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Grundstück gekauft und Schatz gefunden. Judith Milberg aus Dießen hat einen aufregenden Fund im ehemaligen Seelos-Haus gemacht. Von Nicola Digby und Alois Kramer

Bleistiftzeichnung eines unbekannten Künstlers aus dem Jahr 1901 des Geologen Professor Dr. Hermann Credner. Dieses Bild hat Judith Milberg im Nachlass gefunden, das nach Leipzig ins Museum gehen wird. Foto der Zeichnung: @Judith Milberg

Dießen – Beginnen wir die Geschichte an ihrem Anfang. Also in den Jahren, als sie eine Dießener Geschichte wurde. In den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts kam die junge Jutta Rottka mit ihren Eltern, dem Major Ulrich Rottka und seiner Frau Johanna, geborene Credner von Leipzig zur Sommerfrische nach Dießen. Die junge Frau, künstlerisch hoch talentiert, begann bei der legendären Dießner Keramikerin Hanna Wienholz das Töpferhandwerk zu erlernen, dort traf sie den Ammersee-Maler Hans Seelos. Bald darauf gründeten sie gemeinsam die Töpferei Rottka-Seelos in Dießen. Sie bauten ihre Werkstatt auf dem Grundstück von Juttas Eltern, die sich zeitgleich im östlichen Teil eine Villa bauten. Jutta und Hans Seelos heirateten 1932 und bekamen mit Heinrich (1937 – 2017) und Hans-Jörg Seelos (Jahrgang 1942) zwei Söhne, die auch das Töpfereihandwerk erlernten.

Johanna Rottka (1878-1959), Juttas Mutter, ist die dritte von sechs Töchtern des berühmten Geologen Hermann Credner, der das wissenschaftliche und kulturelle Leben Leipzigs im 19. Jahrhundert beherrschte. Seine großbürgerliche, von 1892 bis 1894, gebaute Villa an der Karl-Tauchnitz-Straße 11 in Leipzig beherbergt seit der Wende das Museum "Galerie für Zeitgenössische Kunst". Die Leipziger kennen sie unter dem Namen "Herfurthsche Villa". Sie wurde nämlich im Jahr 1916 drei Jahre nach dem Tod Credners an den bekannten Leipziger Verleger Edgar Herfurth verkauft.

Jutta Rottka (1900 - 1967) entschied sich Anfang der 20er Jahre ganz an den Ammersee zu ziehen, hat aber immer sehr engen Bezug zu ihrer sächsischen Heimat und ihrer großen Familie. Ihre Mutter Johanna hatte, als sie zirka 1922 mit ihrem Mann nach Dießen zog, große Konvolute des Nachlasses – inklusive Objekte und Möbel, ihres Vaters Hermann Credner mitgenommen. Nach dem Tod ihres Mannes Ulrich Rottka 1930, musste sie 1938 ihr Haus verkaufen und zog zu ihrer Tochter. Jutta und Hans hatten zwischenzeitlich ihre Werkstatt zu einem bescheidenen Wohnhaus erweitert. Aus Platzmangel musste das meiste von Johannas Mobiliar, ihren Büchern und Dokumenten in den Speicher unter das Dach gestapelt werden, dort wurde es mit der Zeit vergessen, weiteres Zeug darauf abgelegt und Feuchtigkeit, Tierexkremente und Schimmel trugen ihren Teil zur Zerstörung bei. Überhaupt hat die Seelos Familie ihr Haus über die Jahre bis unter die Zimmerdecken mit unglaublichen Mengen an Krempel und später auch mit jeder Menge Müll vollgestopft. Brennmaterial für die Öfen war nicht nur Holz, Kartons, alte Zeitungen, sondern sogar Pferdeäpfel vom Pony, die in den Schubladen lagerten.Die Familie hatte den Überblick verloren, und später, die beiden Brüder wohnten mittlerweile alleine dort, hatte das Chaos und der Müll sie vollständig besiegt.

Als Judith Milberg vor sechs Jahren das Haus von den Brüdern kaufte, wusste sie über deren Situation Bescheid, gehörte sie doch zu den wenigen, denen die Brüder Zutritt gestatteten. Was sie nicht ahnte, war, dass sich solch bedeutendes historisches Material in dem Haus verbarg. Aus vielen Gesprächen mit den Brüdern, konnte sie zwar erahnen, dass die beiden aus einer Familie mit langer Tradition stammten, aber es waren ihnen eher Schrauben und Werkzeuge wichtig als Details der Familiengeschichte. Immerhin, der Name Herman Credner fiel. Da es Heinrich und Hans-Jörg Seelos selbst auf Bitten nicht möglich war, Bildmaterial oder ähnliches im Haus zu finden, ließ sich der Wahrheitsgehalt der Geschichten nicht überprüfen, erschien sogar ziemlich unglaubwürdig angesichts der Wohn- und Lebenssituation der Brüder. 

