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"Ernesto, der Seebär – Vom Tretauto zum Schlachtschiff" Fortsetzungsroman eines bewegten Lebens. Folge 56

Mutterseelenallein liegen wir auf dem Shatt el Arab und geben einen Teil unserer Ladung an unser Schwesterschiff „Leuvekerk“ Foto: Ernesto R. Hofmann

Folge 56 

Eine weitere Erfahrung mit meinen katholischen Glaubensbrüdern machte ich in Genua. Da uns ein dreimonatiger Aufenthalt in einem arabischen Land bevorstand, und gleichzeitig Ostern vor der Tür stand, das ich an Land nicht mehr erleben sollte (es war Karfreitag), hatte ich Bedarf an seelischem Beistand und bat, zur Kommunion gehen zu dürfen. Aber in der katholischen Kirche herrschen strenge Regeln, die eingehalten werden müssen, wo kämen wir denn da sonst hin!? Jedenfalls wurde mir die Kommunion (wieder mal) verweigert, diesmal mit dem Argument, es sei Karfreitag und da bleiben alle Tabernakel hermetisch zu bis zur Auferstehung des Herrn am Ostersonntag. Auf meine Frage, was denn passiert, wenn einer unter der Trambahn liege? Ja, der kriegt eine. Frustriert zog ich auch diesmal wieder von dannen. Kein Wunder, dass der katholischen Kirche so viele Gläubige davonlaufen. Von Flexibilität keine Spur. Jesus hätte sein Brot mit mir geteilt, auch wenn es Karfreitag gewesen wäre, davon bin ich überzeugt.


Nun, der Suezkanal blieb geschlossen und uns blieb kein anderer Weg in den Nahen Osten als über Süd-Afrika. Gebunkert wurde in Las Palmas und Durban.

Gute drei Wochen später waren wir dann in unserem Operationsgebiet und wir hatten noch keine Ahnung, was uns da erwarten sollte. Unser Kapitän führte sich dort auf wie der Wilde Mann im Affenkäfig persönlich, kräftig unterstützt von seinem verlängerten Arm, dem ersten Steuermann. Dieser machte uns die Hölle heiß, wenn er irgend jemanden erwischte, der die Nacht nicht in seiner Kabine, sondern auf einem der die Decks überspannenden Sonnensegel Zuflucht gesucht hatte. Auf die kletterte man schon unter Lebensgefahr, ins Meer zu stürzen und von der Schiffsschraube zu Hackfleisch verarbeitet zu werden. Es herrschte unter Deck eine dermaßen infernalische Hitze, dass der Teer an Deck schmolz. Wir probierten, ob es wahr wäre, auf einer Stahlplatte Eier zu braten. Das Experiment gelang mühelos.

Wie gesagt, die Liberty-Schiffe waren an Primitivität nicht zu überbieten und hatten zum Beispiel auch keine Klimaanlage, eine Einrichtung, ohne die ein heutiger Amerikaner schon gar nicht mehr überleben könnte. Die heutigen europäischen Passagierschiffe werden bei Erreichen eines bestimmten Breitengrades rigoros von einer Stunde auf die andere auf 16 Grad herunter gekühlt, wobei Proteste von europäischen Passagieren sinnlos sind, nur um die amerikanischen Kunden nicht zu verprellen, die anscheinend wichtiger sind.

Unerlässlich war jedenfalls, den Wecker dabei zu haben, der sich um Dreiviertelvier bemerkbar machen musste. Der Erste trat um vier Uhr seine Wache an und hatte dann nichts Besseres zu tun, seinen Tag damit zu beginnen als mit einem Besenstiel von unten auf den Schlafenden einzudreschen, ungeachtet der Tatsache, wer dabei gerade drauf lag.

In Bander Abbas, Bahrein, Ras Tanura und Kuweit lagen wir auf Reede, zusammen mit einem Gewimmel von anderen Schiffen fast aller Nationalitäten. Die Ladung wurde in Leichter (kleine Boote) gelöscht und dabei hat es auch mich erwischt. Ich wurde zum tallyen eingeteilt, obwohl genug anderes fachkundigeres Personal vorhanden war.

Was ist tallyen? Sie kennen doch alle das Lied von Harry Belafonte: „Tallye me bananas". Nun, der Arme musste Bananenstauden tallyen, zählen. In unserem Fall hatten wir Unmengen elektronischer Artikel und Heinecken's Bier (!) geladen und wir hatten in der sengenden Hitze und dem Staub unten im Laderaum Listen zu führen, wie viele Paletten Fernseher zum Beispiel nach oben gehievt wurden. Dabei ging man absichtlich so sorglos mit dem Hochfieren der Paletten um, dass diese sich mit hoher Geschwindigkeit unterhalb der Ladeluke verkanteten, wobei mindestens die Hälfte aller Geräte zu Bruch gingen. Was heil blieb, wurde unter den Bootleuten verteilt. Man kann sich das Ergebnis vorstellen! Ich tat einen Teufel, wie meine anderen Kollegen, dagegen einzuschreiten. Ich habe ein Messer lieber neben meinem Teller liegen als zwischen meinen Rippen.

Einen Lichtpunkt erlebte ich, als mich der Kollege von der „Kota Baru" einlud, mit Erlaubnis meines Alten die Nacht auf diesem Schiff des Rotterdamschen Lloyd zu verbringen. Der paradiesische Unterschied zwischen seinem und meinem Schiff war fast schon eine Fata Morgana. Sie dauerte nicht lange, denn am nächsten Morgen schon wurde ich per Morselampe („Klappbüchs") in die raue Wirklichkeit auf der „Leopoldskerk" zurückgepfiffen.

Der gesamte Persische Golf war die Spielwiese aller unserer kindsköppischen Funkerkollegen. Die neuesten Witze wurden über Funk ausgetauscht und gute Ratschläge erteilt, wie man mit einem Problem, welches das auch gewesen sein mag, umzugehen hatte. Die Amateurfunker waren hier völlig unter sich, ohne dass uns irgendwer dazwischengefunkt hätte, buchstäblich. Der Hit des Tages war die Nachricht, die sich in Windeseile über den Äther verbreitete: ein Matrose eines norwegischen Schiffes hatte sich in den Harem eines Scheichs eingeschlichen und dort dessen Lieblingsfrau vernascht. Der Scheich muss außer sich gewesen sein. Der Täter wurde nie gefasst.

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