fSchondorf – Dr. Peter Cornelius Mayer-Tasch ist seit 1971 Professor für Politikwissenschaft und Rechtstheorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er gründete 1984 die Forschungsstelle für Politische Ökologie und war deren Mit-Leiter. Zusammen mit Ulrich Weiss leitete er von 1996 bis 2012 den Lehrbereich Politische Theorie der Hochschule für Politik. 1993–2020 war Mayer-Tasch Vorsitzender der Diplomprüfungsausschusses der Hochschule für Politik; 1993–2014 war er auch Mitglied des Senats der Hochschule für Politik. 1998–2002 hatte er das Amt des Prorektors inne, 2002–2010 war er deren Rektor. Vor drei Jahren hat Mayer-Tasch eine Philosophische Praxis an seinem Wohnsitz in Schondorf, wo er seit über fünf Jahrzehnten lebt, eröffnet. Jüngst hat sich der Schondorfer in seinem Buch "Von Glanz und Elend der Gnade Ein Beitrag zur Politischen Theologie" mit einem auf den ersten Blick aus der Zeit gefallenen Begriff beschäftigt. Mit dem Politologen und Philosophen sprach Alois Kramer.
aloys.news: Was hat Sie zu diesem Buch motiviert?
Professor Dr. Mayer-Tasch: Ganz genau weiß man ja nie, wozu einen was motiviert. Aber Annäherungen an eine ehrliche Antwort gibt es stets. Also versuche ich es:
Ich hatte stets eine intensive Beziehung zur Sprache. Und schon das Wort und der Begriff der Gnade haben mich stets fasziniert. Gnade ist ja ein heute kaum mehr gebrauchtes, von der Aura des Geheimnisvollen überstrahltes Wort und vielleicht deshalb heute fast obsolet geworden – außer in banalen Bezügen (die Gnade der späten Geburt, gnadenlose Akte). Für mich verweist das Wort auf etwas Höheres, auf eine höhere Instanz, die Gnade erweisen kann – Könige etwa oder Präsidenten, die Begnadigungen aussprechen können. Allerdings mag auch ihnen Gnade widerfahren sein. Deshalb die Vorstellung des Gottesgnadentums – d. h. Kaiser und Könige beriefen sich jahrhundertelang auf die Gnade Gottes, was natürlich nicht zuletzt auch hieß, dass sie dieses Amt nicht dem Volk oder auch nur dem Adel zu verdanken hatten und sie „sakrosankt" machte.
Für König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen war eine nur demokratisch legitimierte Krone eine Krone „aus Dreck und Letten". Gnade lässt sich aber auch popularisieren. Tatsache ist, dass manchen Menschen ein schlimmes und anderen ein „gnädiges" Schicksal beschieden ist.
Stets steht die Frage im Raum, wer hinter einem Schicksal steht. Der Mensch selbst, der Karma aufgebaut hat? Warum ist Maria „voll der Gnaden" – aufgrund früherer Verdienste? Oder ist es eben doch die „will-kürliche" Entscheidung einer höheren Instanz- Gott z.B.
aloys.news: Der Begriff der Gnade spielt aber auch in der christlichen Religion eine große Rolle. Man vergleiche nur das Ave Maria. Was hat Sie in diesem Zusammenhang gereizt?
Professor Dr. Mayer-Tasch: Gereizt hat mich eben die Analyse der Rolle, die Gnade für die christliche Religion spielt. Die Segnungs- und Absolutionsgewalt, die die christlichen Priester für sich in Anspruch nehmen, beruht auf der – nach dem Bericht der Evangelisten – Verleihung durch Jesus von Nazareth, wobei freilich anzumerken ist, dass diese Berichte allesamt Berichte aus zweiter und dritter Hand sind. Keiner der Evangelisten hat Jesus je zu Gesicht bekommen.
aloys.news: Heißt dies, dass die Legitimation der priesterlichen Segnungs- und Absolutionsgewalt von der Richtigkeit dieser Berichte abhängt?
Professor Dr. Mayer-Tasch: Ja, das muss man so sagen. Aber es ist nur „die halbe Wahrheit".
aloys.news: Was wollen Sie damit sagen?
Professor Dr. Mayer-Tasch: Die den Aposteln und ihren Nachfolgern bzw. den von ihnen sozusagen Sekundärlegitimierten verliehene geistliche Gnadengewalt steht und fällt natürlich mit der Legitimationsgewalt der Lichtgestalt des Christentums. Mit anderen Worten: Sie steht und fällt mit der Göttlichkeit von Jesus v. Nazareth.
aloys.news: Diese Göttlichkeit gehört aber doch zu den Grundüberzeugungen des Christentums – zu den sogenannten Glaubenswahrheiten. Schon der Titel Ihres Buches lässt vermuten, dass Sie sich damit befassen
Professor Dr. Mayer-Tasch: Ja, in der Tat. Als Politikwissenschaftler und Philosoph geht es mir in der Tat um die Tragfähigkeit dieser Glaubenswahrheiten, zumal ich selbst als katholischer Christ getauft und sozialisiert wurde.
aloys.news: Vermute ich richtig, dass für Sie deshalb auch die heute weit verbreitete Kritik an den christlichen Kirchen wegen der Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit ein zusätzliches Motiv für die Beschäftigung mit diesem Thema war?
