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"Ernesto, der Seebär – Vom Tretauto zum Schlachtschiff" Erinnerungen des 90-jährigen Dießener Ernesto Rudolf Hofmann. Auf Java geboren, landet er auf seine alten Tage am Ammersee. Der autobiographische Roman eines bewegten Lebens: Folge 5

Hat viel erlebt, Ernesto Rudolf Hofmann. Graphik: Pax et Bonum Verlag

Ein ander Mal kamen Einheimische aus dem Dorf zu ihr. Sie war allein im Haus. Mein Vater war auf Tournee, wie man die Dienstreisen zur Bestandsaufnahme und Kultivierung des Waldbestandes in Forstkreisen nannte. Es dauerte immer mehrere Tage, bis er wieder daheim war. Das damals Niederländisch-Indien war für seine europäischen Bewohner so sicher wie Europa selbst und niemand wäre im Gegensatz zu heute auf den Gedanken gekommen, auch nur einem „Weißen" etwas zuleide zu tun.

Man brachte ihr eine Frau mit schrecklich vereiterten Wunden am Bein. Ich erzähle das deshalb, weil mir später ihre Erfahrungen (Teil 2, „Stad Arnhem") zugute kommen sollten. Meine Mutter hatte durch kleinere Hilfeleistungen auf medizinischem Gebiet schon einen soliden Ruf erworben, war aber entsetzt beim Anblick dieser Wunde. Sie ging die Sache aber beherzt an und reinigte die Wunde zunächst einmal mit reinem Wasserstoffperoxyd.

Unser Vater kam Tage später nach Hause und erkundigte sich beiläufig, ob in der Zwischenzeit etwas Besonderes vorgefallen sei. „Ja", erzählte die Mutti, „ich habe eine fürchterlich vereiterte Wunde behandelt". „Gut so, wie hast du denn das gemacht?" erkundigte sich Pappi. „Ich habe sie mit Wasserstoffperoxyd ausgewaschen". „Gut so, hast das aber sicher im Verhältnis 1:10 verdünnt?" „Nein, unverdünnt". Unser Vater fiel beinahe in Ohnmacht, sah er doch das letzte Stündlein für unsere Familie gekommen. Wir waren die einzigen Europäer im Umkreis von 100 Kilometern und hätte ein Einheimischer Schaden genommen, hätte man mit uns nicht lange gefackelt.

Wer schätzt die Überraschung meiner Eltern, als sich die bewusste Frau eine Woche später bei meiner Mutter bedanken wollte und ihr ihr völlig genesenes Bein zeigte. Ab dem Moment war unsere Mutter die Wunderheilerin des Dorfes...

Und, nachdem ich sowieso beim Erzählen über unsere Familie bin, möchte ich, obwohl es doch meine Erlebnisse sein sollten, gleich das weiterführen, was sich immer mehr als eine Familienchronik herauskristallisiert, denn bisher hat niemand von uns etwas darüber zu Papier gebracht, was ich als Familienforscher schmerzlich vermisse. Und deshalb möchte ich an dieser Stelle auch ein paar Worte über meine Schwester erzählen und über ein paar entscheidende Erlebnisse, die im Laufe ihres Lebens über sie hereingebrochen sind.

Als vierjähriges Kind fiel sie durch ein Glashaus und kurze Zeit später lief sie einer unserer Babu`s (Bediensteten) über den Weg, die gerade eine Wanne kochenden Wassers durch die Gegend trug und das spielende Kind vor ihr übersah. Liselotte wurde voll mit dem kochenden Wasser überschüttet und trug schreckliche Verbrennungen davon. Man kann sich vorstellen, dass der Geschwindigkeitsrekord unseres Vaters zwischen Probolinggo und dem Krankenhaus in Soerabaja seitdem nie wieder überboten wurde. Und das mit einem erbärmlich schreienden Kind in den Armen ihrer Mutter.

Um der Vollständigkeit Genüge zu tun, müssen noch kurz einige Vorfälle erwähnt werden, bei denen sie buchstäblich dem Tod von der Schippe gesprungen ist:

Sie überlebte einen Straßenbahnunfall am Münchner Marienplatz, als ihrer Bahn eine vom Rindermarkt Kommende voll in die Flanke fuhr. 4 Tote. Damals waren die Wagenkästen noch nicht so stabil wie heute. Sie bestanden nur aus Holz und Blech.

Ein identischer Unfall, als am Gasteig eine talwärts fahrende Trambahn infolge glatter Schienen nicht zum Stehen kam und ihrem Wagen voll in die Seite fuhr. Mehrere Tote. Sie kam glassplitterübersät nach Hause.

