Karina Urbach erzählt hier vom Schicksal ihrer Großmutter, die Anfang der 30er Jahre eine Kochschule (wenn nicht die erste ihrer Art) in Wien betrieb und damit sehr erfolgreich war. Ihr Kochbuch "So kocht man in Wien" wurde 1934 veröffentlicht und zum Bestseller. Nach dem "Anschluß" 1938 wurde ihr Buch "arisiert". Alice Urbachs Pech: Sie war Jüdin. Wenn man von "Arisierung" in Zusammenhang mit Büchern spricht, denkt man zunächst an Bücherverbrennung und das Entfernen von jüdischen Autoren und Autorinnen aus den Bibliotheken. Es war aber noch perfider, wie man am Beispiel von "So kocht man in Wien" erfahren kann. Das Buch wurde weiter verlegt, es wurde nur einem anderen Autor zugeschrieben, einem gewissen Rudolf Rösch von dem man nicht mal so genau weiß, wer er war oder ob es ihn überhaupt gab. Es verkaufte sich in der "arisierten" Form weiterhin blendend. Mit exakt denselben Rezepten, denselben Fotos, dem nahezu identischen Aufbau von Alice Urbach. Nur ein paar kleine nazigerechte Änderungen nahm man vor. Z.b. vermied man es jetzt von der Wiener Küche als internationaler Küche mit verschiedensten Einflüssen zu sprechen. Braune Soße halt! Nach dem Krieg, als sich Alice Urbach nach turbulenten Zeiten in den USA wiederfand, erwartete sie eigentlich ihre Rechte zurückzubekommen.
Aber der Verlag erfand einige Hindernisse, die das bis zu ihrem Tod verhinderten und verdiente weiter Geld mit ihrem Buch. Sie hätte klagen können. Aber wie klagt man ohne Geld? Und wie klagt man in einer deutschen Nachkriegsjustiz, in der vielerorts immer noch dieselben Richter tätig waren, die schon die Enteignungen des Gangsterregimes abgesegnet hatten? Und so handelt das Buch nicht nur von Alice Urbachs Geschichte, sondern erzählt von vielen anderen Dingen, mit denen (nicht nur) die Famile Urbach konfrontiert war. Von der Ermordung älterer Damen, weil Nazikarrieristen schlicht ihre Wohnungen wollten. Von der Absurdität, dass in England Deutsche während des Kriegs interniert wurden. Die meisten davon Flüchtlinge aus Nazideutschland. Von der restriktiven und überbürokratischen Einwanderungspolitik der USA, die indirekt vielen deutschen und österreichischen Juden das Leben kostete, weil sie einfach nicht rechtzeitig rauskamen.
Vom unbelehrbaren Otto Normal, der im zerstörten Nachkriegswien steht und den Alliierten die Schuld gibt an der Katastrophe. Vom Kabarettisten Fritz Grünbaum, von dem überliefert ist, dass er im KZ Dachau, nachdem die Essensrationen mal wieder noch spärlicher wurden gesagt haben soll: "Wenn man kein Geld hat, soll man sich halt keine Gefangenen leisten." Grünbaum starb 1941 in Dachau. Die Geschichte mit arisierten Büchern steht jedenfalls erst am Anfang, bald 80 Jahre nach Kriegsende. "Das Buch Alice" ist ein sehr gelungener Beitrag zum Verständnis der NS-Zeit und Nachkriegsdeutschlands. Es sollte eigentlich ab sofort Pflichtlektüre an den Schulen werden. Nicht zuletzt auch, weil es sich sehr packend und flüssig liest.
"Das Buch Alice" ist 2021 bei Ullstein erschienen, gebunden für 24 Euro und jetzt neu überarbeitet als Taschenbuch für 12,99 Euro.
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