Professor Dr. Mayer-Tasch: Auch das ist richtig. Dass sich (leider nicht erst seit wenigen Jahren) so viel Schmutz mit einer sich auf göttliche Legitimation berufenden Religion verbinden kann, ist schwer zu ertragen. Ich habe deshalb auch meine Empörung und mein Unbehagen auf meine Weise zu bewältigen versucht.
aloys.news: Und was heißt das?
Professor Dr. Mayer-Tasch: Es heißt, dass ich mich mit der Quelle der Legitimation wissenschaftlich befasst habe. Und diese Quelle ist das Konzil von Nicäa, zu dem Kaiser Konstantin die 1800 die Christenheit repräsentierenden Bischöfe einlud, von denen aber lediglich ein Sechstel, nämlich 318 Bischöfe kamen, obwohl ihnen großzügige Reisespesen zugesichert waren.
Neben anderen Streitfragen befasste sich dieses Konzil auch mit der unter den 1800 Bischöfen äußerst strittigen Frage, ob Jesus lediglich ein heiligmäßiger Mann und als solcher Gottvater „wesensähnlich" gewesen sei oder ob er ihm „wesensgleich", also ein Gott sei. Nach langem strittigen Hin und Her entschied sich Konstantin für die Vergöttlichungsvariante, die von dem Alexandrinischen Presbyten Athanasius propagiert wurde.
aloys.news: Wieso glauben Sie, dass sich Konstantin so entschied?
Professor Dr. Mayer-Tasch: Konstantin, dessen Weg zur Macht und in der Macht „über Leichen" führte, zeigt in seiner Regierungspolitik eine Konstante: Es ging ihm um die Reichseinheit und das ewige Theologengezänk über Fragen, die ohnehin nicht definitiv zu beantworten waren, war ihm zuwider. In Nicäa folgte er wohl der Mehrheitsmeinung, legte sich aber auch darauf nicht fest. Fürs Erste wollte er Ruhe im Reich haben, veränderte aber seine Meinung schon bald wieder, verbannte Athanasius und holte den zuerst verbannten Gegner der Vergöttlichungsthese, Arius, wieder aus der Verbannung zurück. Konstantin ließ sich zwar letztlich taufen, bekannte sich aber ebensowenig wie seine Söhne Constantius II. und Constans zur athanasischen Version. Erst unter Kaiser Theodosius setzte sich dann die noch heute von den christlichen Kirchen hochgehaltene These von der Göttlichkeit Jesu endgültig durch.
aloys.news: Heißt dies, dass diese Vorstellung „auf tönernen Füßen" steht?
Professor Dr. Mayer-Tasch: So könnte man es formulieren, wenn man die Entstehung der Göttlichkeitsvorstellung bedenkt – auch bedenkt, dass lediglich ein Sechstel der damaligen Bischöfe (und dies auch noch auf massiven Druck des als Tyrann gefürchteten Kaisers, der kurioserweise in der Orthodoxie als Heiliger gilt) hinter dieser Vorstellung standen.
aloys.news: Welche Konsequenz ziehen Sie selbst aus dieser Geschichte?
Professor Dr. Mayer-Tasch: Sie hat meinen eigenen Blick auf die christliche Kirche und insbesondere auf die katholische Kirche, der ich wegen ihrer sozialen Dienstleistungen an der Gesellschaft trotz der Missbräuche vieler ihrer Priester und trotz der Fragwürdigkeit ihrer sog. Glaubenswahrheiten noch immer angehöre, zweifellos verändert. Und sie hat auch dazu beigetragen, mein Gottesbild zu verändern. Mit Meister Eckart neige ich zu der Überzeugung, dass eine „Gottesgeburt" nicht in Bethlehem erfolgte, sondern in jedem Augenblick in uns selbst erfolgen kann und muss, wenn wir den Lehren der christlichen Ethik gerecht werden wollen.
aloys.news: Dies scheint die persönliche Position des Menschen Peter Cornelius Mayer-Tasch zu sein. Und wie ist die Sicht des Philosophen und Politikwissenschaftlers Professor Mayer-Tasch?
Professor Dr. Mayer-Tasch: Der Politikwissenschaftler in mir ist voll der Bewunderung für das Herrschaftswissen der frühen Führungsgestalten dieser neuen Religion, die das geistige Erbe der Antike für deren Etablierung zu nutzen wussten – die insbesondere begriffen haben, dass sich im Namen eines angeblichen Gottes besser herrschen ließ als nur im Namen eines – wenn auch noch so erleuchteten – Heiligen. Herrschte nicht schon der ägyptische Pharao Amenophis IV. als Gottessohn? Und wieviele Gottessöhne bevölkerten doch die griechische Antike! Verwunderlich ist und bestaunenswert, dass diese geniale Idee für viele Menschen selbst die europäische Aufklärung überstanden hat.
aloys.news: Was überwiegt nun (um den Titel Ihres Buches nochmals zu erwähnen – der Glanz oder das Elend der Gnade)?
Professor Dr. Mayer-Tasch: Ich denke, dass beide zusammenfallen. Wir erleben in der Schönheit vieler christlicher Kirchen und Klöster und in den von der Bergpredigt inspirierten guten Taten vieler Christen ihren Glanz, in den Engherzigkeiten der Institution Kirche und in den Missbrauchstaten fehlgeleiteter Priester aber auch ihr Elend. Und wir müssen angesichts dieses soziokulturellen Phänomens unseren eigenen Weg finden.
aloys.news: Herr Professor Mayer-Tasch, ich bedanke mich für das Gespräch.
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