Schriftgröße: +
5 Minuten Lesezeit (981 Worte)

Deutschland ist bei der Energiewende auf dem Holzweg

Deutschland ist bei der Energiewende auf dem Holzweg Symbolbild: aloys.news

Am 9. und 10 Juli fand an der Universität Stuttgart eine Tagung „20 Jahre Energiewende" statt. Organisiert und geleitet wurde sie von Professor Andrè Thess vom Lehrstuhl für Energiespeicherung. Gemeinhin wird der von Kanzlerin Merkel angeordnete Atomausstieg 2011 nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima als Startschuss für die Energiewende angesehen. Aber Professor Thess aber weiß genau, warum er die Energiewende schon neun Jahre zuvor beginnen lässt.


Am 15. Februar 2002 eröffnete nämlich der damalige Umweltminister Jürgen Trittin eine Konferenz mit dem Titel „Energiewende: Atomausstieg und Klimaschutz" und bezeichnete den „Atomausstieg als Chance für den Klimaschutz". Laut Thess sieht man daran, dass die deutsche Energiewende von Anfang an einem kardinalen Denkfehler krankte. Der Verzicht auf die CO2-freie Atomenergie ist keine Chance für den Klimaschutz sonder unterminiert ihn. Das macht auch ein Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich deutlich. Deutschland stößt nach 20 Jahren Energiewende doppelt soviel CO2 pro Kopf aus wie Frankreich, wo die Atomenergie kräftig genutzt wird.


Der Untertitel der Tagung lautete: Wissenschaftler ziehen Bilanz. Deren Urteil lässt sich in einem Satz zusammenfassen. Wenn die Bundesregierung ihren Kurs nicht ändert, ist die Energiewende zum Scheitern verurteilt. Aber von dieser Einsicht ist bei der Bundesregierung bislang nichts zu spüren, im Gegenteil. Bundeskanzler Scholz sagte kürzlich beim Bundesverband der Erneuerbaren Energien: „Wir müssen jetzt den Turbogang einlegen". Man habe das Ziel, bis 2030 etwa 80% der Stromversorgung durch Erneuerbare Energien zu decken.


Ihm ist offenbar nicht bewusst, welche Probleme damit heraufbeschworen werden. Im Elektrizitätsnetz müssen Erzeugung und Verbrauch von Strom jederzeit in Balance sein, sonst bricht die Stromzirkulation zusammen. Im „alten" Stromsystem mit der gut regelbaren Stromerzeugung von Kohle-, Kernkraft- und Wasserkraftwerken war diese Ausbalancierung durch Steuerung der Stromflüsse relativ einfach zu bewerkstelligen. Doch die zunehmenden Stromerzeugung mit Windrädern und Photovoltaikanlagen, deren Stromlieferungen aufgrund der Schwankungen von Wind und Sonneneinstrahlung ebenfalls stark fluktuiert, macht das immer schwieriger.


Man muss deshalb nicht gleich einen Blackout befürchten, aber die Wissenschaftler waren sich einig, dass die Risiken für die Elektrizitätsversorgung zunehmen. Je mehr Erneuerbare Energien für die Stromversorgung eingesetzt werden, um so störanfälliger wird sie. Aber es gibt ein noch größeres Problem. Im Winter kommen Wetterperioden vor, in denen zwei bis drei Wochen kaum die Sonne scheint und auch der Wind nicht weht, eine sogenannte Dunkelflaute. Wie soll in dieser Zeit die Stromversorgung sichergestellt werden?


Die theoretisch denkbare Lösung sieht so aus, dass man mit Überschussstrom im Sommer und Herbst Energiereserven für den Winter anlegt. Aber wie groß die Aufgabe ist, sieht man daran, dass mit der gegenwärtige vorhandenen Speicherkapazität die Stromversorgung Deutschlands gerade einmal eine halbe bis eine Stunde aufrechterhalten werden kann. Man müsste riesige Batteriespeicher anlegen und mittels Elektrolyse Wasser spalten, um so Wasserstoff herzustellen und diesen Energieträger dann wieder in Strom umwandeln. Das ist nicht nur ein gigantisches, sondern auch ein ungeheuer komplexes Projekt. Ohne auf technische Einzelheiten einzugehen, lässt sich feststellen, dass eine Vollversorgung mit Strom aus Erneuerbaren Energien für ein Industrieland wie Deutschland noch völlig in den Sternen steht.

Zur Sicherstellung der Stromversorgung wird man auf sehr lange Zeit noch einen Park von konventionellen Kraftwerken als Reserve benötigen, seien es nun fossile oder Kernkraftwerke.


Und damit ist man aus dem Reich der Visionen in der realen Lage angekommen. Die Bundesregierung will zum Jahresende die drei letzten noch laufenden Kernkraftwerke stillegen lassen. Dann stehen nur noch fossile Kraftwerke als Reserve zur Verfügung. Angesichts der Ungewissheit, ob weiter russisches Gas nach Deutschland fließt, sollen das Kohlekraftwerke sein.


