München – Wer wissen möchte, wie die us-amerikanische Politik nach Trump wahrscheinlich aussehen wird, lese folgendes Gespräch mit Professor Dr. Günther Schmid. Der Professor war über 25 Jahre im außen- und sicherheitspolitischen Beamtenapparat der Bundesregierung sowie als Hochschullehrer tätig. Der Politologe ist ein exzellenter Kenner der internationalen politischen Szene. Mehrfach war er Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz. Professor Schmid lebt in München. Alois Kramer führte für aloys.news das Interview am Telefon. Er kennt den Professor seit mehreren Jahren.


aloys.news: Trump hat in den Jahren 2016/2017 einen fundamentalen Wandel in der Politik herbeigeführt.

Professor Dr. Günther Schmid: Man kann die Administration Trump und die neue Administration Biden nur vor dem Hintergrund eines Vergleichs verstehen. Es stellt sich die erste Frage: Was ist eigentlich unter Trump neu gewesen. Auf der globalen Ebene erleben wir mit Trump einen Wandel als Folge von drei tiefen Zäsuren. Erste Zäsur: Mit Trump gibt zum ersten Mal ein Präsident der USA die traditionelle globale Führungsrolle auf. Es geht also um die demokratische und moralische Führungsrolle. Die zweite Zäsur ist, dass Trump eine ausschließlich an den Interessen der USA orientierte Weltmachtpolitik betreibt mit unbeschränktem Handlungsspielraum frei von idealistischen Ansprüchen. Aber er wollte die militärische Dominanz der USA beibehalten, koste es, was es wolle. Also: „America first" als einzige Richtschnur der us-amerikanischen Politik. Die dritte Zäsur ist die Zuspitzung und Ausweitung der chinesisch-amerikanischen Großmachtrivalität. Diese Rivalität gab es zwar immer, aber unter Trump wurde klar, hier geht es um die machtpolitische, geostrategische und technologische Vorherrschaft im 21. Jahrhundert. Dieser Konflikt mit China ist massiv verstärkt und beschleunigt worden durch die Corona-Krise. Dieser Hegemonialkonflikt wird die nächsten Jahre dominieren vor allem in Bezug auf Schlüsselregionen. Hier muss sich Europa die Frage stellen, wie es sich in dieser Konfrontation auf globaler Ebene verhält.

Auf der nationale Ebene hat Trump einen Bruch mit der liberalen Rolle der USA erzeugt. Er vertritt nicht mehr den liberalen Internationalismus, die tragende Säule der amerikanischen Außenpolitik. Wir erleben unter Trump einen Systembruch. Trump hat ein Weltbild, das keiner seiner Vorgänger hatte. Für Trump ist internationale Politik eine „Arena des Kampfes um Vorteile", wie er es ausdrückt. Eine Arena der ungezügelten Machtrivalitäten, in der die Staaten rücksichtslos ihre eigenen Interessen vertreten. Den Terminus „internationale Gemeinschaft" lehnte er ausdrücklich ab.

Nun stellt sich die Frage, was sich auf der operativen Ebene geändert hat. Trump hat keine Präferenzen mehr für multilateral abgestimmten Regeln, Institutionen, Mechanismen. Trump hat immer wiederholt: Amerikanismus und Patriotismus statt Globalismus. Die Amerikaner wollen also nicht mehr öffentliche Güter für andere Staaten bereitstellen. Trump hat auch Obamas Konzept der kooperativen Bemühungen mit konkurrierenden autoritären Großmächten wie China und Rußland nicht übernommen. Diese hat Trump nicht einbezogen in eine internationale Ordnung. Es herrscht, wie man auf Deutsch sagt: „Faustrecht in der internationalen Politik". Diese Punkte zeigen, wie sehr er sich von seinen Vorgängern Obama und Clinton abgesetzt hat.

Wenn meine Diagnose stimmt, stellt sich die Frage, was aus der Trump-Ära übrig bleibt. Trump geht, aber der „Trumpismus" wird bleiben. Wenn der Mann von über 70 Millionen Amerikanern gewählt wurde und von über einem Drittel der Latinos, einem Drittel der asiatisch-stämmigen und 15 Prozent der Schwarzen, dann heißt das, dass Trump Wähler hat, die man nicht als Faschisten bezeichnen kann. Trump spricht wohl diesen Leuten aus dem Herzen. Dieser konservative Nationalismus insbesondere in der republikanischen Partei, den Trump mit großem populistischen Gespür da aufgenommen hat, bleibt als Strömung wirkungsmächtig. Was aber auch bleibt, ist die hochgradige politische Polarisierung, auch die ideologische Polarisierung der Eliten, der Parteien. Parteien sind in den USA feste ideologische Blöcke, fast möchte man sagen, „Kampfverbände". Das hat Trump verstärkt. Diese Polarisierung der Gesellschaft hat Trump nicht erfunden, sondern er wirkt als Brandbeschleuniger. Dazu kommt noch, dass die Medienlandschaft entlang von ideologischen Konfliktlinien fragmentiert ist. Das muss ein Präsident Biden berücksichtigen. Noch nie hat ein amtierender Präsident so viele Stimmen wie Trump bekommen. Wer 70 Millionen Amerikaner hinter sich hat, der geht nicht einfach weg, sondern bleibt als Strömung da.


