Folge 114: Joe Cocker

FRAGE: Sie beschreiben sich selbst gerne als Bluesmann. Muss man eigentlich nicht von der Hand in den Mund leben, um den Blues richtig empfinden zu können, um tatsächlich authentische Musik spielen zu können?
COCKER: Ganz offen: Obwohl ich seit den frühen 80ern eine Menge Platten verkauft habe, bin ich immer noch weit davon entfernt, ein wirklich reicher Mann zu sein. Doch die Rock-'n'-Roll-Welt, und damit auch mein Leben, sind professioneller geworden, das stimmt. Ich begrüße diese Entwicklung, denn sie hilft mir. Ich bin so verdammt gutmütig und wurde mein Leben lang hart für diese Eigenschaft
bestraft. Jetzt bin ich über 50 Jahre alt, und es ist schön, dass ich die Dinge ein bisschen ruhiger angehen kann.
Doch zurück zur Frage: Nein, muss man nicht. Den Blues hat man in sich drin, ein Leben lang, er hat nichts mit deinem Kontostand zu tun. Bluesmusiker sind darüber hinaus hungrig nach dem Leben auf der Straße und auf den Bühnen dieser Welt. Das bin ich auch. Immer noch.

FRAGE: Sie wurden immer wieder als „Sänger des einfachen Mannes schlechthin" betitelt. Haben Sie mit dem „Mann auf der Straße" überhaupt noch irgendwas am Hut?
COCKER: Der einfache Mann erwartet von einem Sänger, dass er Seele zeigt, so viel davon wie möglich. Ich denke, davon habe ich in meinen Songs trotz meiner endlosen Karriere nach wie vor jede Menge zu bieten. Das Geheimnis meines Erfolgs ist, dass ich in jedes einzelne Lied so tief wie möglich mit meiner Persönlichkeit eintauche und das Äußerste heraushole. Dieser Arbeitsweise werde ich ein Leben lang treu bleiben, weil sie die intensivsten Ergebnisse hervorbringt. Speziell der sogenannte „einfache Mann" spürt diese Intensität und kauft deshalb meine Platten. Und auch deshalb, weil er instinktiv mitbekommt, dass ich nach all den Jahren im Business im Herzen selbst ein einfacher Mann geblieben bin.

FRAGE: Wie beurteilen Sie die Gefahr, Ihr Herz und Ihre tiefsten Empfindungen vor dem Publikum allzu sehr zu entblößen? Ist diese Art des Seelenstriptease nicht eine extrem selbstzerstörerische Form von Masochismus?
COCKER: Stimmt schon, vor allem früher war das ganz schlimm bei mir! Inzwischen habe ich gelernt, mit meinen Kräften ein wenig besser hauszuhalten. In den 70ern verausgabte ich mich manchmal in einer Nacht auf der Bühne dermaßen, dass ich für die nächsten beiden Shows nichts mehr an Energie übrig hatte und hundsmiserable Gigs ablieferte. Heute bin ich vernünftiger geworden. Ich finde, jeder Fan hat das Recht, eine tolle Show zu erleben. Die Leute zahlen Eintritt für mich, sie sollen so viel wie möglich dafür kriegen, jeder einzelne. Nur ganz so viel wie bei meinen besten Auftritten früher kriegen sie nicht mehr von mir. Dafür bin ich schlicht zu alt.


Mogen geht das Interview mit Joe Cocker weiter