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Jan Marie Kiesel: „In meinen Adern fließt Piratenblut“

Foto: Jan Marie Kiesel Beim Kommentieren eines Polospiels

Pferde rasen in atemberaubender Geschwindigkeit über ein weiß umzäuntes Spielfeld. Auf dem Richterturm sitzt eine zierliche blonde Frau am Mikrofon. Ihre Worte klingen ebenso schnell und hart, wie die Hufe der Poloponies auf den Grasboden schlagen. Jan Marie Kiesel ist eine europaweit gefragte Kommentatorin für Poloturniere aller Schwierigkeitsstufen. „Mein Anspruch ist, Schnelligkeit und Passion des Spiels über meine Stimme zu den Zuschauern zu transportieren. Oft sitzen diese zu weit vom Geschehen entfernt, um die spannenden Manöver sehen zu können. Ich nehme die Zuschauer also verbal mit auf´s Spielfeld."

Auf ihrem Blog www.professionalpolocommentaries.com finden sich packende Spielberichte, Interviews mit spannenden Persönlichkeiten und mitreißende Erinnerungen wie Jan´s Teilnahme am Hadeja Reiterfest in der Nigerianischen Wüste.

Sie strahlt, wenn sie über das „Spiel der Könige" spricht. Polo ist wichtiger Bestandteil ihres abenteuerreichen Lebens, das sie von Neuseeland über Nigeria nach Issing in den Landkreis Landsberg führte. Grund genug, mehr über sie als Person und ihren spannenden Lebensweg zu erfahren:

„Meine Vorfahrin Grace O´ Malley lebte im 16ten Jahrhundert in Irland. Sie wurde durch ihre zahlreichen Seeraubzüge eine Gefahr für die damals regierende Königin Elisabeth I von England. Aber anstatt Grace hinrichten zu lassen, begnadigte die englische Königin die Seeräuberin. Sie musste allerdings versprechen, nur noch Schiffe mit spanischer Flagge anzugreifen. „Aber, so wie ich meine Familie kenne, meint meine Gastgeberin lachend, hat sie Elisabeth alles freundlich lächelnd zugesichert, um anschließend doch zu machen, was sie wollte!"

Jan wuchs in Neuseeland auf. „Hier war es Frauen immer erlaubt, stark zu sein. Wir mussten auf dieser von der Landwirtschaft geprägten Insel ganz einfach unseren Teil beitragen. Neuseeland war das erste Land, in dem Frauen wählen durften. Das hat mich geprägt."

Sie studiert Geschichte und Englisch an der Universität von Aukland. Anschließend arbeitet Jan Marie zwei Jahre lang als Stewardess, um sich Geld für das „Big OE (big oversea experiece)" zu verdienen. „Das war damals üblich. Man ging für eine längere Zeit nach Europa, lernte Sprachen, erweiterte seinen Horizont." In Berlin arbeitet sie als Au Pair, ihr künftiger Ehemann Dr. Günther Kiesel bereitet sich einem Krankenhaus auf seinen Einsatz als Missionsarzt in Nigeria vor. Als sich die beiden über einen gemeinsamen Freund kennen und lieben lernen, wird schnell klar, sie gehen zusammen nach Afrika.

Im nigerianischen Norden hilft ihnen ausgerechnet der Polosport, um mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Jan erzählt: „Wir lebten in einem Haus das zum Krankenhaus gehörte und hatten zunächst wenig Kontakt zu den Einheimischen. Ich kannte den Polosport bereits. Ein Schotte bot mir an, seine Pferde zu reiten. Günther war ebenfalls schnell vom Polovirus infiziert. Wir fingen an, zu spielen und gemeinsam mit den nigerianischen Spielern wurden wir ein Team. Durch das Spiel waren wir integriert. Später zogen wir nach Kaduna und wohnten wir mitten im Ort. Von Vorteil war auch, dass ich Hausa sprach. Geschäftsleute kamen zu mir und baten mich, zu übersetzen. Günther arbeitete als Arzt und ich baute zusammen mit Einheimischen eine große Töpferei auf. Zum Töpfern kam ich, weil es mich interessierte. Ich wollte das lernen. Über die Universität von Zaria hatte ich Kontakt zu einem Engländer, der Glasuren für das Steingut herstellen konnte. Zwei Nigerianer unterstützten uns in der Herstellungsleitung und im Management. Unsere Mitarbeiter waren früher im Lehmbau tätig. Ich war nicht die beste Töpferin, aber ich war der Motor hinter dem Ganzen." Rückblickend stellt Jan Kiesel fest: „Das Schöne an unserem Leben in Nigeria war, dass wir bei allem, was wir taten, spürten, es hat einen Sinn. Alles, was du gemacht hast, hatte einen riesigen Wert."

