraltar. In unmittelbarer Nähe lag das polnische Segelschulschiff „Dar Pomorza", als wir von dort Maschinengewehrfeuer hörten. Später vernahmen wir dann von den Leuten unseres Bunkerbootes, dass einer der Besatzungsmitglieder der „Dar Pomorza" über Bord gesprungen war, um an Land zu schwimmen. Polen war damals noch fest im Ostblock eingebunden und Fluchtversuche verliefen meist fatal, wie auch in diesem Fall. Mit dem Flüchtling wurde kurzer Prozess gemacht. Der Vorfall hat uns alle, die wir in nächster Nähe das Geschehen mitansehen mussten, doch sehr erschüttert. Es hat dem Schiff sehr viel Sympathie gekostet.

Man überlege einmal die hoheitlich-juristischen Konsequenzen, die sich aus einem solchen Vorfall ergeben! Lag die „Dar Pomorza" in der Bucht von Gibraltar noch in spanischen Hoheitsgewässern oder im britischen Teil? Das Schiff selbst ist eigenes Hoheitsgebiet der Flagge, unter der es fährt. Da kann man die eigenen Leute schikanieren, wie man will. Was aber, wenn vom Schiff aus auf fremdes Hoheitsgebiet, sei es spanisches oder britisches, gefeuert wird, aus welchen Gründen auch immer? Das gilt meines Erachtens als eklatante Verletzung des Völkerrechts des betreffenden Staates, hier sogar ein Gastland. Man braucht kein Jurist zu sein, um das zu verstehen. Um näher bei Haus zu bleiben: Wie hätte die Bundesregierung reagiert, wenn damals ein Schiff der DDR Volksmarine mitten in bundesdeutschen Hoheitsgewässern der Ostsee einen eigenen Flüchtling erschossen hätte?

Fortsetzung folgt

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