aloys.news: Was sind die Schwerpunkte einer amerikanischen Außenpolitik unter Biden?

Professor Dr. Günther Schmid: Biden hat in vielen Äußerungen mitgeteilt, was sich bei ihm ändern wird. Erstens: Die Wiederbelebung des Multilateralismus mit Verbündeten und mit Partnern, gemeinsames Vorgehen gegen globale Bedrohungen. Klimawandel, sagt Biden, ist eine existentielle Bedrohung. Daher Wiedereintritt in das Pariser Klimaabkommen, Strafzölle gegen Klimasünder. Das heißt, Biden zieht mit den Europäern an einem Strang. Zweitens sucht Biden eine gleichberechtigte globale Partnerschaft mit Verbündeten. Aber er erwartet auch einen größeren Beitrag und eine größere Führungsrolle Europas. Biden wird ein neues Natostrategiekonzept in Auftrag geben. Drittens wird er die Zusammenarbeit mit anderen Demokratien vertiefen. Biden hat begriffen, dass der Wettbewerb mit großen Mächten wie China und Russland nur in Gemeinschaft mit anderen Demokratien bestritten werden kann. Deshalb hat er auch einen „Summit for Democracy" für das erste Jahr seiner Präsidentschaft angekündigt. Der Systemkonflikt mit dem Thema Menschenrechte, die bei Trump überhaupt keine Rolle gespielt haben, werden wieder an Bedeutung gewinnen. Aber es wird viertens keine substantiellen Veränderungen in der Beziehung zu China geben. Die Zielsetzungen von Trumps und Bidens Chinapolitik sind nahezu deckungsgleich.

Allerdings wird Biden diplomatischer und differenzierter sein, dazu rhetorisch weniger konfrontativ. Nancy Pelosi und Jack Schumer teilen die antichinesische Haltung. Es wird trotzdem eine gemeinsame Front der demokratischen Staaten gegen Chinas Handelspolitik geben. Die Importzölle werden wahrscheinlich nicht gleich aufgehoben werden. Anthony Blinken, der schon unter Obama Sicherheitsberater war und es wahrscheinlich unter Biden auch sein wird, hat vor einigen Wochen in der New York Times geschrieben: China hat eine strategische Position entwickelt, die zur größten Herausforderung seit der Sowjetunion geworden ist. Allerdings wird Biden das Verhältnis zu China wieder mehr auf diplomatische Ebenen bringen. Trump hat ja ein Drittel der Diplomaten entlassen oder sie haben den Hut genommen. Biden hat festgestellt: „Diplomatie ist das erste Instrument der amerikanischen Außenpolitik".

Jetzt kommen wir zu Russland. Ich sehe da nichts von einem „Honeymoon". Interessant ist, dass Putin vorgeschlagen hat, den letzten verbliebenen Abrüstungsvertrag, der im Februar nächsten Jahres ausläuft, zunächst um ein Jahr zu verlängern und er dann zu neuen Vertragsverhandlungen bereit ist. Da widersetzt sich Biden nicht. Er ist kein Feind von neuen Rüstungskontrollabkommen. Die wird er auch Nordkorea und China anbieten. Aber er will die Nato ausbauen gegen expansive und offensive Tendenzen und eine verstärkte Aufrüstung Moskaus. Auch in der Russlandpolitik sehe ich keine fundamentalen Unterschiede. Es wird keine großen Deals zwischen Biden und Putin geben.

Kommen wir zum Nahen und Mittleren Osten. Trump hat Israel immer als Speerspitze zur Eindämmung von Iran gesehen. Da geht es weniger um Sympathien für Israel, da ist Trump schmerz- und religionsfrei. Auch da wird es keinen Unterschied von Biden geben. Er war ja schon mit Obama proisraelisch eingestellt, bei allen Differenzierungen im Einzelnen. Zum Beispiel die Siedlungspolitik der Israelis. Das Ziel der Eindämmung von Iran bleibt ein strategisches Ziel der USA, von Saudi Arabien und Israel. Biden wird die Saudis kritischer sehen, aber den wenigstens für die nächste Zeit unlösbaren Konflikt zwischen Saudi Arabien und Iran diplomatisch etwas zu mildern. Jedoch wird Biden den maximalen Druck auf Teheran beibehalten, er wird aber sehr schnell wieder zu dem Vertrag zurückkehren, den der Westen mit Iran geschlossen hat. Er erwartet wahrscheinlich eine Reduzierung des Engagements Irans im Nahen Osten.