Vor etwa vier Jahren, die beiden Brüder wohnten schon längere Zeit nicht mehr dort, begann Judith Milberg mit dem Aufräumen im Inneren des Hauses und die unglaubliche Geschichte nahm ihren Anfang. Zwischen all dem Müll stellt sie Unmengen von Dokumenten sicher, die sie im Haus in Kisten, Schuhkartons, Blechdosen, Körben und Behältnissen aller Art aufspürte: „Ich fand unzählige Bündel von Briefen, Tagebücher, Kisten mit historischen Fotos auf Glasplatten, Kladden mit Dokumenten, Möbel, Bilder und vieles mehr. All das war zum großen Teil in einem schlimmen Zustand, verschimmelt und von Tieren zerfressen. Aber ich konnte noch erkennen was wichtig war und erhalten werden musste. Es war mit einer archäologischen Grabung vergleichbar!"

Nach sorgfältiger Sichtung des Materials stellte sich heraus, dass die beiden Seelos-Brüder in der Tat Ur-Enkel des Geologen Hermann Credner waren, ihre Großmutter Johanna war eine der sechs Töchter von Credner. Die Geschichten stimmten also! „Aber das völlig Verrückte kommt erst noch. Wir fanden heraus, dass auch noch meine Familie mit Hermann Credner verbunden ist, denn mein eigener Ur-Ur-Großvater väterlicherseits, Gustav Klemm, auch Geologe, war Assistent von Professor Credner in Leipzig. Mein Vater, Professor Dietrich Klemm, war ja ebenfalls Geologe, hier an der Universität in München. So schließt sich in dieser Geschichte ein Kreis aus bemerkenswerten Zufällen", so Judith Milberg.

Die Kunsthistorikerin und Künstlerin Milberg verbrachte Monate damit, den Nachlass der beiden Brüder zu sichten, halbwegs vernünftig von Schmutz zu befreien und das Material zu sortieren und archivieren. "Wenn ich das nicht gerettet hätte, wäre alles in irgendeiner Mülldeponie vernichtet worden. Manches war leider unrettbar verloren, verrottet und angenagt".

Sie hat nicht nur einen bemerkenswerten Nachlass der Credner Familie gefunden, sondern auch die Bilder des Malers Hans Seelos. Diese fand sie in eine Dachschräge gestapelt und von Schränken und Regalen vollständig verstellt. Es ließ sich rekonstruieren, dass Hans Seelos, bevor er 1939 als Soldat in den Krieg eingezogen wurde, seine Bilder und Zeichnungen weggeräumt, ja vielleicht sogar versteckt hatte. Dort lagerten sie vergessen und unauffindbar für die nächsten 80 Jahre! Ebenso verhielt es sich mit den Keramiken aus den Anfangsjahren der Töpferei, die in unteren Schichten der familiären Materialanhäufungen nicht mehr gefunden und dann vergessen wurden. Sowohl den Künstlernachlass von Hans Seelos als auch die Keramiken hat Judith Milberg gerettet und inzwischen professionell gelagert. – Den Nachlass der Familie Credner hat sie in ihr Kunstatelier nach München-Nymphenburg transportiert, dort systematisiert und archiviert sie den Fund professionell, legt unterschiedliche Bereiche an mit den Konvoluten von Hermann Credner, Johanna und Ulrich Rottka, aber auch die Briefe und Dokumente von Jutta und Hans Seelos und natürlich Heinrich und Hans-Jörg Seelos.

Da der Credner- Fund historisch durchaus von Bedeutung ist, hat Judith Milberg Kontakt mit der geologisch- paläontologischen Staatssammlung in Leipzig aufgenommen, die Credner seinerzeit gegründet hatte und dort wird künftig der Nachlass wissenschaftlich bearbeitet und konserviert. Es haben noch einige Museen in Leipzig Interesse an Teilen des Credner-Fundes angemeldet.

Aber da ist ja noch der Rottka-Seelos Nachlass: „Es ist ein großer Wunsch von mir, den Dießnern die Bilder und Zeichnungen von Hans Seelos und die Keramiken der Rottka-Seelos Töpferei zusammen mit den historischen Fotos und Objekten in einer Ausstellung zu zeigen. Vielleicht ist die Gemeinde Dießen auch daran interessiert. Es ist so unglaublich spannend, in das Leben dieser Familie einzutauchen, durch die künstlerischen Artefakte kann man die besondere Familie regelrecht spüren und an sie erinnern. Es ist eine Spurensuche in die deutsche und Dießener Geschichte. Dieser Nachlass sollte in Dießen bleiben!".

Heinrich verstarb vor vier Jahren in einem Altenheim in Dießen, Hans-Georg lebt im Kreisseniorenheim in Vilgertshofen. Die Brüder führten die Tradition ihres Vaters und ihrer Mutter mit der Töpferei Rottka-Seelos bis etwa 2010 weiter.

Inzwischen wurde das Grundstück verkauft, die neuen Eigentümer beginnen zurzeit mit dem Aufräumen des Grundstückes 

Foto des jungen Hans Seelos von 1919. Foto: Judith Milberg
Foto von der jungen Jutta Rottka aus ihren ersten Jahren in Dießen, also um 1920. Foto: Judith Milberg

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Kommentare 1

Andreas Tchorsch am Samstag, 20. November 2021 01:58

Vielen DAnk für den interessanten Artikel.
Und schön, daß wir die beiden noch kennengelernt haben :-) Und Heini uns die Ukulele spielte :-)

Vielen DAnk für den interessanten Artikel. Und schön, daß wir die beiden noch kennengelernt haben :-) Und Heini uns die Ukulele spielte :-)
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