Klimapolitisch ist das absurd. Die Kernenergie ist im Grunde eine genauso CO2-freie Energiequelle wie die Erneuerbaren. Pro Einheit Strom setzt ein Kohlekraftwerk 800 CO2-Einheiten frei, bei Sonne, Wind und Kernkraft sind es nur 4. Die GRÜNEN und SPD wollen aber gleichwohl am Ausstieg festhalten. Sie argumentieren, damit befreie man sich endgültig von den Risiken der Kernenergie.


Bei diesem Thema herrscht in der Öffentlichkeit in Deutschland eine Wahrnehmung, die nicht mit dem Urteil der Fachleute für Reaktorsicherheit übereinstimmt. Das war bei der Stuttgarter Tagung dem Vortrag von Horst-Michael Prasser zu entnehmen, der bis Ende letzten Jahres Professor für Nukleare Energie Systeme an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich war. Die Sicherheit der Kernkraftwerke ist laufend verbessert worden, so dass die Nutzung der Kernenergie als ähnlich ungefährlich einzustufen ist wie die von Sonne und Wind. Die Nutzung von Kohle hingegen verursacht durch Unfälle in Bergwerken und durch Luftverschmutzung vergleichsweise viele Tote.


Nebenbei. Die Nachfolgerin von Professor Prasser, Annalisa Manera ist Mutter eines zehnjährigen Sohnes. Aber sie ist damit keine Exotin. Im Department für Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH Zürich machen prozentual mehr Frauen einen Abschluss in Nukleartechnik als in den anderen Fächern. Die Zahl der fachkundigen Mütter pro Atomkraft wird also weiter zunehmen. Bereits dazu gehört die Technikhistorikerin Anna Verona Wendland, die durch ihre Studien bestens über den Betrieb der deutschen Kernkraftwerke informiert ist. Obwohl die Bundesregierung die Angelegenheit schon viel zu lange verschleppt hat, hält sie es immer noch für machbar, die drei verbliebenen Kernkraftwerke weiterzubetreiben. Aber nach wie vor fehle es an Einsicht und dem politischen Willen.


Das geht soweit, dass die Bundesregierung sogar die Ergebnisse des G7 verfälschend darstellt. Im Schlusscommuniqué haben die fünf Staaten, die Kernenergie nutzen – das sind die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich und Japan, nur Deutschland und Italien verzichten darauf – die Bedeutung der Kernenergie für eine sichere und CO2-freie Energieversorgung unterstrichen und sogar dafür plädiert, die Technik weiter zu entwickeln, damit noch mehr Staaten die Kernenergie nutzen. Das Bundespresseamt hat die „Zentralen Ergebnisse" des Gipfels in zehn Punkten zusammengefasst. Die Aussage zur Kernenergie fehlt.


Das zeigt, wie sehr die Bundesregierung mit ihrem Kurs in der Energiewende international ins Abseits geraten ist, aber einfach nicht einsehen will, dass sie auf dem dem Holzweg ist. Die Stuttgarter Tagung hat das in aller Klarheit deutlich gemacht. Die Vorträge werden demnächst auf YouTube zu sehen sein.

Hans Dieter Sauer lebt in Pähl. Der Autor ist Dipl.-Physiker und schreibt regelmäßig für aloys.news über naturwissenschaftliche aber auch politische Themen.





0
×
Stay Informed

When you subscribe to the blog, we will send you an e-mail when there are new updates on the site so you wouldn't miss them.

Der Holländer flog erfolgreich am Ammersee
Landsberger Postsenioren wandern wieder

Ähnliche Beiträge

 

Kommentare

Derzeit gibt es keine Kommentare. Schreibe den ersten Kommentar!
Bereits registriert? Hier einloggen
Freitag, 26. April 2024

By accepting you will be accessing a service provided by a third-party external to https://aloys.news/

Anzeige
Anzeigen
Gärtnerei Niedermeier

Beliebteste Artikel

21. September 2023
Aktuelles
Ammersee West – Heute ist der letzte Tag des kalendarischen Sommers. Die Seen sind noch warm. Daher informieren wir Sie weiterhin täglich auf aloys.news wie warm oder auch wie kalt aktuell die Seen si...
30740 Aufrufe
23. Juni 2021
Aktuelles
Starnberg/Herrsching – Folgende Pressemitteilung bekam aloys.news gestern von der Gemeinde Herrsching: Liebe Bürger*innen, derzeit häufen sich wieder die Hinweise auf Zerkarienbefall bei Badenden. Vor...
13984 Aufrufe
15. August 2021
Meinung
In eigener Sache – Es wird keinen Lockdown mehr geben, versprechen uns die Politiker. Statt dessen kommt 3G. Gekauft, gekühlt, getrunken? Schön wär's. Geimpft, genesen, getestet. Ich als Eure Gastgebe...
11339 Aufrufe
09. April 2021
Aktuelles
Landkreis Landsberg am Lech – Antigen-Schnelltests haben ihren Namen daher, weil das Ergebnis schnell vorliegt. Sie können nur durch geschultes Personal durchgeführt werden – dafür wird ähnlich w...
10660 Aufrufe
01. Juli 2020
Aktuelles
aloys.news ist die regionale, kostenfreie Online-Zeitung für aktuelle Nachrichten, Meldungen und Beiträge aus den Landkreisen Landsberg am Lech, Starnberg, Fürstenfeldbruck und Weilheim...
9054 Aufrufe