Es wird aber unter Biden keine großen Militärinterventionen mehr geben. Bei der Unterstützung eines Partners gegen einen gemeinsamen Feind wird es eher kleinere mobile militärische Einheiten geben. Große militärische Interventionen werden von etwa 70 Prozent der Amerikaner abgelehnt.


aloys.news: Was bleibt?

Professor Dr. Günther Schmid: Es wird sich in der Zielsetzung von Trump zu Biden nicht so viel verändern. Was sich verändern wird, ist der Stil. Den Nepotismus, diese Vetternwirtschaft von Trump wird es nicht mehr geben. Dass die ganze Familie Trump Büros im Weißen Haus bekommt, ist ja einmalig. Biden wird auch diesen Parallelkosmos mit eigenen Gesetzen, den Trump geschaffen hat, auflösen. Trump hat den amerikanischen Staat zum Dienstleister des Trump-Imperiums gemacht. Er hat nicht getrennt zwischen seiner Firma und der amerikanischen Außenpolitik. Er hat Wahlkampfveranstaltungen im Weißen Haus gemacht, er flog drei mal in der Woche mit der Air Force One nach Florida zum Golfen. So was würde Biden niemals tun. Unter Biden wird die Seriosität des amerikanischen Präsidenten eine viel größere Bedeutung haben. Allerdings wird es in einem Punkt keinen Dissens zwischen Biden und Trump geben. Die Amerikaner wollen weiterhin Vormacht bleiben. Das heißt nicht, dass sie China nicht an den Verhandlungstisch setzen wollen. Aber aufgrund ihrer wirtschaftlichen und militärischen Macht bleiben die USA der mächtigste Staat der Erde. Das wird sich nicht ändern, auch wenn Biden mehr als vier Jahr bräuchte, um diese Politik mit der Abrissbirne zu reparieren. Die strukturelle Macht der USA ist nach wie vor ungebrochen. Das hat sich unter Trump auch nicht geändert. Denken Sie an die starke Rolle des Dollars. 62 Prozent der Weltwährungsreserven werden heute in Dollar gehalten. Die Rolle der amerikanischen Finanzinstitutionen bringen den USA auch Vorteile. Dazu gehört die Attraktivität des größten Binnenmarkts der Erde, wenn Sie mal China wegnehmen. Der us-amerikanische Markt ist enorm attraktiv. Dazu verfügen die Amerikaner über beträchtliche wirtschaftliche Zwangsmittel. Nordstream II wird ein großes Problem bleiben. Die Amerikaner sind nicht überzeugt, dass das ein großes Projekt ist. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass auch unter Trump und Biden die Amerikaner ein Staat mit einer globalen Agenda bleiben. China und Russland haben keine globale Agenda.

Was allerdings kritische Diskussionen herbeirufen könnte, ist Deutschlands Chinapolitik. Sowohl Amerikaner hinter vorgehaltener Hand wie auch viele Europäer meinen, dass die starke Betonung wirtschaftlicher Interessen in der deutschen Chinapolitik fatal ist. Kanzlerin Merkel äußert sich zwar kritisch, aber in der praktischen Politik folgenlos über Hongkong. Es gibt also so eine Art Sonderverhältnis von Deutschland zu China. Merkels Chinapolitik wird von vielen Leuten im europäischen Parlament als Appeasement-Politik gewertet. Das heißt, wir haben zwischen Deutschland, USA und Europa abweichende Bedrohungswahrnehmungen was China betrifft. Es gibt keine globale Einflusskonkurrenz und keine sicherheitspolitischen Probleme zwischen Europa und China. Die Amerikaner sind für eine stärkere wirtschaftliche Entkoppelung von China. Da geht es darum, Abhängigkeiten zu reduzieren. Da sind die Europäer dabei. Sie sagen, wir wollen unsere Lieferketten minimieren, zum Beispiel im medizinischen und pharmazeutischen Bereich. Das ist die erklärte Absicht eines Drittels der deutschen Firmen.  

