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"Ernesto, der Seebär – Vom Tretauto zum Schlachtschiff" Erinnerungen des 90-jährigen Dießener Ernesto Rudolf Hofmann. Auf der Insel Java geboren, landet er auf seine alten Tage am Ammersee. Der Fortsetzungsroman eines bewegten Lebens: Folge 20

Ernesto Rudolf Hofmann ist der Seebär. Graphik: Pax et Bonum Verlag

Folge 20

Es muss für Kapitän Hatenboer tragisch gewesen sein zu wissen, in dieser Mechanik ein wichtiges Zahnrad gewesen zu sein. - Er selber hat mit uns nie über diesen Vorfall gesprochen.

Und jetzt möchte ich einhaken in den 100jährigen Rückblick auf meinen Vater, den ich anfangs des Kapitels über Kapitän Hatenboer angesprochen habe. Damit wird den geschätzten Lesern dieses meines Buches klar, wie mein Vater auf die "Kawi" kam, weshalb meine Mutter ihre Pension aus Holland bezog und warum ich nicht im schönen Bayern, sondern auf Java geboren wurde. All das kam vorher schon einmal kurz zur Sprache und Sie werden sich schon gedacht haben, ist das aber ein Durcheinander. Nein, es ist kein Durcheinander, sondern eine chronologische Abfolge von richtigen zeitlichen Abläufen, aber Sie haben, wenn Sie schon so viel Geld für dieses werthaltige Buch ausgegeben haben, auch das Recht, zu erfahren, was der Auslöser dieser Lebenschronik war. Nicht, dass ich überhaupt geboren wurde, das steht auf einem ganz anderen Blatt (nämlich dem ersten ... ).

Mein Vater, Jahrgang 1880, war Student der Forstwissenschaften. Damals noch in Aschaffenburg. Sein Studentendasein gefiel ihm so gut, dass er damit gar nicht mehr aufhören wollte. Er hat die Rechnung ohne seinen Vater gemacht, der ja selber aus seiner eigenen Jugendzeit bestens Bescheid wusste. Er setzte ihm eine letzte Frist, innerhalb derer er sein Studium zu beenden hatte, ansonsten würde ihm die Appanage gestrichen. Mein Vater erkannte den Ernst der Lage, strengte sich an und beschloss sein Studium cum laude, zusammen mit den anderen Studienkollegen, denen es nicht besser erging.

Seine Jugend hatte er mit seiner Schwester Clementine noch im Forsthaus Karlstein bei Reichenhall verbracht. Auf einem Ölbild sind die beiden glücklichen Kinder, auf einer Wiese spielend mit dem alten Forsthaus im Hintergrund, zu sehen. Bad Reichenhall war nach Karlstein der nächste Standort meines Großvaters als Oberforstmeister, sodass die Umgebung Reichenhall bis Mauthäusl für meinen Vater eine bekannte Spielwiese war. In diesem Gebiet fühlte sich auch der Prinzregent Luitpold sehr wohl, mit dem unser Vater, ebenfalls schon Forstassessor, oft auf der Jagd war. Gern erzählte er folgende Begebenheit: Bein einer Jagd stand das Hosentürl vom Prinzregenten offen. Wie es ihm schonend beizubringen?? Einer der Begleiter des Prinzregenten hatte die glorreiche Idee, die den Prinzregenten nicht blamieren sollte: Er machte kurzerhand sein eigenes Hosentürl auf und sagte: Majestät, wie wär's, wenn wir unser Hosentürl zumachen täten? Der Prinzregent, gemeinhin als sehr umgänglich bekannt, lachte herzlich und war keineswegs beleidigt.

Vertreter der niederländischen Regierung kamen damals aus Wageningen, zu vergleichen mit unserem heutigen Weihenstephan, nach Deutschland, um Forstleute für ihre Kolonien anzuwerben. Und zwar nur solche, die cum laude abgeschlossen hatten. Und so kam eines Tages, wie der Corpszeitung der Verbindung Hubertia in München wörtlich zu entnehmen ist, einer seiner Freunde auf ihn zu und fragte: "Du, Tatzl (weil er so große Hände hatte), gehst mit?" "Wohin?" "Nach Java." "Liegt des net im mexikanischen Meerbusen?" "Na, des liegt wo anders." "Is scho recht, i geh mit." Zitatende. Und so unterzeichneten acht bayerische Forstleute einen sechsjährigen Vertrag, um im Auftrag der niederländischen Regierung auf Java die Djatiholzwälder zu kultivieren. Es waren dies meiner Erinnerung nach die Forstleute Burkart, Sihler, Nirschl, Hacker, Gresser, May, Bosch und unser Vater Hofmann.

