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"Ernesto, der Seebär – Vom Tretauto zum Schlachtschiff" Fortsetzungsroman eines bewegten Lebens, Teil 2: Folge 48

Der Dießener Ernst R. Hofmann ist dieses Jahr 90 Jahre alte geworden. Graphik: Pax et Bonum Verlag

Folge 48

Kurz nach Verlassen des Hafens von Tripolis gerieten wir nachts unvermittelt in ein unangekündigtes französisches Flottenmanöver. Wir merkten es erst, als unmittelbar vor unserem Bug ein Kriegsschiff auf Kollisionskurs alle seine Lichter einschaltete in der Hoffnung, wir könnten wenigstens noch den drohenden Zusammenstoß verhindern. Es war knapp! Und wie von Geisterhand erloschen die Lichter wieder, nachdem wir uns von unserem Schrecken erholt hatten und wir ein französisches Kriegsschiff (und uns!) vor einer Katastrophe bewahrt hatten. Wir waren nämlich noch nicht gasfrei.

Die Kameradschaft unter uns 12 Offizieren war so intensiv, wie ich sie auf keinem anderen Schiff so erlebt habe. Das lag an der menschlichen Führungsqualität unseres Kapitäns, der "einer von uns" war, genauso voller Witze und Streiche wie wir, sehr zur Belustigung unserer chinesischen Mannschaft.

Ein kleines Beispiel: Der Kapitän hatte sich eines Tages das Peildeck (das Deck über der Brücke) für ein ungestörtes Nickerchen ausgesucht. Die Hängematte war aus wasserdichtem Segeltuch, was unserem Attentat Vorschub leistete. Wir hatten uns diesmal den Feuerwehrschlauch als Waffe unserer Schandtat ausgesucht, drehten den Hahn nur ganz winzig weit auf und steckten das Mundstück in seine Hängematte. Er scheint einen gottgesegneten Schlaf gehabt zu haben, denn er wachte erst auf, als die Hängematte schon fast voll war. Er packte den Schlauch und übte fürchterliche Rache. Keiner von uns blieb trocken. Unser chinesischer Rudergänger hatte kein Auge mehr für den Kompass, er lag auf dem Boden und wälzte sich vor Lachen.

Die Ehre unseres seriösen Schiffes wurde bei Lampedusa in der heimischen Presse angetastet. Hat jemand schon mal ein Ufo gesehen? Wir haben es! Als Sonderberichterstatter einer auflagenstarken holländischen Zeitung schickte ich unterwegs nach Malta ein Funktelegramm nachhause, dass wir eben für längere Zeit ein Ufo gesehen hatten.

Und was machen die daheim? Sie machen sich über uns lustig, bezichtigten uns sogar der Volltrunkenschaft während der Dienstzeit. Fakt war, dass unser diensthabender Steuermann uns auf die Brücke rief, weil recht voraus am Himmel ein zigarrenförmiges Objekt am Himmel hing. Es sah aus wie ein Rugbyball. Ich gab die Sichtung sofort über Funk "an alle etc.", unter anderem an Malta Radio und an einen norwegischen Tanker, der neben uns fuhr. Malta hatte es auf seinem Flughafenradar, der Norweger hatte es ebenfalls auf seinem Schiffsradar. Es blieb lange Zeit unbeweglich am Himmel stehen und wir konnten es durch unsere Ferngläser genauestens beobachten. Nach einiger Zeit begann es leicht hin- und herzuschaukeln; die Schwankungen wurden immer stärker und mit einem Mal verschwand es blitzschnell in den Wolken und ließ uns ungläubig staunend zurück. Gott sei Dank hatten wir Zeugen, sonst hätte uns niemand geglaubt (haben sie sowieso nicht ... ). Die Erscheinung war übrigens voll identisch mit einer Beobachtung, die wir im Roten Meer machten. Aber da schickte ich kein Telegramm mehr, eingedenk dieser Erfahrung...

Unser nächster Hafen war Marsaxlokk auf Malta. Seit meinem ersten Besuch an Malta bin ich Malta-Fan. Eine Insel mit einer sagenhaften und mehreren inzwischen untergegangenen Kultur. Da saßen wir in Germanien noch auf den Bäumen und bewarfen die Römer mit Äpfeln. Vor 5000 Jahren begann dort die nachweislich erste Besiedelung. Wer diese Menschen waren und wohin sie abwanderten, weiß heute niemand mehr. Sie hinterließen aber ihre Monumente, an denen noch nach 5000 Jahren ihre eindringlichen Bearbeitungsspuren zu sehen sind. Die damaligen Einwohner verloren sich im Dunkel der Geschichte. Es gibt Hypothesen von einer gewaltigen Flutwelle bis hin zu einer Seuche oder Verschleppung der Bewohner. Sicher ist, dass Malta vor tausenden von Jahren eine Landbrücke bildete zwischen Afrika und Europa, wie zahlreiche Funde von Löwen-, Nashorn- und Elefantenknochen in einer Höhle bei Marsaxlokk belegen, in dessen Bucht wir ankerten. Erst als die Phönizier (die Malta komplett für ihren Schiffsbau abholzten), die Karthager und die Römer die neuzeitliche Bühne betraten, kam wieder Leben in die Bude. Danach erschienen die Kreuzritter, denen die nachgereisten Araber die Hölle heiß machten, und die Franzosen, die dort mit Napoleon ein kurzes Stelldichein gaben. Man holte die Engländer zu Hilfe und holte sich damit den Beelzebub ins Haus, den man erst in 1964 wieder los wurde.

