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"Ernesto, der Seebär – Vom Tretauto zum Schlachtschiff" Erinnerungen des 90-jährigen Dießener Ernesto Rudolf Hofmann. Auf der Insel Java geboren, landet er auf seine alten Tage am Ammersee. Der Fortsetzungsroman eines bewegten Lebens, Teil 2: Folge 31

Die Miraflores-Schleusen im Panamakanal Foto: Ernst Rudolf Hofmann
Culebra-Cut. Foto: Ernesto Rudolf Hofmann
Gatun-Schleuse. Foto: Ernesto Rudolf Hofmann

Folge 31

Willemstad gehört unzweifelhaft zu den schönsten Städten in der Karibik. In Amsterdamer Architekturbauweise, nur viel farbenfroher. Dort gaben sich schon damals Touristen aus aller Welt ein Stelldichein. Sehenswert ist der venezolanische Obst-, Gemüse- und Fischmarkt, an dem jeden Tag frische Ware aus Venezuela auf karibischen Segelschiffchen angeboten wird, die dort mit dem Bug voran so anlegen, dass auch ja kein Kunde ins Wasser fällt!

In Curacao erreichte uns die Hiobsbotschaft, dass es noch lange nicht nachhause gehen sollte, sondern einem bereits ausgelaufenen Schiff derselben Reederei, der „Breda", dringend benötigte Ersatzteile nachzubringen seien. Nun war die „Breda" ein schnelllaufendes Victory-Schiff, das immer schon weg war, wenn wir Tage danach in seinem vorherigen Liegehafen eintrafen. Sie war ganz einfach um 7 Meilen in der Stunde schneller als wir und war schon längst wieder über alle Berge, wenn wir endlich ankamen. Dieser Umstand bescherte uns jedoch eine äußerst interessante Traumreise in eine Gegend, die Nussschalen wie unseren normalerweise vorenthalten blieben: die Westküste von Südamerika.

Die dringend benötigten Maschinenteile nahmen wir in Windeseile an Bord und hofften (nicht), die „Breda" noch in Cristobal/Colon zu erreichen. Sie war eben schon wieder weg. Der kurze Aufenthalt in Colon gab mir die Gelegenheit, den Panamakanal zu erkunden. Dazu machte ich einen Ausflug zum allerersten Bauanfang von de Lesseps, der an diesem Projekt, anders als bei seinem phänomenalen Suezkanal, zugrunde ging. Zu sehen sind immer noch die ersten Grabungen, die jedoch aufgrund von massiven Fehlplanungen und -kalkulationen, Seuchen und Malaria aufgegeben werden mussten. De Lesseps ist daran gescheitert und die Amerikaner übernahmen sein Werk. -Das Thema „Panamakanal" zog mich dermaßen in seinen Bann, dass ich darüber einen längeren illustrierten Bericht mit Kartenmaterial in einer maritimen Fachzeitschrift veröffentlichen konnte. Ihn hier, außer einigen Eindrücken, zu beschreiben, würde den Rahmen dieser Erzählungen sprengen.

Kurzgefasst kann man nur sagen, dass das Prinzip sehr viel „einfacher" ist als die Idee von de Lesseps, da dieser den Isthmus vom Atlantik bis zum Pazifik wie ein Maulwurf durchgraben wollte, wogegen sich die Amerikaner die vielen Binnenseen und Zuflüsse zunutze machten, deren Wasser von oben in die diversen Schleusenkammern floss, die durch Flutung oder Leerung die durch- fahrenden Schiffe hoben oder senkten. Dabei muss zwangsläufig an die vielen zehntausenden Toten und das viele Leid erinnert werden, die diese mühselige Arbeit zur Folge hatte. Diesen zehntausenden Toten in einem Zweizeiler gerecht zu werden, klingt fast schon wie ein Hohn.

Beim Durchfahren von Tunnels (Gotthard, Lötschberg, Bernhardino, Simplon und Albula z.B.) oder bei Projekten wie diese sind mir immer die Opfer gewärtig, die die Fertigstellung eines solchen technischen Meisterwerkes erst gar nicht mehr erleben durften und, wenn überhaupt, nur auf einer dürftigen Plakette am Tunneleingang gewürdigt werden.

Die Durchquerung des Panama-Kanals ist ein intensives Erlebnis, für das viele Leute viel Geld hinblättern (müssen). Wir bekamen dafür noch Gehalt. Die Durchfahrt durch die Gatun-Schleusen an der Atlantikseite, des Gatun-Sees, des Culebra-Cuts sowie die beiden aufeinanderfolgenden Pedro-Miguel- und Miraflores-Schleusen am Pazifik hinterlassen unvergessliche und bleibende Eindrücke, aber ich verweise der Kürze halber auf die zahlreichen TV-Filme zu diesem Thema, die fast monatlich über unsere Flimmerkiste laufen.

