Schriftgröße: +
6 Minuten Lesezeit (1246 Worte)

"Die große Abrechnung". Teil 1. Ein Interview mit der berühmten us-amerikanischen Soziologin Eileen Crist. Aus dem Amerikanischen übersetzt für aloys.news von Dr. Peter Erlenwein aus Dießen.

Ihr neueste Buch "Reichtum der Erde. Auf dem Weg zu einer ökologischen Zivilisation" wurde 2019 veröffentlicht. Foto: ©Solitaire Goldfield/oekom-verlag

Dießen/Virginia – Eileen Crist ist promovierte amerikanische Soziologin, die 22 Jahre im Department für Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft an der Hochschule für Technologie in Virginia/USA. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf ökologischen Themen wie Artenvielfalt, Überbevölkerung, Wildnisschutz und Umweltethik. Ihr erstes Buch trug den Titel: Unsere Vorstellungen vom Tier. Anthropmorphismus undGeist der Tierwelt. Ihr neuestes Buch: Reichtum der Erde. Auf dem Weg zu einer ökologischen Zivilisation, wurde im Jahr 2019 veröffentlicht. Im vergangenen Dezember gab sie dem Journalisten Leath Tonino von der Zeitschrift ‚The Sun' ein Interview, das unter der Überschrift: Die große Abrechnung erschien.

T.Worüber sprechen wir, wenn wir von der globalen ökologischen Krise reden. Was passiert (auf) diesem Planeten zur Zeit?

C. Was gerade passiert ist der Zusammenbruch des Netzwerk des Lebens: biologische Vielfalt, Tierpopulationen, Wildnisgebiete – all dies bricht radikal zusammen. Wir sind inmitten des sechsten größten Massenaussterbens von Fauna und Flora. Fünf solcher Totalkatastrophen hat es in den letzten 540 Millionen Jahren gegeben. Die Natur braucht fünf bis zehn Millionen Jahren um sich von solchen Ausmerzungen von Leben zu erholen. Der Grund für den heutigen Ökozid ist der Überlegenheitsanspruch von homo sapiens, ein weitestgehend unbewußter Glaube, dass die Gattung Mensch Herr der Schöpfung sei, statt eine Spezies unter Millionen anderer. Normalerweise verschwinden Tier-und Pflanzenarten eintausendmal langsamer ohne menschlichen Eingriff. Heute dagegen ist die Ausrottungsrate so hoch, da die Umwelt sich dermaßen schnell und radikal verändert, in so verheerender Weise, dass sehr viele Arten nicht mehr damit Schritt halten können. Geht das so weiter, werden am Ende dieses Jahrhunderts mehr als die Hälfte aller Arten auf diesem Planeten ausgerottet sein.

Aber es geht noch weiter: Wir sehen inzwischen wie ganze riesige Ökosysteme, z.B. Korallenriffe, Prärien (Grasland) verloren gehen (98% in den USA); Frischwassersysteme und tropische Urwälder (die nicht mehr zu ersetzen sind) gehen abhanden. Grundlegende biologische Phänomene wie weit flächige Tierwanderungen werden ausgelöscht. Dazu kommen Vernichtungen lokaler Populationen von Fauna und Flora. Die Vernichtung von ‚anderem Leben' ist so umfassend, dass Wissenschaftler den Begriff ‚Defaunisierung' eingeführt haben, eine neue, nahezu unfaßbare Maßstäblichkeit. Wir leeren buchstäblich diesen unseren Planeten aus, und zwar überall inzwischen.


T. Der Umweltethiker Holmes Rolston beschreibt diese menschengemachte Auslöschung anderer Spezies als ‚Superkilling' , denn hier würden Essenzen und nicht nur Existenzen gemordet. Was sagen Sie dazu?

C. Mit diesem Begriff trifft Roston genau ins Schwarze! Es gibt diese ebenso traurige wie leicht hingeworfene Meinung, dass Artensterben eigentlich ein ganz natürlicher Vorgang sei, so dass es auch nicht viel ausmache, wenn er nun von uns Menschen betrieben werde. Was hier nicht wahrgenommen wird ist die Tatsache, dass die große Mehrheit der Lebenwesen, die jetzt ausradiert werden, robuste Arten sind, heißt, sie sind eigentlich gut an ihre Umwelt angepaßt. Sie sind also gesund , erleben aber eine einen überwältigenden Schock durch menschliche Eingriffe in ihre Systeme. Wie eine Studie zeigt, sind 80%solcher Arten in vielerlei Weise unter Druck: durch Verschmutzung, invasive nicht-einheimische Tier/Pflanzenarten, steigende Temperaturen, Wilderei u.s.w.

