Dießen – Irgendwie müssen die beiden Organisatorinnen des Literaturabends der Freien Kunstanstalt, Ulrike Kreutzer und Miram Anton, bei der Planung der Reihenfolge für "Einmal bitte alles" an Samuel Goldwyn gedacht haben. Der großen Filmpionier des vorigen Jahrhunderts sagte einmal: "Ein Film muss mit einem Erdbeben beginnen und sich dann langsam steigern". Den Anfang der knapp eineinhalb Stunden am Donnerstagabend mit Texten von Frauen und nicht nur für Frauen machte nämlich Carmen Tagliapietra mit einem wortgewaltigen Aufruf an die Frauen. Die Dießener Autorin erinnerte in ihrem rund vierminütigen Text ihre Geschlechtsgenossinnen daran, dass sie Macht besitzen: "Wir Frauen in Deutschland haben heute Macht. Macht, von der unsere Großmütter nur träumen konnten". Sie betonte: "Wir können Leben schenken"
Ihren Anstoß bekam die Veranstaltung vom Leseabend zum Weltfrauentag im März diesen Jahres, so Ulrike Kreutzer. Der fand ebenfalls in der Freien Kunstanstalt in den Räumen der ehemaligen Schreinerei Graf an der Johannisstraße statt. Es war eher eine Einladung zum Schreiben. Es gab keine Preise zu gewinnen. Der Dank für die Mühe war wohl, dass an die 50 Frauen im Publikum saßen – und leider nur drei Männer.
Warum sollten nicht Frauen aus der Region dazu eingeladen werden selbst Literatur zu schaffen und ihre Beiträge selbst vorzulesen?, so Kreutzer. Es folgte eine Ausschreibung der Freien Kunstanstalt mit dem Titel "Einmal bitte alles". "Ganz viele Einsendungen haben wir bekommen", konstatierte die Dießener Buchhändlerin. Acht Texte wählte sie zusammen mit Miriam Anton aus. Die Autorinnen kamen aus den Landkreisen Landsberg, Weilheim-Schongau und Starnberg und hatten durchaus unterschiedliches Alter. Es gebührt sich bei Frauen nicht nach dem Alter zu fragen, das gilt als unhöflich. Aber die jüngste wird wohl knapp über 30 gewesen sein, die älteste an die 80. Manche verheiratet, manche mit Kindern, manche wahrscheinlich unverheiratet.
Die Texte der acht Damen zeichneten sich durch unterschiedliche Stilmittel aus wie eine klassische Kurzgeschichte von Julia Reister (Feldafing), waren kurz und knapp wie der von Tagliapietra, aber auch deutlich – und leider auch streckenweise ermüdend länger wie die von Gabi Kessler (Wessobrunn) und Jorina Hofinger (Reisch). Allem Geschriebenen war aber gemeinsam: Ihre Authentizität, ihre Offenheit, ihren hohen Reflexionsgrad und ihre Intimität. Dazu kam die angenehme Art des Vortrags der eigenen Texte. Denn nicht immer ist es so, dass der- oder diejenige, der oder die schreibt auch gut im vortragen ist.
Witzig das Gedicht von Monica Calla (Landsberg), in dem sie über das "Dürfen wollen" nachdenkt, und damit etwas auf den Punkt bringt, was häufig übersehen wird. Das Frauen etwas dürfen dürfen. Denn "dürfen", so die Landsbergerin "impliziert immer eine Erlaubnis". Was aber bei Männern als Selbsverständlchkeit angesehen wird. Eine gute Illustration dieser Beobachtung Callas stammte von der Autorin Angelika Lichteneber (Landsberg), die Männer als "raumgreifend" beschrieb. Sie erlauben es sich auf Stühlen und Sesseln auf eine Weise breit zu machen, was Frauen nie wagen dürften. Dass Frauen, die "Einmal bitte alles" möchten, gelten als frech. Darauf wies Sabine Walter (Windach) hin. Einen fiktiven Besuch in Irland bei einer frühen Vorreiterin des Feminismus trug Ute Kelm (Dießen) so lebensnah vor, dass Miriam Anton und nicht nur sie, sondern wohl viele der rund 50 Zuhörer dachten, alles hätte sich so zugetragen, wie erzählt. Jorina Hofinger thematisierte in ihrem Text die Ansprüche an Schönheit und Körperlichkeit, denen Frauen ausgesetzt sind und sich selbst aussetzen. Stichwort: Rasieren der Beine. Gabi Kessler überraschte mit der Bemerkung, dass für sie "Feminismus unattraktiv" war und sie sich selbst durch die Erziehung ihrer Eltern als privilegiert betrachtete. Überraschend auch der Beitrag von Julia Reister, den man fast eine klassische Novelle nennen könnte über zwei Sekretärinnen die sich zunächst als Rivalinnen im gleichen Unternehmen begegnen, dann aber ihre Liebe zu einander entdecken und heiraten.
Ein gelungener Abend war das. Er zeigte, dass unglaublich viel Potential in Frauen steckt und den Organisatorinnen es geglückt ist, dieses Potential an's Tageslicht zu bringen. Schade, dass nur drei Männer – inklusive Toni Gruber, Ehemann von Ulriket Kreutzer, anwesend waren. Das offenbart eine sehr schmerzliche Lücke und bestätigt, dass hier deutlich Nachholbedarf besteht.
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