Unser Vater war Zeit seines Lebens bereits in zweiter Generation Mitglied im Corps Hubertia, das damals, um die Jahrhundertwende 1900, in der Mehrzahl aus Forstleuten bestand. Da es inzwischen immer weniger Forstleute gibt, liegt ihr Schwerpunkt heute auf der Corpsbrüderschaft von Ärzten, Juristen und Ingenieuren. Wer glaubt, die althergebrachte Studentenverbindung ist ein Relikt aus alten Zeiten, ist falsch gewickelt, denn sie hat nicht nur den Krieg unbeschadet überstanden, sondern erfreut sich – insbesondere Hubertia – steigender Beliebtheit und bietet auch mittellosen Studenten alle nur mögliche Unterstützung. „Hubertia sei's Panier" ist ihr Wahlspruch, der in wahrer Bruderschaft zu den Corpsbrüdern in alle Welt hinausgetragen wird. Sie bietet all seinen Mitgliedern lebenslange Freundschaft und gegenseitige Hilfe. Hubertia wurde bereits in 1844 in Aschaffenburg gegründet, dem damaligen Sitz der bayerischen Forsthochschule. Nachdem diese 1910 nach München verlegt wurde, fand auch Hubertia ihr Domizil in dieser Stadt.

Nach Ende seines Vertrages sollte gerade der Erste Weltkrieg ausbrechen und als Reserveoffizier sah er sich in der Pflicht, seinem Vaterland zu dienen. Im blinden Vertrauen auf die Zusage der niederländischen Regierung, die unbehelligte Überfahrt nach Europa zu garantieren, buchte er seine Passage auf der holländischen "Kawi". Dass ihm dabei selber nicht ganz wohl war, beweist wohl die Tatsache, dass er vorab sein Gepäck sicherheitshalber über Japan mit der Transsibirischen Eisenbahn nachhause geschickt hatte. Das kam dann auch wohlbehalten in München an, er nicht.

Mehrere andere Kollegen blieben auf Java, wurden befördert, bekamen saftige Gehaltserhöhungen und erhielten sogar zum Teil die niederländische Staatsbürgerschaft. Mein Vater sagte:" Ich wechsle meine Staatsbürgerschaft nicht wie mein Hemd!" Wie dem auch sei, die Engländer hatten genaue Kenntnis über den jeweiligen Status der an Bord der "Kawi" befindlichen Passagiere, die gezielt in Gibraltar vom Schiff geholt wurden. - Und nun kommt die Erzählung von Kapitän Hatenboer, wie ich sie 40 Jahre später aus seinem Munde in der Seefahrtsschule erfahren sollte.

Weil mein Vater sich der Gefangennahme entziehen wollte, indem er sich von einem Mitreisenden hinter ein Panel einschrauben ließ, erhielt er erschwerte Haftbedingungen. Die Engländer sperrten ihn in eine Felsengefängniszelle ein, in der das Wasser an den Wänden herunterlief. Als Zellennachbarn hatte er Ratten, die er aus Langeweile zu dressieren versuchte, mit mäßigem Erfolg. Dieses in die unterirdischen Felsen gehauene Gefängnis habe ich erst bei meinem dritten Aufenthalt in Gibraltar Ende der 1990er Jahre entdeckt, so versteckt war es angelegt!

Nach sechs Monaten wurde er in das normale Barackenlager Windmill Hills auf Gibraltar entlassen, von seinen Haftbedingungen gezeichnet. Über dieses Lager existiert im übrigen ein Buch gleichen Namens aus den zwanziger Jahren, das vielleicht noch im Antiquariat eines Internet-Anbieters zufinden ist. Es ist äußerst lesenswert, zu erfahren, wie es in einem englischen Gefangenenlager zuging und wie die deutschen Gefangenen den Briten zusetzten...Zum Beispiel: Zu allen Tages-, aber vor allem Nachtzeiten ein donnerndes Stakkato: "Dreimal kurz gelacht, Ha, Ha, Ha!" Oder: "Zicke zacke zicke zacke hoi hoi hoi!" Die Engländer konnten dem deutschen Humor nichts abgewinnen. Auch mit anderen Streichen versuchte man, den Gefangenenwärtern das Leben so unerträglich wie möglich zu machen.