Wann immer wir eine Art auslöschen, verringern wir das Gewebe des Lebens in fahrlässiger Weise, in dem eine einzigartige Manifestation auf immer erlischt, also niemals mehr wieder erscheinen wird. Superkilling ist für diesen Akt ein stimmiger Ausdruck. Ein einzelnes Wesen zu töten ist eines, eine ganze Spezies dagegen etwas völlig Anderes – eine Vernichtung, die weiter und tiefer im ökologischen Raum nachhallt, als wir einzuschätzen, bzw. uns auch nur vorzustellen vermöchten.


T. Zum Beispiel die Landwirtschaft..

C. Der Schaden durch industriell betriebene Landwirtschaft ist riesig, wenn wir bedenken, dass 40% der Erdfläche inzwischen von solcher Agrarwirtschaft belastet sind. Sie vertreibt buchstäblich große Populationen verschiedenster Spezies vom Land, bzw. vernichtet sie mittels Einsatz von Chemikalien. Hier sieht man die Grundhaltung von homo sapiens: Man betrachtet Lebewesen anderer Art als mögliche Bedrohung; sie müssen also weg; die menschliche Invasion in Ökoterritorien beendet ihre Existenz. Dazu kommt, dass eine derartige Agrarwirtschaft 70% des Frischwassers, das der Menschheit zur Verfügung steht, verbraucht. Sie ist ist insgesamt mit der größte Verschmutzer von Luft, Land, und Wasser.


T. Der Klimawandel wird oft dargestellt als das große Umweltproblem- aber wenn wir das mit einer Art magischer Wand abdämmen könnten, also technisch beheben, wäre alles in Ordnung. Wie stehen Sie dazu?

C. Der Klimaumbruch befördert das Artensterben; aber vor allem trifft er nun auch die Menschheit. Das ökologische Massensterben als solches scheint nicht so schlimm, es betrifft ja siedie anderen Lebewesen: Fische, Frösche, Vögel etc. solange es nicht uns selbst, homo sapiens angeht, kann das egal sein, denken viele. Lassen wir einmal beiseite, dass alle Lebewesen auf Erden einen ihnen eigenen innewohnenden Wert haben, der sich nicht in Zahlen ausdrücken läßt; also eine Würde an sich. Wir dachten jedoch, dass wir irgendwie nicht auf sie angewiesen seien, da sie ja einer anderen Ordnung, einer niederen offenkundig, zugehören und wir also nicht von ihnen abhängen.

Zudem liebt unsere Gesellschaft die Idee, über technologische Entdeckungen Probleme zu lösen: Wenn wir unsere Wirtschaft etwas verändern, grüne Energie einführen, ökologischer produzieren, dann sollte die Klimakrise doch in den Griff zu kriegen sein. Leider gibt es für Massenausrottung von Arten keine Zaubermittel; wo Leben verschwindet, ist es endgültig für die weitere Evolution ausgelöscht. Hier wird deutlich, dass nur eine andere Lebensweise Sinn macht: die unheilvolle Expansion von homo sapiens muß gestoppt werden, also das endlose Wirtschaftswachstum, die Bevölkerungsdichte, der Ressourcenverbrauch, die Zerstörung der Meere…


T. Sie sehen den menschlichen Expansionsdrang als Kernproblem?

C. Es gibt hier die zwei Seiten einer Medaille. Die Eine betrifft all das, was wir gerade besprechen: den Kollaps der Artenvielfalt auf allen Ebenen- von riesigen Ökosystemen bis runter zu einzelnen Spezies und weiter zu den Genen. Dies alles ist eine Geschichte mit einem alles überragenden Thema: unfaßbarer Verlust, der uns zeigt, auf was wir eigentlich zusteuern: nicht das Verschwinden einzelner Teile des Lebens sondern das LEBEN als GANZES auf diesem Planeten. Die andere Seite hat mit unserem Expansionismus als solchem zu tun: die Kolonisierung von allem Lebendigen, die ‚Übermenschung' der Erde; heißt diese in eine rein menschengemachte Monokultur zu verwandeln. Diese Monokultur ersetzt Landschaften durch künstliche Umwelten.Es handelt sich also um eine Krise auf Grund totaler Dominanz von homo sapiens. Die nicht-menschliche Welt wird als objekthaft und leer von jedweder ihr selbst innewohnenden Bedeutung angesehen. Nur der Mensch verfügt über Verstand, Sprache, Moral u.s.w. Alles Nicht-Menschliche war damit zur freien Verfügung preisgegeben, vergessbar, verzichtbar, jederzeit tötbar. Und dieser Überlegenheitshabitus läßt nichts aus; jetzt ist die Tiefsee dran, das letzte bislang noch halbwegs verschonte Territorium der Natur.Die Maschinen für das Schürfen von Mineralien stehen schon bereit; die Besetzungs- und Ausbeutungsgier macht vor nichts mehr Halt- nun eben noch die Ozeane.