Von Anfang ihres Berufslebens an legte sie ihre überdurchschnittliche Tüchtigkeit an den Tag, die bei der Geschäftsführung ihres ersten bedeutenden Arbeitgebers, der Heraklit-Magnesit, nicht unbemerkt blieb. Sie wurde sehr bald als Vorstandssekretärin berufen und erhielt kurz darauf das Angebot, in die Hauptverwaltung nach Wien zu wechseln. Das war wiederum ihr Glück, denn kurz darauf schlug eine Fliegerbombe in den Luftschutzkeller ein und tötete dort die gesamte Belegschaft. Die Münchner Filiale von Wien befand sich dort am Eck, wo heute Konen ist. - Der Hauptsitz in Wien befand sich in unmittelbarer Nähe eines zentralen Luftschutzbunkers, der während ihrer Zeit ebenfalls einen Volltreffer erhielt und hunderte Tote forderte. Den Wienern ist dieser Luftschutzbunker heute noch ein Begriff. Ausgerechnet an dem Tag war sie nicht im Büro.

Als sie bereits Leiterin des Passagebüros der KLM am Lenbachplatz war, verpasste sie in Rom das Flugzeug, das wenig später in Frankfurt abstürzen sollte. Nur zwei Überlebende. Sie hatte eben
perfekt ausgebildete Schutzengel, die sie lebenslang auf Händen trugen. Und nicht nur die.

So, und nun geht`s zur Abwechslung mal wieder mit mir weiter. Es war ein weiter Sprung mit meinen Eltern und meiner Schwester seit dem Meeting der amerikanischen Forstleute bei uns daheim bis hierher.. - Ich bin bis dahin immer noch vier oder fünf Jahre alt.

Natürlich musste ich auch irgendwann mal in den Kindergarten in der Gebeleschule. Dreimal bin ich dort 'rausgeflogen und dreimal hat meine Mutter die Kindergärtnerin bekniet, mich doch bitte wieder aufzunehmen. Und das nicht deswegen, weil ich mittlerweile als der "Tiger von Bogenhausen" bekannt war durch meine Streiche (nicht näher zu bezeichnen), sondern weil ich doch immer genau wissen wollte, warum etwas so war, wie das Fräulein es vorgelesen hatte, warum doch etwa das Rotkäppchen die Oma gefressen oder die Sieben Geißlein dem Wolf die Wackersteine in den Bauch gelegt haben. Ich musste immer alles ganz genau wissen. Und das hat mir im Leben nie geschadet, auch wenn das für den oder die Befragte(n) manchmal nervig war.

Mein beliebtestes Kinderlied aus der damaligen Zeit war ein bayerisches Schnaderhüpferl. Es lautete wie folgt: „Zwischn Minga (München) und Freising, da steht ein Tunnél, wenn ma einifahrt, wird's dunkl, wenn ma aussikummt, wird's hell". Refrain: Holladirio, holladrio etc." Ich habe es seit 75 Jahren nicht mehr gehört und vermutlich ist dieses kostbare Liedgut inzwischen verloren gegangen, hier aber wieder zum Leben erweckt. Kann aber auch sein, dass unsere Schnaderhüpferl mittlerweile intelligenter geworden sind und es deswegen absichtlich in Ungnade gefallen ist. Keine Ahnung übrigens, wo da ein Tunnél gewesen sein soll..

Aus eben dieser meiner frühen Kindheit erinnere ich mich, dass die Mutti einmal in die Stadt wollte und mich enfant terrible mitnahm. Damals wurde man als Kind ja nicht gefragt, ob man sowas auch wollte. Vor der Haustür war die End- und Beginnhaltestelle der Trambahn. Sie stand noch da und wartete auf uns, aber der Fahrer drückte schon ungeduldig auf die Klingel. Ich stürmte über die Straße und die Mutti keuchte hinterher. Ich hatte eine Lederhose an und ein grünes Hütchen mit einer langen Fasanenfeder auf, das gemeinhin außerhalb der bayerischen Landesgrenzen als „Sepplhut" tituliert wird. Bei uns heißt sowas schlicht „Trachtenhut". Jedenfalls muss es ein komischer Anblick für den Fahrer gewesen sein, als ich auf allen Vieren, weil ich noch so klein war, das Trittbrett erklomm und schimpfte: „Du alter Depp, kannst net warten!" Der Fahrer und die Mutti bogen sich vor Lachen und vergaßen die eigentlich fällig gewesene erzieherische Maßnahme. 

Fortsetzung folgt

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