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"Ernesto, der Seebär – Vom Tretauto zum Schlachtschiff" Fortsetzungsroman eines bewegten Lebens. Folge 60

Schiff Nr. 13, die „Prins Frederik Willem Foto: Ernst R. Hofmann

Folge 60

Weitere Seewege, die mich weit ins Landesinnere geführt haben, waren der Musi-Rivier in Süd-Sumatra (siehe „Gadila") sowie der Sankt Lorenz-Strom in Canada, der uns bis auf die Großen Seen brachte (siehe nächstes Schiff, die „Prins Frederik Willem"). Ein Glücksfall für jeden, der so etwas erleben durfte. Es spult sich heute, übrigens wie alle bisher geschilderten Erlebnisse in diesem Buch, noch wie ein Film vor meinen Augen ab.Weitere Seewege, die mich weit ins Landesinnere geführt haben, waren der Musi-Rivier in Süd-Sumatra (siehe „Gadila") sowie der Sankt Lorenz-Strom in Canada, der uns bis auf die Großen Seen brachte (siehe nächstes Schiff, die „Prins Frederik Willem"). Ein Glücksfall für jeden, der so etwas erleben durfte. Es spult sich heute, übrigens wie alle bisher geschilderten Erlebnisse in diesem Buch, noch wie ein Film vor meinen Augen ab.

Mein Schiff Nr. 13, die „Prins Frederik Willem" … gehörte zwar nicht mir, sondern, wie mein Vorgängerschiff, der Oranje Lijn in Rotterdam, damals noch einem echten, alteingesessenen Familienbetrieb namens Anthony Veder. Die „Prins Frederik Willem" mit internationalem Rufzeichen PGVV war ebenfalls 1598 brt groß und war so gebaut worden, dass sie bis auf den Zentimeter genau in die Schleusen des damaligen St. Lorenz Kanals passte. So betrug die Breite des Schiffes 12.80 Meter bei einer Schleusenbreite vom 13.00 Metern. Das heißt: Zu beiden Seiten des Schiffes blieben noch 10 cm. Die Länge des Schiffes dagegen betrug 78.64 Meter, die Schleuse bot mit 79 Metern nur noch 15 cm Spiel an Bug und Heck zum Schleusentor.


Aber so weit sind wir noch lange nicht. Wir hatten eine stürmische Überfahrt über den Atlantik bis nach Montreal, unserem ersten Hafen. Zuvor hatte ich viel Leid und Freud zu bestehen. Mit dem Radar hatte ich ja schon von der „Leopoldskerk" her meine ausreichende Erfahrung, aber hier sollte es noch um einiges schlimmer kommen. Wir waren inmitten der Eisberge vor Neufundland, aber was ein Radar eigentlich tun sollte, tat es nicht. Auf dem Radarschirm war nicht ein einziger Eisberg zu sehen, obwohl wir mittendrin saßen. Wir kamen uns vor wie auf der „Titanic", aber die brauchte ja auch nicht auf Radar zu vertrauen, denn das gab's damals noch nicht.

Die ganze Elektronik für das Radar war bei uns nicht auf der Brücke untergebracht, wo sie normalerweise hingehört, sondern in einem Schaltkasten im Deckshaus unter dem vorderen Mast. Von dort gab es dankenswerterweise eine telefonische Verbindung zur Brücke, sodass mir der Steuermann genau sagen konnte, was meine Korrekturen am elektronischen Schaltbrett oben gerade bewirkten. Es kann sein (und so war es auch), dass die seitlichen Wellenschläge gegen das Schiff die gesamte Justierung des Radars verstellte. Die Drehung des Schraubenziehers um einen Bruchteil eines Millimeters nach links oder nach rechts und das Radarbild war da oder es war weg. Es war zum Mäusemelken! Endlich war das Bild dauerhaft da und ich konnte meinen beschwerlichen Rückweg antreten. Warum beschwerlich?