Auch für den Rest der Strecke, kurz vor Marseille, wurde unser armer Kapitän recht gebeutelt. Kurz vor Marseille kam von links ein kleiner Fischkutter, der unser riesiges Schiff, hoch und leer, komplett übersehen haben musste. Entweder schlief der gute Mann oder er kochte in seiner Kombüse gerade seine Bouillabaisse. Jedenfalls drohte ein Zusammenstoß, unsere lauten Signale mit dem Horn blieben unbeachtet. Er war schon trotz unseres "hart Steuerbord" und volle Kraft zurück unter unserem Bug verschwunden und wir fürchteten schon das Schlimmste. Plötzlich tuckerte er mit wild schäumendem Kielwasser an Backbord wieder zum Vorschein, wie ein Stehaufmännchen. Was muss der Mann (wie wir!) erschrocken sein, als er plötzlich die hohe Schiffswand vor sich sah. Ich kenne nicht viel französische Schimpfwörter, aber "merde" wird bestimmt dabei gewesen sein...

Das Schlimmere, für uns Gefahr für Leib und Leben, erwartete uns im Kanal von Port de Bouc zur Raffinerie von Berre bei Marseille. Ein vor uns fahrendes Schiff, fuhr, wie wir, mit halber Kraft, als es meinte, mit gestoppter Maschine plötzlich ankern zu müssen, ohne nach hinten zu schauen. Als er die Gefahr erkannte, gab auch er volle Kraft voraus und ließ seine Ankerkette bis zum Stopper slippen. Wir fuhren über seine Ankerkette. Mit voller Kraft drehte er auf seiner Kette und fuhr uns an Steuerbord unterhalb der Brücke funkensprühend in die Seite. Unser Schiff war noch nicht gasfrei und es hätte, wenn es nicht nur bei einer Beule geblieben wäre, eine Explosion gegeben, die auch die links von uns am Kai vertäuten Schiffe in Mitleidenschaft gezogen hätte. Glück hatten wir obendrein, dass wir ein paar Meter vor den Pfeilern der Eisenbahnbrücke zum Stehen gekommen waren. Es ist noch einmal gut gegangen, obwohl das gegnerische Schiff, die "Utah Beach", ein ehemaliges Landungsschiff, einen eisverstärkten Bug hatte. Wir brauchten Stunden, ehe wir unsere Ankerketten auseinanderklamüsert hatten. Voller Entsetzen wurde das Geschehen von den umliegenden Schiffen beobachtet, unter anderem einem Schweizer. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass die Schweizer überhaupt Seeschiffe hatten.

Nach dem Auslaufen in Richtung Curaçao gerieten wir zwischen Mallorca und der spanischen Küste in einen Mistral, der uns von hinten her erwischte. In unserer Nähe war ein Schiff gesunken und beim Wenden, um ihm zu Hilfe zu kommen, überspülte uns eine Monsterwelle, die an Bord erheblichen Schaden anrichtete. Inzwischen war auch ein Suchflugzeug abgestürzt und es ist so schlimm, nicht helfen zu können. Wir fuhren noch im Ballast, das Schiff bot zu viel Angriffsfläche für Wind und Wellen. Unser mit so viel Liebe gezüchteter botanischer Garten ging dabei über die Mauer, aber das war noch das Wenigste.

Es war Weihnachten, als wir wieder mal auf Curaçao an der Raffinerie lagen und wir freuten uns auf ein ruhiges Weihnachtsfest. Wir sollten Kerosin für das Mittelmeer laden. Die Schlauchverbindung zum Pier war noch nicht gelegt, als sich unser gutmütiger Kapitän mit dem Superintendant anlegte (oder umgekehrt).

Man muss wissen, dass so ein Superintendanteiner Raffinerie so ungefähr der Allerheiligste ist und jeder nach seiner Pfeife zu tanzen hat. Nicht so unser Kapitän. Also entschloss sich dieser Alleinherrscher, dass wir über die Feiertage die Raffinerie zu verlassen hätten, denn der Liegeplatz sei einem (schon wieder ein) Norweger vorbehalten. Wir protestierten aufs heftigste und führten gemeinsam eine Aktion durch, die, wie wir hofften, ein paar Tage Gefängnis einbringen sollte. Kapitän, 1., 3. Steuermann und ich, quasi die wichtigsten Leute an Bord (neben dem Koch) pinkelten unter lauten Rufen: "Wir möchten verhaftet werden" gegen die Außenmauer vom Polizeihauptquartier.

Aber, immer, wenn man die Polizei braucht, ist sie nicht da. Wir zogen also unverrichteter Dinge, wenn auch etwas erleichtert, wieder von dannen in Richtung Schiff und fügten uns ins Unvermeidliche. Wir legten ab und fuhren zu einer Untiefe bei Maracaibo, wo wir ganz einfach ankerten, unsere zwei schwarzen Bälle setzten ("Wir sind manoeuvrierunfähig, liegen vor Anker") und setzten Scheinwerfer, damit uns in dieser Nacht niemand über den Haufen rennt. 

Fortsetzung folgt

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