Von Alois Kramer auf Dienstag, 22. Dezember 2020
Kategorie: Kultur

Anselm Bilgri, ehemaliger Benediktinermönch und Prior von Kloster Andechs am Ammersee, ist aus der römisch-katholischen Kirche aus- und in die alt-katholische eingetreten.

München/Andechs – „Seit Jahren trage ich mich mit dem Gedanken, zu den Alt-Katholiken überzutreten. In dieser Kirche ist all das verwirklicht, was auch meine Vision von Katholizismus in der modernen Welt ist. Ich glaube nicht mehr an den aufrichtigen Reformwillen in der römisch-katholischen Kirche." begründet Anselm Bilgri seinen Übertritt.

Siegfried J. Thuringer, Pfarrer der Münchner Gemeinde, zum Übertritt von Anselm Bilgri:
„Ich bin Anselm Bilgri als Theologiestudent vor 35 Jahren begegnet – als er noch Prior in Andechs war – bei wissenschaftlichen Symposien zur Thematik Liturgie und Ökumene. Ich schätze ihn und freue mich, dass er, nachdem er bereits längere Zeit als Gast in unserer Gemeinde mitlebt, nun auch formal der alt-katholischen Kirche beigetreten ist.

Anselm Bilgri, ehemaliger Benediktinermönch und Prior von Kloster Andechs in Oberbayern, ist aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten und in die alt-katholische eingetreten.

aloys.news: In Ihrem Buch „Bei aller Liebe – Warum die katholische Kirche den Zölibat freigeben muss", dass 2018 im Piper Verlag erschienen ist, kritisieren Sie ja auch die katholische Kirche in mehreren Punkten. Die Wahl von Papst Franziskus hatte vielen Christen Hoffnung gemacht auf Neuerungen in der Kirche und mehr Ökumene. Jetzt haben Sie endgültig die Hoffnung aufgegeben, dass sich in der römisch-katholischen Kirche noch weitreichende Reformen durchsetzen lassen?


Anselm Bilgri:
Man sieht es ja immer wieder: Papst Franziskus macht spontan mutige Äußerungen, kurz danach werden diese von der Kurie wieder relativiert. Die vom Konzil angestoßene Dezentralisierung der Kirche wird immer wieder konterkariert. Leider auch von den Bischöfen selbst. Sie haben nicht den Mut, zukunftsweisende Schritte zu gehen. Das beste Beispiel ist der römische Brief zum Synodalen Weg. Dann doch gleich eine katholische Kirche, bei der das synodale Prinzip schon seit über hundert Jahren funktioniert.

aloys.news: Die alt-katholische Kirche kennen viele Menschen gar nicht. Was zeichnet sie aus?

Anselm Bilgri:

Die alt-katholische Kirche ist, wie die Selbstbezeichnung sagt, eine katholische Kirche, die den Glauben und die kirchliche Ordnung der alten Kirche, d.h. der Kirche des 1. Jahrtausends bewahrt hat. Sie hat sich gegründet, weil sie die Neuerungen des 1. Vatikanischen Konzils 1870 nicht mitvollziehen wollte. Dort wurde die Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma erhoben. Sie hat eine synodale Struktur, keinen Pflichtzölibat für ihre Priester, lässt Frauen zu allen Weihe-Ämtern zu, traut gleichgeschlechtliche Paare. Heute ist die alt-katholische Kirche in Deutschland mit einem Bistum vertreten, zu dem ca. 15 000 Mitglieder gehören. Der Bischof sitzt in Bonn. Dr. Matthias Ring leitet seit 2009 das Katholische Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland unter Mitwirkung und Mitentscheidung der Synodalvertretung, bestehend aus Klerus und Laien.

aloys.news:Und wie steht die römisch-katholische Kirche zur alt-katholischen? Es ist seltsam, dass die alt-katholische Kirche nicht bekannter ist, schließlich erlaubt sie all das, was in der römisch- katholischen Kirche untersagt ist, wie das Priesteramt für Frauen oder die freie Wahl, wie man leben will?

Anselm Bilgri:

Bis zum II. Vatikanischen Konzil gab es von der römisch-katholischen Kirche keinen Kontakt zu den Alt-Katholiken, sie galten als Abtrünnige. Inzwischen gibt es distanzierte bis wohlwollende ökumenische Zusammenarbeit. Es gibt ja viel Gemeinsames: die Sakramente, die Ämter werden gegenseitig anerkannt, die Liturgie ist bis auf wenige Details die gleiche, Maria und die Heiligen werden verehrt. Sogar der Papst wird als Patriarch des Abendlands respektiert, aber er kann nicht in die alt-katholische Kirche hineinregieren und er gilt nicht als unfehlbar. Ich habe mich selber immer schon gewundert, dass die Alt-Katholiken nicht bekannter sind. Das liegt vielleicht an ihrem Namen: „alt" hört sich veraltet an, dabei ist es in diesem Fall genau das Gegenteil. In der Schweiz nennt sie sich christkatholische Kirche.


aloys.news:Ist die altkatholische Kirche weltweit aktiv? In einigen Ländern präsenter als in anderen und welche Gründe könnte das haben?

Anselm Bilgri:

Die Alt-Katholiken sind vor allem in den deutschsprachigen Ländern Deutschland, Österreich und der Schweiz aktiv. Das hängt mit der Entstehungsgeschichte zusammen: die Gegner der Unfehlbarkeit auf dem I. Vatikanische Konzil 1870 kamen vorwiegend aus diesen Ländern. Dann gibt es in den Niederlanden schon seit dem 18. Jahrhundert eine von Rom unabhängige katholische Kirche. Der Erzbischof von Utrecht ist der Präsident der alt-katholischen Union. Und nicht zu vergessen: es besteht eine Sakramentsgemeinschaft mit der anglikanischen Kirche und eine gegenseitige Einladung zur Eucharistie mit der evangelischen Kirche.

aloys.news:Wie ist die Situation in München?

Anselm Bilgri:

St. Willibrord, in der Blumenstraße in der Münchner Innenstadt, ist ihre Kirche in München. Die Leitung hat zusammen mit dem Kirchenvorstand Pfarrer Siegfried J. Thuringer, den ich noch aus gemeinsamen Studienzeiten in Passau kenne. Die Gemeinde hat um die 650 Mitglieder, eine Priesterin im Ehrenamt, zwei nebenberufliche Priester, einer davon als Kurat in Bad Tölz. Es gibt in Bayern u.a. Pfarreien in Rosenheim, Kaufbeuren, Würzburg, Kempten, Regensburg, Nürnberg und Augsburg. Ich könnte in der alt- katholischen Kirche auch als Priester im Ehrenamt wirken.

aloys.news:Wie funktioniert so ein Übertritt und wann wurde ihr Übertritt durch wen oder welche Zeremonie vollzogen? Gibt es schon Reaktionen aus der römisch-katholischen Kirche?

Anselm Bilgri:
Der Übertritt ist ganz einfach und sehr unbürokratisch. Man tritt zuerst aus der bisherigen Kirche aus, dann vollzieht der alt-katholische Pfarrer die Aufnahme in seinen Amtsräumen. Beim nächsten Gemeindegottesdienst kann der Neuling dann einen Willkommenssegen erhalten. Kirchensteuer spart man übrigens nicht, auch die Alt- Katholiken dürfen sie erheben. Ein priesterlicher Freund, mit dem ich über meinen Konfessionswechsel gesprochen habe, reagierte verhalten, andere verständnisvoll.
Von offizieller Seite gibt es noch keine Reaktion.

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