Folge 51
Man muss sich allen Ernstes mal vor Augen halten: Nicht nur hätte ich mit diesen zwei Worten „What ship?" das gesamte militärische Gleichgewicht im Nahen Osten aus den Fugen gehoben, ich hätte auch den Dritten Weltkrieg heraufbeschworen! Lassen wir einmal unserer Phantasie freien Lauf:
Stellen Sie sich vor, der Franzose hätte sich so geärgert, dass er uns versenkt hätte! Die Amis auf dem Luftwaffenstützpunkt Adana in Sichtweite von Iskenderun hätten ihr Kerosin nicht mehr bekommen. Der Russe hätte darin seine Chance gesehen, dem Ami in Adana seine Spielsachen kaputt zu machen; die Bedrohung vor seiner Haustür wäre weg gewesen. Der Ami hätte sich so geärgert, dass er keine Flugzeuge mehr losschicken konnte um sich zu rächen, weil er keine mehr gehabt hätte. Was blieb ihm denn dann noch?? Der rote Knopf im Atombunker in Washington. Ein Knopfdruck und schon sind ein paar Atomraketen unterwegs nach Moskau. Etc.
Was gab's denn sonst noch auf diesem herrlichen Schiff? Eigentlich nicht mehr viel Besonderes. Ach ja, dieses noch: Wir wollten doch, wie gesagt, nach Iskenderun. Wir kamen dort auch weiter unbehelligt an, aber das liebliche Iskenderun wäre uns um ein Haar zur Startrampe ins Engelreich
geworden. Wir löschten dort auftragsgemäß unser Teufelszeug Kerosin, bestimmt für Adana, die
amerikanische Luftwaffenbasis. Was wäre aus der geworden, wenn uns die Jean Bart versenkt hätte? Beim Löschen der Kerosinladung ist höchste Alarmbereitschaft angesagt, denn das ganze Schiff ist in eine dichte Gaswolke gehüllt. Ein türkischer Zöllner, meinte sich aus Langeweile eine Zigarette anzünden zu müssen. Gott sei Dank sah das unser 2. Steuermann und schlug ihm mit einem olympiareifen Hechtsprung das Feuerzeug aus der Hand. Und es geschah… (immer noch)
nichts.
Unser türkischer Superintendant (netter als der in Curacao) lud uns zu einer kleinen Bergtour ein, um uns, seiner Aussage nach, die besten Orangen der Welt zu zeigen. Er nahm uns mit auf Iskenderun's Hausberg und was er gesagt hat, stimmte. Die goldenen Früchte wuchsen in einer schattigen Schlucht, waren dadurch eisgekühlt und herrlich süß und saftig. Der Aufstieg war, das muss gesagt werden, beschwerlicher als gedacht und versprochen. Vielleicht lag das aber auch nur an unserer Kondition, denn bei uns geht's immer nur flach und geradeaus, von ein paar Wellen abgesehen. Es ging jedenfalls über Stock und Stein. Kein Gehen, sondern klettern, und das sollte uns beim Abstieg zum Verhängnis werden, denn schließlich waren wir See-Leute und keine Berg-Leute. Einmal oben, wollten wir die grandiose Aussicht und die frische Luft, die wir auf See eigentlich schon reichlich hatten, in vollen Zügen genießen. Unser Superintendant drängte zum Abstieg und auch vom Schiff kam mit der Morselampe schon die Aufforderung: Sofort Abstieg! Sicherlich hatten sie uns mit dem Fernglas verfolgt. Wir dachten uns aber, was wollen die denn die ganze Zeit, es war doch wunderbarstes Wetter, die Sonne noch hoch am Himmel? Was kann da schon passieren? Unseren Leichtsinn sollten wir büßen, denn die Nacht brach schlagartig über uns herein. Wir purzelten mehr als wir liefen, von einem Felsbrocken zum andern und hinunter. Gottlob hatte der Superintendant eine Taschenlampe dabei. Als wir wieder auf dem Schiff waren, waren wir so krankenhausreif, dass die verdiente Standpauke, diesmal vom ersten Steuermann, keinen nachhaltigen Eindruck mehr hinterließ. Ich war der Fotograf der Expedition und wie üblich fehlt der auf allen Fotos. So zählte unser SI nur drei Gesichter, folglich spendierte er auch nur drei Kisten Orangen.
Das war türkische Gastfreundschaft, die wir immer und überall genießen durften. Meine Kollegen teilten mit mir.
Einige Tage später bekam ich über Funk die Meldung, dass auf unserem Liegeplatz in Iskenderun ein amerikanischer Tanker in die Luft geflogen sei. Keine Überlebenden. Man braucht nicht lange nach der Ursache zu rätseln.
Ja, die Tankfahrt ist schön, war aber schon immer gefährlich, denn man sieht auf Dauer die Gefahr nicht mehr. Man realisiert nicht, dass da unter deiner Koje 12.000 Tonnen hochexplosives Benzin schwappt. Aber man gewöhnt sich an alles (man sagt, auch an Hängen, wenn man es nur lang genug tut). Ein paar schlaflose Nächte zu Beginn der Reise, aber dann vergütet der Gedanke an die 40.- Gefahrenzulage doch vieles...
Zum Abschluss unserer Reise in Marseille, wo ich abgelöst wurde, vergällte uns noch ein amerikanischer Truppentransporter den Tag. Etwa 200 Meilen vor Marseille nahm er uns, von links kommend, die Vorfahrt und wollte uns doch glatt über den Haufen rennen. Der unerfahrene 3. Steuermann hatte schon das Kommando "hart Backbord" gegeben, als durch mein Geschrei der Kapitän auf die Brücke stürmte. Obwohl ich nicht dazu befugt war, schrie ich "nein, hart Steuerbord", eingedenk eines kürzlich vorher geschehenen Unfalls mit den holländischen Passagierschiffen "Oranje" und "Willem Ruys", wobei sich die gleiche Situation abspielte. Der Kapitän griff selbst ins Steuerrad und drehte auf hart steuerbord. Mir klopfte er auf die Schulter und lobte: "Gut gemacht, Sparks". Der Amerikaner merkte wohl, dass auch er in Gefahr war, wenn ihm die Brocken um die Ohren fliegen, gab seinerseits (endlich und im letzten Moment!) hart Steuerbord und so schrammten wir Bordwand an Bordwand aneinander vorbei. Ich sehe noch die dummen Gesichter von diesen Kameraden, die stets glauben, auch nautisch immer die Besseren zu sein.
Nie fiel mir ein Abschied von einem Schiff schwerer als von der guten "Marisa".
Fortsetzung folgt
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