Ein Jahr später wurden die deutschen Gefangenen nach England "umgesiedelt" (wahrscheinlich, weil die Engländer in Gibraltar mit ihnen nicht klarkamen), wo er dann vor die Wahl gestellt wurde, entweder seine Zeit in einem (unkomfortablen) Kriegsgefangenenlager das Ende des Krieges abzusitzen, oder sich in ein Privilegecamp (Vorzugslager) versetzen zu lassen, wo man - zwar auf eigene Kosten - mit größerem Komfort untergebracht werden konnte. Nachdem mein Vater ja ein feiner Pinkel war, wählte er letztere Möglichkeit, wodurch sich aber auch seine ganzen Ersparnisse auf ein Minimum reduzierten. Seine Internierung erfolgte im Lofthouse Park, Wakefield.

Im Jahr 1919 kam dann der Austausch: 2 Engländer gegen einen Deutschen (die Bedeutung einer solchen Bewertung ihrer eigenen Offiziere erkannten die Engländer damals noch nicht ... ) unter der Maßgabe, dass die Engländer direkt von Deutschland aus heimreisen durften, die Deutschen aber ein Jahr in Holland interniert wurden.

Und nun wird auch das zweite Geheimnis offenbart: In Rotterdam, wo er seine Zeit verbringen musste, lernte er seine spätere Frau kennen, die dann zufälligerweise meine Mutter werden sollte. Sehr zum Ungemach meiner Großmutter, die während all dieser Zeit schon auf eigene Faust eine ihr genehme Schwiegertochter ausgekundschaftet hatte, eine gute Partie, die doch die Tochter der Wittmann-Brauerei aus Ingolstadt sein sollte. Aber unsere Mutter war genauso wenig eine schlechte Partie wie die Wittmann-Tochter, kam aus gutem Hause und war die Nichte eines Rotterdamer Reeders, der im neunzehnten Jahrhundert mehrere Segelschiffe nach Ostasien sein eigen nannte.-Ein anderer Onkel war Direktor des Claridge's Hotel in London. Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt darüber in ihrer Ausgabe vom 24. Mai 2013: „Auf der anderen Seite der Oxford Street liegt das Hotel Claridge's. Es handelt sich um eines der wunderbarsten Hotels der Welt, eine Mischung aus Art déco und viktorianischem Stil".

Mit ihm in Rotterdam interniert war sein Freund Clemens Molls aus Mönchen-Gladbach-Rheindalen, U-Bootkommandant. Beide waren begeisterte Segler und zum Segeln gab es in der Nähe von Rotterdam genug Gelegenheit. Eines Tages wollte unser Vater seine neue Eroberung seinem Freund vorstellen. Dazu hatte er aber seine zukünftige Frau, die ja kein Wort Deutsch verstand und mit ihren 19 Jahren noch sehr unbedarft war, folgendermaßen auf das Treffen mit seinem Freund vorbereitet: Wenn du ihm eine große Freude machen willst, dann musst du ihn mit den Worten begrüßen: „Grüß Gott, Herr Molls, du kahlköpfiger Schweinehund". Und das paukte er mit ihr, bis es saß. Molls stutzte, brach aber dann in schallendes Gelächter aus, denn er wusste, woher der Wind wehte. Mit Familie Molls hegten wir noch bis lange nach dem Krieg in die sechziger Jahre eine sehr innige Freundschaft. Sie endete, weil ich mich für ihre Tochter Jülchen interessierte, ich denen aber nicht gut genug war.

Onkel Clemens, wie ich ihn als 5jähriger Stoppsel nennen durfte, war es, der mich lehrte, die Uhr zu lesen. Dazu brachte er mir mal während einer seiner Besuche aus Mönchen-Gladbach-Rheindalen eine runde Kartonuhr mit drehbaren Zeigern mit, mit der ich diese Kunst schnell intus hatte. 

Fortsetzung folgt

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