Wir saßen, wie gesagt, mitten im Eis und dichten Nebel gab's gratis dazu. Das Schiff war mit einem dicken Eispanzer überzogen und vom Deckshaus waren von der Brücke aus nur die Konturen zu sehen. Die zehn Meter von der Brücke dorthin waren die zehn längsten Meter meines Lebens. Das Deck war spiegelglatt, mit einer dicken Eisschicht bedeckt. Es gab nichts, um sich festzuhalten. Meine überaus lieben Kollegen drückten mir auf der Brücke ein schweres Hackebeil in die Hand und wünschten mir viel Glück. Das war doch schon mal was, da konnte eigentlich nicht mehr viel schief gehen.

Am Deckshaus angelangt setzte ich mein Hackebeil dort an, wo sich die Umrisse der verheißungsvollen Tür abzeichneten. Dazu musste ich auch noch versuchen, mich auf den Beinen zu halten, denn das Schiff schlingerte wie wild. Endlich hatte ich die Tür offen und konnte mich in der Wärme erst einmal regenerieren, denn dort waren auch die heißen Widerstände von den elektrischen Winden. Nach der oben beschriebenen Reparatur war mein Verlangen nach der Brücke stark wie nie zuvor. Wer aber dachte, das gehe so einfach, war falsch gewickelt. Denn während der Zeit, die ich produktiv im Deckshaus verbrachte, war die Tür von außen wieder mit einem Eispanzer bedeckt und ich war eingesperrt. Das teilte ich dem wachhabenden Steuermann in ruhigem, sachlichen, jedoch sehr energischen Ton mit, der seinerseits sofort Entsatz losschickte, der gottseidank nicht gleich über Bord ging, sodass auch mal ein anderer in den Genuss meiner eisigen Erfahrungen kommen konnte. - Diese Geschichte wiederholte sich ein paar Mal. Wir fuhren inmitten des fjordähnlichen St. Lorenzstroms, aber ein Echo auf dem Radarschirm war nicht mehr zu herzubekommen. Erst in Montreal kam der Technische Dienst an Bord, der zu meiner Ehrenrettung bestätigte, dass mit Bordmitteln das Radar nicht mehr zu reparieren gewesen wäre. - Das war das angesprochene Leid.

Es gab aber auch Freud'. Und die bestand darin, dass ich zum ersten Mal meinen Sprechfunk ausprobieren konnte. Und zwar mit einem Kollegen von Fox Island, der zu meiner Freude auch so geschwätzig war wie ich. Wo Fox Island liegt, weiß ich bis heute nicht, aber er war ein netter Kerl.

Zur Freud' gehörten auch unsere zwölf Passagiere, die wir nach Toronto bringen sollten. Besonders gern erinnere ich mich an zwei junge Mädchen, die nur Flausen im Kopf hatten. Sie waren die Stimmungsmacher auf diesem Schiff und wir haben es nur allzu gern über uns ergehen lassen. Vor allem unser geliebter Kapitän Rog, ein Seebär klassischer Natur, war ihr bevorzugtes Opfer. Entweder hatten sie ihm sämtliche Knopflöcher seiner Uniformjacke zugenäht, oder diese mit lauter bunten Schleifchen versehen. Heimwehgefühle besorgte mir ein junger Passagier, ein waschechter Münchner, mit dem ich mich stundenlang über unsere Jugend in München unterhalten konnte. Er war Hobbypilot und auf dem Flughafen Oberwiesenfeld Dauergast. Da mich als Kind die Luftfahrt schon interessierte, war ich fast jeden Tag auf dem Oberwiesenfeld zu finden und schaute den startenden und landenden Flugzeugen zu. Eines Tages fiel neben mir eine Fliegermütze zu Boden und ich schaute auf und sah ein Flugzeug, das gerade über mir hinweg geflogen war. Der Pilot winkte mir zu und landete völlig unbürokratisch, wie das damals bei der Sportfliegerei noch möglich war, vor mir am Zaun. Ich warf ihm seine Mütze zu und weg war er wieder.

Und so war Montreal die erste Stadt auf dem nordamerikanischen Kontinent, die ich mit großem Interesse besuchte. Sie war französisch geprägt und bot seinen Besuchern viele Sehenswürdigkeiten aus allen Kriegen, die die Franzosen mit den Engländern und die Engländer mit den Amerikanern und die Amerikaner mit den Franzosen und jeder einzelne von ihnen mit dem andern oder alle zusammen mit den Indianern führten. Wir Europäer sind schon ein komisches Volk!


Fortsetzung folgt

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