Hoffnungsvoll ist, dass die China-Politik des Westens immer wieder diplomatisch diskutiert wird. Biden und die Europäer müssen sich an einen Tisch setzen und strategische Punkte herausarbeiten, um mit der großen technologischen und wirtschaftlichen Herausforderung Chinas fertig zu werden.


aloys.news: Wie sieht denn die wirtschaftliche Lage in den USA tatsächlich aus?

Professor Dr. Günther Schmid: Was die wirtschaftliche Lage der USA betrifft, so gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen. Die Zahlen sagen uns, dass Obama eine seit 2009 florierende Wirtschaft hinterlassen hat. Mit dem Amtsantritt von Obama ist die wirtschaftliche Rezession der Jahre 2007/2008 vorbei. Obama hat einen Aufschwung möglich gemacht. Die Arbeitslosigkeit fiel vom Jahr 2009 auf das Jahr 2016 von 9,28 auf 4,88 Prozent. Trump konnte die gute wirtschaftliche Lage, die Obama ihm hinterlassen hat, nutzen.

Trumps Wirtschaftspolitik kann man auf einen Nenner bringen: Steuersenkung, Deregulierung und der Abbau des großen Handelsdefizits von über 500 Milliarden US-Dollars.

Trump hat die Steuern für Unternehmen von 35 auf 21 Prozent gesenkt. Das kam seiner Wählerklientel natürlich entgegen. Daraus resultierte allerdings, dass etwa 20 Prozent der einkommensstärksten Haushalte in den USA 50 Prozent der Senkung für sich verbuchen konnten. Die untersten 20 Prozent gingen fast leer aus. Genau wegen dieser Unternehmenssteuerreform sind die Staatsschulden der USA dramatisch angestiegen. Nämlich von 109 Prozent auf 131 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Die Gesamtverschuldung der Vereinigten Staaten liegt bei astronomischen 30 Billionen US-Dollar. Wenn man nämlich derartige Steuerausfälle kompensieren muss, geht das nur über Staatsschulden. Die Weltbank sagt, dass es ein großes Problem sein wird, bis 2027 die Staatsverschuldung wieder zurückzuführen.

Was die Deregulierung betrifft, so hat Trump gesagt, dass wir die Wirtschaft von den Knebeln befreien müssen. Zum Beispiel die Abschaffung von Auflagen beim Umweltschutz, beim Arbeitsschutz, bei den Banken. Das hat natürlich die Wirtschaft zu einem großen Teil beflügelt.

Allerdings hat er das Handelsdefizit nicht in den Griff bekommen. Es ist von etwa 500 Milliarden auf 621 Milliarden gestiegen. Der Handelskrieg mit China und anderen Staaten kostete jeden amerikanischen Privathaushalt laut Daten vom Budget-Office des US-Kongresses mehr als 1000 Dollar im Jahr.

Allerdings ist die Arbeitslosenquote unter Trump leicht gesunken. Ob er was dafür kann, ist eine andere Frage. 2016 von 4,88 Prozent auf 3,7 Prozent in diesem Jahr. Im übrigen haben im Januar diesen Jahres 62 Prozent der Amerikaner gesagt, dass sie mit ihrer wirtschaftlichen Lage zufrieden seien. Das heißt, Trump wird wie bei den Wahlen 2016 Trump eine höhere Wirtschaftskompetenz zugesprochen als Biden. Das dürfte ein Warnsignal für Biden sein, dass die Wähler von Trump nicht verschrobene alte weiße Männer sind, die dem Faschismus zuneigen, was purer Quatsch ist. Wenn Trump 70 Millionen Wähler für sich gewinnen konnte, dann heißt das auch, dass ein Schwarzer sicherere Lebensverhältnisse erwartet. Darum muss sich Biden kümmern. Ob Biden das schaffen wird, wer weiß. Ich selbst habe Biden drei oder vier Mal auf der Münchner Sicherheitskonferenz erleben dürfen und ich muss sagen, ich habe kaum einen sympathischeren Amerikaner wie Biden getroffen, der so auf die Leute zugeht wie er. Biden hat in seiner Zeit als Vizepräsident ein gutes Team gehabt und wird das auch wieder haben. Zum Beispiel als neuen Stabschef Ron Klain, einen sehr erfahrenen Mann. Der war bereits während seiner Vizepräsidentschaft Bidens engster Mitarbeiter im Weißen Haus. Wir werden also wieder zu einer verlässlichen und berechenbaren Politik zurückkehren. So wird die Autorität der US-Regierung wieder hergestellt werden.


aloys.news: Also doch kein so großer Unterschied zwischen Trump und Biden?

