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"Ernesto, der Seebär – Vom Tretauto zum Schlachtschiff" Fortsetzungsroman eines bewegten Lebens. Folge 64

Ernesto R. Hofmann ist der Seebär. Graphik: Pax et Bonum Verlag
Folge 64

In Detroit zurück, wurden die neuesten Modelle amerikanischer Autoproduktion für den Autosalon in Paris geladen. Schon da kamen die Gerüchte auf, dass entweder wir oder der hinter uns liegende Norweger das hundertste Schiff in Toledo sein würde, aber wir sahen schon, dass der Norweger eher abgeladen sein würde als wir. Wenn wir jetzt noch länger blieben, dann würde uns die Ehre in Toledo zufallen. Wir waren aber lange noch nicht fertig, als er seinen Liegeplatz verlassen musste, denn es war gerade wieder mal ein Hafenarbeiterstreik im Gange, der unseren Zeitplan durcheinander wirbeln könnte.

Was machte inzwischen unser schlauer Norweger? Er ankerte vor dem Hafen von Toledo und wollte uns höflich vorlassen, dann wäre er der Hundertste gewesen. Unsere Ankunft dauerte ihm aber im Hinblick auf das bevorstehende Eis dann doch zu lange, er ging Anker-auf und zottelte missmutig in den Hafen. Eine halbe Stunde später waren wir da! Mann, hat der sich geärgert. Wie lautet der Spruch mit der Grube auch wieder?? Das städtische Empfangskomité stand jedenfalls schon bereit, entweder für ihn oder für uns. Die Presse überflutete das Schiff und wir wurden mit Geschenken überhäuft. Am nächsten Tag stand alles groß in der Zeitung. Noch nie waren in einem Jahr 100 ausländische Schiffe in Toledo. Das war eine Sensation, eine Riesenfeier folgte.

Diese Gier nach Ehre kam ihm teuer zu stehen. Es war schließlich schon der 21. November und das gefürchtete Eis auf dem Lorenzstrom begann sich zu bilden. Wir setzten alles daran, unser Pensum schnellstmöglich abzuarbeiten. Es standen noch Cleveland, nochmal Hamilton, Toronto und Montreal auf der Besuchsliste. Es gibt nur noch aus Cleveland und Toronto zu berichten, der Rest wurde im Hauruckverfahren obV (ohne besondere Vorkommnisse) abgearbeitet. Diese Latte hatte auch der Norweger noch vor sich, nur hatte der zwei kostbare Tage verloren. Die Strafe folgte auf dem Fuße: Wir waren fertig, er nicht. Der Norweger fror im Eis des Lorenzstromes fest, musste auf dem Eis evakuiert werden und es dauerte sechs Monate, bis er wieder frei war. Die Besatzung musste ausgeflogen werden. Was dieser Spaß seine Reederei gekostet hat!

In Cleveland lagen wir unter einer gewaltigen Eisenbahnbrücke und ich machte mir einen Sport daraus, zu versuchen, über Funk mit Scheveningen Radio in Kontakt zu kommen und die Bordzeitung, wie gewohnt, zu redigieren. Keiner wollte glauben, dass dies unter dieser Stahlmasse und den Erzvorkommen im Nordosten des Kontinents möglich sei. - Cleveland gab mir die Möglichkeit, einen kurzen Stadtbummel zu machen, als eine wilde Schießerei in unmittelbarer Nähe losbrach. Ich sah, wie drei Männer aus einer Bank stürmten und sich den Weg frei schossen. Sie wurden aber kurz darauf von der Polizei gestellt. Keinem Passanten war etwas geschehen. - Abends bat mich ein Hafenarbeiter, der auf unserem Schiff beschäftigt war, ob ich nicht einen Schnaps für ihn hätte? Wir bekamen eine Schiffsration von einem halben Liter pro Woche. So konnte ich ihm einen Liter des beliebten holländischen Jenever verkaufen für die astronomische Summe von 12 Dollar, mal vier, waren 48 Gulden, ein Drittel meines Monatsverdienstes. Ich brauchte die Flasche nur in ein bestimmtes Auto mit einem bestimmten Kennzeichen abzulegen. An dem Abend herrschte ein ungewöhnlich starker Schneesturm und die Zöllner blieben lieber in ihrer warmen Bude, schauten aber kurz heraus und riefen: „Look, there comes Father Christmas", weil mein schwarzer Duffelcoat mit einer dicken Schneeschicht bedeckt war. Ich winkte freundlich zurück und alles ging gut. - Oftmals überdenkt man die Konsequenzen nicht, die durch eine unbedachte Handlung ausgelöst werden könnte. Man sieht nur den augenblicklichen Moment, nicht seine Folgen. 

Fortsetzung folgt

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