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5 Minuten Lesezeit (948 Worte)

"Ernesto, der Seebär – Vom Tretauto zum Schlachtschiff" Erinnerungen des 90-jährigen Dießener Ernesto Rudolf Hofmann. Auf der Insel Java geboren, landet er auf seine alten Tage am Ammersee. Der Fortsetzungsroman eines bewegten Lebens, Teil 2: Folge 34

Ernesto Rudolf Hofmann ist der Seebär. Graphik: Pax et Bonum Verlag

Folge 34

Takoradi ist die Hafenstadt an der westafrikanischen Küste, in der Holz nach Europa geladen wird. Unter „Holz" versteht man riesige Baumstämme mit einem Durchmesser von bis zu einem Meter und bis zu 5 Tonnen schwer. Sie treiben seit Monaten im Wasser und werden zu den Schiffen geschleppt, die sie dann an Bord hieven. Sie stecken nur 10 Zentimeter aus dem Wasser, wenn überhaupt. Da ein Ladebaum sie alleine nicht heben konnte, wurden sie in Tandem geschaltet, also zwei Ladebäume zusammen für einen Baumstamm.

Das Unglück ließ nicht lange auf sich warten. Die Bootswerker hatten einen 5Tonner am Haken und schwenkten ihn vom Wasser her in den Laderaum. Das war wenigstens die Absicht. Nur stand da ein Ventilator einem Ladebaum im Wege. Der Ladebaum knickte ein wie ein Streichholz und der 5 Tonnen schwere Baum krachte mit einem ohrenbetäubenden Schlag auf das Deck, ohne jemand zu zerquetschen. Welch Wunder!

Einer von den Bootswerkern versuchte aber noch, das Kabel, an dem der Baum hing, festzuhalten und wurde mit seiner rechten (!) Hand oben in den fettverschmierten Block gezogen, bevor er aufs Deck krachte. Von der Hand war nicht mehr viel übrig. Sie war nur noch ein Klumpen Haut, Fleisch, Sehnen und Knochen. Der erste Steuermann, normalerweise zuständig für die Verarztung, traute sich da nicht mehr ran und kollabierte. Normalerweise kann ich kein Blut sehen, aber hier sah ich mir das Häuflein Elend eiskalt an. Ich war gar nicht mehr richtig da und sah alles nur noch durch einen Nebel., wie auf einer Wolke. Aus der Schiffsapotheke ließ ich Wasserstoffperoxyd, Penicillinpulver und Verbandsmaterial bringen und begann, zuerst mal die noch vorhandenen Hautfetzen mit dem Wasserstoffperoxyd, unverdünnt, wie es meine Mutter damals auf Java gemacht hat, zu reinigen. Alles war voll schwarzer Schmiere, aber es gelang wenigstens. In die schreckliche Wunde streute ich umsichtig das Penicillinpulver, legte vorsichtig die vorhandenen Hautfetzen darüber und verband die Hand. Alle seine Kollegen standen um mich herum und schauten zu. Danach verkroch ich mich in meine Kabine, um mich zu übergeben und wieder zu mir zu kommen, denn dann erst kam die Reaktion und die Frage, habe ich um Gotteswillen alles richtig gemacht?? - Das sollte sich erst sechs Wochen später herausstellen...

Das meistgefürchtete Wort, wenn man Lagos anläuft, hieß „Congestion", was soviel heißt wie „Stau" (manchmal gibt's im Deutschen doch noch kurze Wörter...). Wir lagen drei Wochen vor diesem berüchtigten Hafen, ehe wir dran waren. Da halfen weder Bestechung noch gute Worte., denn das probierte jeder Kapitän. Überfälle, wie heute, waren damals noch Fremdwörter.

Duala war auf dieser Reise unser letzter Hafen. Ich kann mich nur an eines erinnern: Eine derartige Wand aus Regen, dass man die eigene ausgestreckte Hand nicht mehr sah. Das war Duala.

Sechs Wochen später waren wir wieder in Takoradi, als mir dort ein Schwarzer um den Hals fiel. Ich wusste erst gar nicht, was los war und ich dachte überhaupt nicht mehr an den armen Kerl, den ich damals verbunden hatte. Erst als er mir seine völlig genesene Hand zeigte, erinnerte ich mich wieder...

Die beiden nächsten Häfen waren Gran Bassa und Cape Mount. Gran Bassa besorgte mir ein Gänsehauterlebnis. Es kam dort der Leiter einer deutschen Handelsniederlassung an Bord. Einer von zwei Europäern im dortigen Dschungel von West-Afrika. Er bat mich, doch einmal nach seinem Stromgenerator zu sehen. Dieser störte so stark, dass er keine Rundfunkübertragung mehr, auch nicht mehr die der Deutschen Welle, hören konnte und wir waren seit langer Zeit wieder das erste Schiff in Gran Bassa. Er war praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. All seine Hoffnung ruhte auf dem Funker des nächsten Schiffes. Elektronische Ersatzteile waren gottlob genügend an Bord und mit diesen gewappnet, nahm ich mal den Anker des Generators unter die Lupe, der funkensprühend seine Kreise zog. Kein Wunder, dass der gute Mann nichts mehr hörte. Zunächst baute ich die Kohlebürsten aus, schliff sie auf entsprechende Rundung und säuberte die Kollektoren und den Anker. Anschließend überbrückte ich die Kollektoren mit einem geeigneten Kondensator und das Resultat war umwerfend: Glasklar kam in dem Moment, wie zu einer Art „Dankeschön", das Lied „Heimat, Deine Sterne" von der Deutschen Welle herein, was mir eine Gänsehaut besorgte und dem glücklichen Pärchen einen Weinkrampf. Man muss so etwas erlebt haben, um zu verstehen, wie glücklich diese beiden Menschen waren. War doch die Deutsche Welle ihr einziger Kontakt zur Heimat.

In Cape Mount sah ich einen schwarzen Albino, er sah aus wie ein Europäer, nur mit Kraushaar. Selbstverständlich suchte ich dort, mitten im Urwald!, das „Postamt" auf, eine Hütte, in der wenigstens ein Panzerschrank vorhanden war. Der Postmeister, wie er sich stolz nannte, war ein alter, grauhaariger Herr, der mir seine Schätze aus dem Panzerschrank zeigte. Ich bin kein Liberia-Spezialist, aber was ich da sah, ließ mir das Wasser im Mund zusammenströmen. Die allerersten Ausgaben von Liberia, die allerersten Luftpostmarken, ganze Bogenpakete und nicht zusammengeklebt! Alles hätte ich kaufen können, gegen den damaligen Nennwert, der weit unter dem heutigen Kurswert gelegen hätte, aber ich ließ vorsichtshalber doch die Finger davon.

Auch vor Cape Mount sah ich ein Wrack liegen. Wie man mir erzählte, war das ein Woermann-Dampfer, der da vor dem Krieg einmal auf ein Riff gelaufen war. Ich konnte nicht herausfinden, wie er hieß.

In Freetown entließen wir unsere Bootswerker und setzten unsere Reise nach Europa über Dakar, Antwerpen und Amsterdam fort. Es folgte nur noch eine kurze Küstenreise über Hamburg und Bremen. Nach vier Monaten waren wir am 20. April wieder zuhause. Viel Zeit war sinnlos vergeudet worden...

Einen Tag später sollte ich mich auf dem Shelltanker „Gadila" wiederfinden, auf dem ich dann ein ganzes, ereignisreiches Jahr verbringen würde. Ich hatte gerade soviel Zeit, um mich zuhause umzuziehen und den Koffer neu zu packen.

Fortsetzung folgt

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