T.Sie verwiesen darauf, dass wir fixiert sind auf technische Lösungen. Wie sehen hier die etablierte ‚mainstream' Umweltbewegung?

C.Diese ist in meinen Augen nicht kritisch genug in Bezug auf den heutigen Konsumismus und das Festhalten an der Wachstumsideologie. Hinsichtlich der Frage der Überbevölkerung herrscht Schweigen. Stattdessen legt sie besonderen Wert auf die Ausrichtung auf erneuerbare Energien (green revolution). Ja, Solar und Windräder sind wichtig, ein Teil der Lösung, aber viel, viel bedeutender ist die Beendigung des Wachstumsfetischismus, also ‚degrowth', die Wirtschafts-produktion verlangsamen, auch auf der globalen Ebene. Wir brauchen vielmehr eine lokale wie regionale Wirtschafts- und Lebenskultur, die auf Achtsamkeit im Verbrauch und Verzehr aufgebaut ist. Fazit: die etablierte Umweltbewegung geht lange nicht weit, bzw. tief genug; sie ist daran auch nicht wirklich interessiert. Dennoch sind viele, wie z.B. der WWF im 20. Jahrhundert von großer Bedeutung für neue ökologische Perspektiven gewesen. Das sollte man nicht vergessen. Solche Gruppierungen waren und sind Brücken zwischen der mainstream Umweltpolitik und einer radikalen Ökologie.

Übersetzung: Dr. Peter Erlenwein 

Ort (Karte)

0
×
Stay Informed

When you subscribe to the blog, we will send you an e-mail when there are new updates on the site so you wouldn't miss them.

Das Donnerstagsrezept No. 15: Heute "Crespelle di ...
Der Dießener Bildhauer Matthias Rodach hilft Flüch...

Ähnliche Beiträge

 

Kommentare

Derzeit gibt es keine Kommentare. Schreibe den ersten Kommentar!
Bereits registriert? Hier einloggen
Samstag, 27. April 2024

By accepting you will be accessing a service provided by a third-party external to https://aloys.news/

Anzeige
Anzeigen
Gärtnerei Niedermeier
Werben bei aloys.news

Beliebteste Artikel

21. September 2023
Aktuelles
Ammersee West – Heute ist der letzte Tag des kalendarischen Sommers. Die Seen sind noch warm. Daher informieren wir Sie weiterhin täglich auf aloys.news wie warm oder auch wie kalt aktuell die Seen si...
30743 Aufrufe
23. Juni 2021
Aktuelles
Starnberg/Herrsching – Folgende Pressemitteilung bekam aloys.news gestern von der Gemeinde Herrsching: Liebe Bürger*innen, derzeit häufen sich wieder die Hinweise auf Zerkarienbefall bei Badenden. Vor...
13988 Aufrufe
15. August 2021
Meinung
In eigener Sache – Es wird keinen Lockdown mehr geben, versprechen uns die Politiker. Statt dessen kommt 3G. Gekauft, gekühlt, getrunken? Schön wär's. Geimpft, genesen, getestet. Ich als Eure Gastgebe...
11344 Aufrufe
09. April 2021
Aktuelles
Landkreis Landsberg am Lech – Antigen-Schnelltests haben ihren Namen daher, weil das Ergebnis schnell vorliegt. Sie können nur durch geschultes Personal durchgeführt werden – dafür wird ähnlich w...
10662 Aufrufe
01. Juli 2020
Aktuelles
aloys.news ist die regionale, kostenfreie Online-Zeitung für aktuelle Nachrichten, Meldungen und Beiträge aus den Landkreisen Landsberg am Lech, Starnberg, Fürstenfeldbruck und Weilheim...
9065 Aufrufe