Die Kiesel-Familie wächst, Jan bekommt drei Kinder und spielt weiter Polo. „Ich war nicht die beste Spielerin, da gab es wesentlich bessere Torschützen als mich. Aber ich konnte gut Abreiten (den Gegner von der Ball-Linie drängen) hatte gute Pferde und ich habe das Spiel verstanden!"

Als es für die Kinder an der Zeit ist, auf weiterführende Schulen zu wechseln, steht der Abschied von Afrika an. 1991 ziehen Kiesels nach Issing bei Landsberg. „Wir haben den schönen Hof ganz bewusst gewählt, weil wir etwas brauchten, das uns motiviert, zurückzukommen. Allerdings wollten wir auch nie zu den Menschen gehören, die dasitzen und über die guten alten Zeiten sprechen."

Viel besser passt es zu Jan und Günther Kiesel, einen Poloclub an ihrem neuen Wohnort zu gründen. Einige Mitstreiter sind schnell gefunden und so entsteht der Poloclub Landsberg-Ammersee e.V. Jan und Günther sind authentisch und bodenständig, ihnen ist der Charakter eines Menschen wichtiger als Titel oder Kontostand. Sie ermöglichen pferdesportbegeisterten Menschen, Pololuft zu schnuppern. Günther bietet Unterricht auf seinen erfahrenen Poloponies an, Jan gibt ihr Wissen rund ums „groomen" also rund um die Pflege und das Training der Vierbeiner weiter. Nach und nach entsteht einer der größten Poloclubs Deutschlands. Ein Höhepunkt der Clubgeschichte ist die Veranstaltung der Deutschen Polomeisterschaft im Jahr 2008.

Stets auf der Suche nach Möglichkeiten, ihre Begeisterung für den teuren Sport auch mit normalem Budget zu leben, holen Jan und Günther Vollblüter von der Rennbahn und bilden sie mit viel Geduld, Erfahrung und Liebe zu Poloponies aus. Ihre beiden Söhne Marco und Chris sind ebenfalls aktive Spieler. Sie werden zusammen zu den besten deutschen Jugendspielern gewählt und spielen für das deutsche Nationalteam. Marco unterstützt den Poloclub Landsberg-Ammersee e.V. als Captain und zuletzt als Vorsitzender. Chris hat seine Polo-Passion zum Beruf gemacht und leitet seit dem Jahr 2011 den Polo Club Bern.

Im Jahr 2015 entscheiden Günther, Jan und Marco Kiesel, ihre aktive Zeit im Polosport zu beenden. Jan bleibt ihrer großen Leidenschaft durch ihre Tätigkeit als Kommentatorin treu und erlebt, ganz wie sie es mag, erneute Herausforderungen und Abenteuer: „Beim Polo Riders Cup im französischen Chantilly im Juni diesen Jahres war ich als Live-TV-Kommentatorin für das Viertelfinale gebucht. Neben der komplexen Technik und der Tatsache, dass die vier Matches auf zwei verschiedenen Spielfeldern stattfanden, musste ich die Spieler ihren Teams zuordnen. Da gibt es oft Änderungen in letzter Minute, der Spieler, der auf Nummer 4 genannt war, spielt plötzlich die zwei und so weiter…" Jede Menge Nervenkitzel für die Neuseeländerin, die ihre Aufgabe allerdings mit der für sie typischen Kombination aus Perfektionismus, Hartnäckigkeit und einer gehörigen Portion Chuzpe auf den Punkt bewältigte.

„Als mein Rückflug aus Paris mit viel Verspätung und an einem völlig anderen Gate am Flughafen München landete, konnte ich mich auf meine syrischen Freunde verlassen." Ursprünglich wollte Jan nur gut erhaltene Kleidung ihrer Söhne spenden, aber wie so oft in ihrem Leben war sie plötzlich mitten drin in der Hilfsinitiative für syrische Geflüchtete. „Ich unterrichtete sie in Deutsch. Diese neue Aufgabe fiel zeitlich genau mit dem Abschied von unseren Poloponies zusammen und hat mir über den Abschiedsschmerz hinweggeholfen. Ich habe erneut festgestellt, es geht immer weiter. Es gibt immer neue Hürden und Du springst drüber und wächst daran."

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