Nachdem uns nun die „Breda" auch in Balboa enteilt war, hackten wir den Knoten durch und begaben uns schnurstracks nach Callao, der Hafenstadt von Lima. Wir wussten, dass die „Breda" noch einen Stopp in Guayaquil zu machen hatte und deshalb sprang so etwas wie ein kleiner Vorsprung für uns heraus. Wir kamen somit fast gleichzeitig in Callao an. Unterwegs fuhr unsere „Jupiter" durch einen Schwarm schlafender Hammerhaie, grauenhaft anzusehender Bestien, denen man eine noch größere Grausamkeit als Weiße Haie zuschreibt. Ich stand gerade an der Bugspitze wie später Kate Winslet auf der „Titanic", nur nicht so theatralisch, und sah das Schauspiel, als die friedlich schlafende Meute aufwachte und blitzschnell auseinander stob.

Die „Breda" machte hinter uns fest und das Umladen begann. Callao war, zumindest damals, ein unscheinbares Nest, das nur abends ein paar Tanzeinlagen in einer Bar bot. Ein Matrose der „Breda" glaubte, einer Tänzerin, einer unglaublich hübschen Mischung aus Chinesin und Indianerin, an die spärliche Wäsche gehen zu müssen. Er kann sich sicherlich heute noch an den Tritt in den Hintern erinnern, mit dem ich ihn an die frische Peruanische Nachtluft beförderte. Das Mädchen dankte es mir mit einen Kinobesuch, darin enthalten mehrere Küsschen. Anna hiess das liebe Kind. Wegen ihr lernte ich Spanisch.

Das Tollste an Callao war eine Bushaltestelle nach Lima. Der Bus selbst war nicht so toll, denn unter dem Bodenblech sah man die Straße vorbei eilen. Unterwegs sah ich eine Beerdigung. Der Verblichene wurde mit viel Tanz, Tamtam und Musik zu seiner letzten Ruhestätte begleitet.

Lima hat mich sehr beeindruckt. Überall war noch insbesondere die Inca-, aber auch noch die spanische Vergangenheit spürbar, die ich wie ein Ertrinkender in mich aufsog. Das Straßenbild bot die altspanische Kolonialarchitektur mit ihren typischen Erkern. Gold- und Silberhandwerk mit Inca-Motiven konnte man damals noch sehr preiswert erstehen und ich kaufte einige schöne Schmuckstücke, an denen ich noch heute Freude habe. Weniger erfreulich fand ich die Tatsache, dass man einen der schlimmsten Menschenschlächter, Francisco Pizarro, zu einer Art Heiligenfigur hochstylisiert hat, indem man ihn in einem Prunkgrab inmitten der Kathedrale zur Schau stellt. -

Der Plaza San Martin zeigt eine monumentale Reiterfigur zu Ehren des Freiheitskämpfers, der anlässlich der hundertsten Unabhängigkeitsfeier des Landes Ehrung erfuhr. - Beim weiteren Rundgang kam ich an einer der vielen Rundfunkstationen vorbei, die mich gleich zu einem Interview einluden, das abends ausgestrahlt wurde. Eigenartig, wenn man sich selber im Radio hört...

Nachdem wir sowieso schon dort unten waren, schickte man uns gleich weiter nach Matarani, um dort Zinnerz zu laden. Gleich hinter Matarani stiegen die Berge hoch in den Himmel und die imposanten amerikanischen Baldwin-Lokomotiven mit ihren klobigen Schornsteinen, wie wir sie heute noch aus Wildwest-Filmen kennen, gaben mit ihren donnernden Auspuffschlägen, die an den Berghängen widerhallten, ein beeindruckendes Zeugnis ihrer Kraft.

Während des Beladens unseres Schiffes fand ich, da es außerdem Sonntag war, Zeit, einen Abstecher nach Mollendo zu machen. Man hört so oft von schweren Busunfällen in den Anden und ab dem Moment wundert mich nichts mehr. Der Busfahrer muss früher Rallyefahrer gewesen sein. Mit dieser Akrobatik jagte er sein alters- und bremsenschwaches Gefährt in halsbrecherischer Fahrt durch die kurvenreiche Strecke. Links senkrechte Felswände nach oben, auf der anderen Seite ging es hunderte Meter senkrecht nach unten und alles ohne Leitplanken. Und, wie ein Reiseführer zeigte er uns noch die vielen LKW- und Buswracks nicht so glücklicher Vorgänger dort tief unten. Die vielen lauten Gebete der Businsassen ließen uns wohlbehalten in Mollendo aussteigen und, weil es eben Sonntag war, steuerte ich mit dankbarem Gemüt für's Überleben gleich eine Kirche an, wo gerade eine Messe stattfand. Zum Zeitpunkt der Wandlung, dem Höhepunkt einer katholischen Messe, brachen ohrenbetäubendes Getöse und donnernde Böllerschüsse aus, die mich nur langsam begreifen ließen, dass nicht wieder eine Revolution ausgebrochen war, sondern eine Feier zu Ehren des örtlichen Heiligen, Martin de Porres und, soweit geschrieben, Moment mal, jetzt kommt's mir erst, das ist doch derselbe mit dem Reiterstandbild in Lima, der anscheinend heiliggesprochen wurde, was mir wieder beweist, dass man mit dem Schwert in der Hand durchaus schnell zu Ruhm und Ehren kommen und in den Heiligenstatus avancieren kann, siehe Francisco Pizarro. Den eben genannten Plaza San Martin sehen Sie hier.

Fortsetzung folgt

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