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3 Minuten Lesezeit (643 Worte)

"Ernesto, der Seebär – Vom Tretauto zum Schlachtschiff" Erinnerungen des 90-jährigen Dießener Ernesto Rudolf Hofmann. Auf Java geboren, landet er auf seine alten Tage am Ammersee. Ein autobiographischer Roman eines bewegten Lebens: Folge 2

Mein Tretauto – das erste meiner Lieblingsspielzeuge (daneben Schwester Liselotte)
Wie aus zuverlässiger Quelle, dem Babybuch, zu entnehmen ist, wurde ich am 10. April 1931 in meinem Beisein und dem meiner Mutter um dreiviertel neun in der Früh in Probolinggo (Ost-Java) geboren. Sogar der geburtshelfende Arzt und die Hebamme waren laut dieser Quelle dabei. Das ist wichtig zu wissen, denn ich war eine sogenannte Trockengeburt. Dabei wird man nicht, wie bei der Geburt üblich, "hinaus geschwemmt", sondern, nachdem die Fruchtblase meiner ärmsten Mutter schon eine Stunde vorher geplatzt war, mehr oder weniger herzlos in die grausame Welt herausgezerrt. Späterer Kommentar meiner Schwester: "Armes Bubi".

Ich wuchs völlig behütet auf, nicht aber, bevor ich das zu meinem dritten Geburtstag erhaltene Tretauto am Gartenzaun völlig zerlegt hatte, den übrigens auch. Den Trick dazu hatte ich mir bei unserem Chauffeur abgeschaut, der mit unserem Auto an Ort und Stelle rückwärts in den Straßengraben gefahren war. Die Strecke von der Straße zum Gartenzaun war abschüssig, was den Vorteil hatte, dass man weder zu treten, noch zu bremsen brauchte. Das alles übernahm der Gartenzaun und so etwas hält auch das beste Tretauto nicht aus.

Weitere Kalamitäten dieser Art wurden durch die Versetzung unseres Vaters in seinen letzten Standort Bandoeng zur Krönung seiner Laufbahn verhindert. Von dort wurden mir keine besonderen Vorkommnisse mehr überliefert. Ich war scheinbar auf dem Weg zu einem anständigen Kerlchen (Anm.d.Verf.: Man beachte das Wort scheinbar, nicht anscheinend!).

Meine Schwester, die noch vor meiner Ankunft aus dem Engelsreich getönt hatte, wenn's ein Bub wird, dann stecke sie ihn gleich ins Waisenhaus, hielt seitdem ein liebevolles und wachsames Auge auf mich. In Ermangelung einer Schwester musste halt dann ich in die Schwesterrolle schlüpfen. Ihre lebensgroße Puppe wurde ausgezogen und ihre Kleider wurden kurzerhand mir verpasst und, wie die Fotos von damals dokumentieren, scheine ich auch als Mädchen ganz passabel ausgesehen zu haben. Trotzdem bin ich mit meiner Männerrolle mehr als zufrieden gewesen (sonst hätte ich ja auch nicht den Seemannsberuf, der mich so faszinierte, gewählt).

Meine Liebe zur Seefahrt keimte anscheinend schon in dem Moment, wo ich auf dem Kinderdeck unseres heimwärts kehrenden Passagierdampfers bis an die Oberkante des Schutznetzes kletterte, weil ich der Meinung war, nur von dort oben die Delfine besser beobachten zu können. Das scheint einer der Herzinfarkt nahen Momente gewesen zu sein, in die ich meine fürsorglichen Eltern oftmals gebracht zu haben scheine.

Der nächste wassernahe Augenblick war der, als wir dem in Colombo bereits abgefahrenen Dampfer mit einem Motorboot nachstürmten. als unser herzensguter Vater die Abfahrt unseres Schiffes verpasst hatte. Das Bötchen fuhr des Seegangs und der Geschwindigkeit wegen mehr unter als über dem Wasser. Jedenfalls scheint ein aufmerksamer Steuermann auch mal rückwärts geschaut und dann unserer der "Dempo" nacheilenden Nussschale ansichtig geworden zu sein. Das Schiff musste außerfahrplanmäßig stoppen. Ein Eintrag in das Schiffs-Logbuch war die Folge und mein Vater konnte sich seinen Rüffel beim Kapitän abholen.

Die Reise verlief, soweit mir (damals bereits dreieinhalb Jahre alt! Was hab' ich bis dahin schon alles erlebt!) bekannt, weiter reibungs-, aber nicht berührungslos. In Marseille angekommen, legte ich mich laut Überlieferung - davon war mir persönlich nichts bekannt ... - laut schreiend aufs Trottoir und strampelte mit Händen und Füssen. Irgendetwas scheint man mir wehrlosem Kind angetan zu haben, sonst hätte ich nicht so reagiert. Vielleicht wurde mir ein Eis oder irgendein Spielzeug verwehrt, wer weiß. Und da hat man ganz einfach als Kind das Recht dazu, zu schreien. Finde ich wenigstens. Nach einer Tracht auf den Hosenboden war dann auch für alle Beteiligten die Welt wieder in Ordnung. Für mich weniger.

In München angekommen, wo meine Oma lebte, wurde dann alsbald eine Wohnung gefunden und zwar in der Schneckenburgerstraße Nummer 17.

Fortsetzung folgt
Die komplette Hofmann-Familie in der Tjisankoeistraat Nr. 6 in Bandoeng.

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Ab Montag geht's voraussichtlich im Landkreis Land...
Gefährtin auf heilsamen Wegen. Von Peter Stöbich

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Kommentare 1

Gäste - Jacqueline am Mittwoch, 05. Mai 2021 16:10

Eine ganz wundervolle Geschichte, ich bin gespannt auf die Fortsetzungen!

Eine ganz wundervolle Geschichte, ich bin gespannt auf die Fortsetzungen!
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