Professor Dr. Günther Schmid: Doch lassen Sie mich das nochmals betonen: Die Zielsetzungen zwischen Trump und Biden sind gar nicht so unterschiedlich, aber die Methoden werden sich massiv unterscheiden. Insofern ist Biden eine große Chance, jedoch kein Wunderheiler. Er ist ein Arzt, der jetzt eine vierjährige Therapie dem Land verschreiben kann und der, wenn er ein bisschen Glück hat, auch Erfolg damit haben kann. Damit ist der Spuk mit der Selbstdarstellung von Trump und seiner Administration, die alle Regeln und Allianzvorstellungen gesprengt hat, endlich vorbei. Kein bisheriger Präsident hat die Allianzmitglieder so vor den Kopf gestossen, inklusive Merkel. Das ist bald alles Vergangenheit und unter Biden wird Amerika berechenbarer, seriöser und vom Autoritätsverfall etwas geheilt werden. Aber die Partner müssen liefern. Diese Politik ist keine Einbahnstraße.

Trump hat alles, was Obama eingefädelt hat, eingerissen. Er hat zum Beispiel 88 Prozent der Stammbesetzung des Weißen Hauses ausgetauscht. Das heißt Trump kann mit Regularien und mit normalen Entscheidungsprozessen nichts anfangen. Wenn Sie das Buch von Trumps ehemaligem Berater John Bolton kennen und verstehen, zwischen den Zeilen zu lesen, werden Sie feststellen müssen, dass das Chaos im Weißen Haus für viele Leute abschreckend war. Da haben viele den Hut genommen, die man heute wieder brauchen würde. Biden muss viel reparieren, aber er hat die Chance, dass die Reparaturarbeiten Erfolge zeigen werden.


aloys.news: Kamala Harris?

Professor Dr. Günther Schmid: Die Wahl von Kamala Harris zur Vizepräsidentin war der Coup schlechthin. Wir haben sie in den Fernsehdiskussionen gesehen, die sie hervorragend gemeistert hat und weil sie ganz andere Wählerschichten anspricht, die Biden vielleicht gar nicht erreichen kann.

Es besteht ein anderes Risiko. Die Demokraten könnten überlegen, warum sie die Wahl im Repräsentantenhaus nur so knapp gewonnen haben. Wenn die linken Gruppierungen bei den Demokraten auf die Idee kämen, neue Wählerschichten zu erreichen, die Trump bekommen hatte, so wäre das der falsche Weg. Es kommt darauf an, dass Biden die Wahl in der Mitte gewonnen hat und die Mitte auch einhalten muss. Es wäre nicht gut, Vorschlägen der linken Demokraten, die mit unserer Sozialdemokratie vergleichbar sind, dass man das Geld für die Polizei einsparen sollte und was anderes damit machen könnte, zu folgen. Das wäre tödlich.


aloys.news: Narziss Trump?

Professor Dr. Günther Schmid: Vielleicht darf ich mir hier noch einen Hinweis erlauben. Es gab 2017, ein Buch auf dem amerikanischen Markt herausgegeben von der Psychiaterin Bandy X. Lee mit dem Titel „The Dangerous Case of Donald Trump". Da haben sich 27 Psychiater, darunter berühmte Leute, breitschlagen lassen, Trump aus der Ferne zu diagnostizieren. Das ist sowas von daneben, dass selbst die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie festgestellt hat, dass dieses Buch für ihre Branche eine Schande ist. Einen Mann, den sie nie getroffen und untersucht haben, dem haben sie die Diagnose gestellt, dass er eine narzisstische Persönlichkeit ist. Es gibt übrigens keinen klinischen Befund des Narzissmus und selbst wenn es ein klinischer Befund wäre, so wären 97 Prozent aller deutschen Politiker schwer krank.

Wir haben uns in der Anfangsphase von Trumps Regierungszeit auf die Person Trump konzentriert, was fatal war. Wir hätten stattdessen zwei andere Fragen stellen müssen. Warum hat eine Nation diesen Mann gewählt? Warum hat man einen Mann gewählt, der wörtlich gesagt hat, ich kann jeder Frau an die Pussy fassen oder ich könnte auf der Fifth Avenue einen Menschen erschiessen, ohne dass mir etwas passiert. Im Gegenteil, die Leute würde mir noch applaudieren. Das hat er ja alles vor seiner Präsidentschaft gesagt. Das heißt, die Leute wussten, wen sie wählen. Warum haben sie denn dann Trump gewähl?. Es stellt sich die zweite Frage, wie tief muss die Polarisierung in der amerikanischen Gesellschaft sein, dass Trump wie ein Brandbeschleuniger das alles noch verstärken konnte. Das ist die entscheidende Frage.


aloys.news: Professor Schmid, ich bedanke mich für das Gespräch.